„Gemeinsamer ­antizionistischer Kampf“

„Gemeinsamer ­antizionistischer Kampf“

Dokumente. Österreichische Neonazis planten ein Attentat auf Simon Wiesenthal

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Von Thomas Riegler

Es gab eine gewaltige Explosion. Fenster gingen zu Bruch, Türen wurden aus den Angeln gerissen, alles war voll Rauch. Vor der Haustür von Simon Wiesenthal in Wien-Döbling war kurz vor Mitternacht ein mit Schwarzpulver gefüllter Kochtopf detoniert. Verletzt wurde niemand, der Sachschaden war jedoch beträchtlich. Das Attentat vom 11. Juni 1982 war Teil einer Anschlagsserie, die Österreich in Atem hielt. Die primitiven Bomben explodierten vor den Wohnungen von ORF-Wissenschaftschef Alexander Giese und Oberrabbiner Akiba Eisenberg sowie vor jener des ehemaligen Vizepräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Edmund Reiss. Gleichartige Sprengkörper verwüsteten Schöps-Filialen in Wien und Salzburg. Den Schlusspunkt bildete der Fund einer Rohrbombe, die in einem Gebüsch neben einem Kindergarten am Wiener Rudolfsplatz abgelegt worden war. Nur ein Fehler in der Zündelektronik hatte ein mögliches Blutbad verhindert. 1983 standen dann neun mutmaßliche Attentäter vor Gericht – allen voran der deutsche Neonazi Ekkehard Weil. Die Urteile fielen mild aus: Weil kassierte mit fünf Jahren die längste Strafe. Der Anschlag vor dem Haus Wiesenthals konnte ihm nicht lückenlos nachgewiesen werden.

Der „Nazijäger“ Wiesenthal war immer ein Hassobjekt der Rechten gewesen. Die profil-Redakteurin Christa Zöchling hatte in ihrer 1999 erschienenen Haider-Biografie ­recherchiert, dass auf Haiders Burschenschafter-Bude in der 1960er-Jahren eine Strohpuppe für Fechtübungen, ein sogenanntes „Paukermandl“, eine Binde trug, auf der Wiesenthals Name stand. Einer der von Zöchling befragten Ex-Burschen wollte sich sogar an die Aufschrift „Simon Wiesenthal, der Jude“ erinnern.
Noch radikalere Rechte nahmen Wiesenthal ernsthafter ins Visier. Wie aus profil seit Kurzem vorliegenden Dokumenten der ehemaligen DDR-Stasi hervorgeht, planten österreichische Neonazis 1976, Wiesenthal zu ermorden. Im Zentrum des Komplotts: Norbert Burger, die Schlüsselfigur des Rechtsextremismus im Nachkriegsösterreich.

„Kinderkreuzzug“
Der 1929 geborene Burger hatte eine bemerkenswerte Laufbahn genommen. 1944 hatte er sich mit 15 Jahren freiwillig zum Fronteinsatz gemeldet und angeblich an Erschießungen teilgenommen. Der begeisterte Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte Rechtswissenschaften und wurde Universitätsassistent in Innsbruck. In den 1960er-Jahren war Burger tief in den Südtirol-Terrorismus verstrickt. Von ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten „Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Die mitgeführten Molotowcocktails detonierten teilweise vorzeitig und verletzten einen der Aktivsten schwer. Später soll Burger in tödliche Attentate gegen italienische Züge und Bahnhöfe verwickelt gewesen sein. In Italien wurde er dafür in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Seiner politischen Karriere tat dies keinen Abbruch: 1967 gründete Burger die Nationaldemokratische Partei (NDP), deren Programm im Wesentlichen mit den Zielen der NSDAP übereinstimmte, wie der Verfassungsgerichtshof später feststellte. Bis zur behördlichen Auflösung 1988 blieb die NDP ein zentrales Sammelbecken der Rechten: Gerd Honsik, Gottfried Küssel und Walter Ochensberger – sie alle waren mit Burger verbandelt.

Dasselbe gilt für Spitzen der FPÖ: Jörg Haider traf sich 1988 mit Burger im Haus des FPÖ-Rechtsaußen Otto Scrinzi im kärntnerischen Moosburg, um über gemeinsame Aktionen zur 50-jährigen Wiederkehr des „Anschlusses“ zu beraten. Heinz-Christian Strache war von 1989 bis 1991 mit Burgers Tochter Gudrun verlobt. Strache 2007 im „Falter“ über seinen Beinahe-Schwiegervater: „Er war eine Art Vaterersatz.“

„Hilfscorps Arabien“
Auf Basis der von profil ausgewerteten Dokumente muss nun ein Teil von Burgers Biografie neu geschrieben werden. Ein „Kronzeuge“ hierfür ist der deutsche Neonazi Udo Albrecht, der 1981 vor der westdeutschen Polizei in die DDR geflohen und dort ausführlich von der Staatssicherheit verhört worden war. Seit dem 16. Lebensjahr in Diebstahl, Bankraub und Waffenhandel verstrickt, verfolgte der schwer kriminelle Neonazi eine Vision: an der Seite der Palästinenser den Kampf gegen den „Zionismus“ und Israel zu führen. Mitte der 1960er-Jahre versuchte Albrecht, Freiwillige für ein „Hilfscorps Arabien“ zu rekrutieren. 1970 ging er für fünf Monate nach Beirut, wurde unter dem Kampfnahmen „Hermann Hell“ Offizier im PLO-Geheimdienst und bereitete Anschläge in Europa vor.

Albrecht steht wie kein anderer für die auf den ersten Blick bizarr anmutende Achse zwischen Rechtsradikalen und palästinensischen Terroristen: Ihr Hass auf die Juden einte die ungleichen Partner.
Die Stasi-Protokolle beschreiben auch, wie es Albrecht einmal in eine österreichische Gefängniszelle verschlagen hatte. Im Dezember 1970 hatte er im Auftrag der Palästinenser Sprengstoff nach Zürich geschmuggelt, wurde aber geschnappt. Vier Wochen später entkam er aus dem Polizeigefängnis und schlug sich bis nach Niederösterreich durch. Im Februar 1971 wurde er nach einem Tankstelleneinbruch verhaftet. Man verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft. Um der Auslieferung an die BRD zu entgehen, stellte er einen Asylantrag, der freilich abgelehnt wurde. Da schlug plötzlich Interpol Alarm: Palästinensische Terroristen würden Albrechts Befreiung vorbereiten. Die Drohung wirkte: Die Österreicher, so Albrecht gegenüber der Stasi, wollten ihn „so schnell wie möglich“ loswerden. An die BRD ausgeliefert, konnte er schon 1974 wieder entkommen.

Danach unterhielt Albrecht Verbindungen zu Rechtsextremisten in ganz Europa – auch nach Österreich. Ein wichtiger Grund hierfür war laut Albrechts Aus­sagen vor der DDR-Stasi, dass ein Anschlag auf „Nazijäger“ Simon Wiesenthal geplant wurde, und zwar von Norbert Burger und dessen Umfeld. Albrecht war einverstanden, deckte sich das Vorhaben doch mit seinen Vorstellungen von einem „weltweiten antizionistischen Kampf“. Wie Albrecht von Burger erfuhr, waren bereits „konkrete Vorbereitungen und Erkundungen“ für ein Attentat auf Wiesenthal durchgeführt worden. Der Deutsche traf sich 1976 mehrmals mit Burger in Wien und war bereit, für diese Aktion die Waffen zur Verfügung zu stellen.

Burger machte ihn auch mit dem Leiter einer Wehrsportgruppe bekannt, Albrecht erfuhr laut Stasi-Verhör aber weder den Namen des Mannes noch den seiner Einheit. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es sich um die „Kameradschaft Babenberg“ handelte, die mit Burgers NDP eng verbunden war. Vor der behördlichen Auflösung 1980 führte die Neonazitruppe bei Rapottenstein paramilitärische Übungen durch, die als „knallharte Freizeitbeschäftigung“ verharmlost wurden. Die „Babenberger“, zu denen damals auch der junge Gottfried Küssel zählte, forderten die „nationale Revolution“ und trainierten für eine Zukunft, „die zeigen wird, wer der Stärkere ist“.

Albrecht und seine nahöstlichen Kontaktleute vereinbarten, „dass er in Österreich eine Gruppe zusammenstellt, die geschlossen auf Seiten der PLO gegen Israel kämpfen soll“. Der Deutsche übergab ein Maschinengewehr, mehrere Pistolen, „eine oder mehrere amerikanische Handgranaten“ sowie eine Anzahl von Passvordrucken. Waffen und Dokumente wurden in der Nähe von Burgers niederösterreichischer Heimatgemeinde Kirchberg am Wechsel versteckt. „Der Leiter der österreichischen Gruppe wurde von mir aufgefordert, zu Dr. Burger zu kommen, und ich zeigte ihm dann die Stelle, an der die Waffen und Dokumente von uns vergraben worden waren“, so Albrecht.

Aus dem geplanten Einsatz der Österreicher im Libanon wurde aber nichts: Noch 1976 wurde Albrecht wieder einmal verhaftet und erst drei Jahre später entlassen. In der Folgezeit unterhielt er keine Verbindung mehr zu den Österreichern.

Dafür geriet Simon Wiesenthal 1982 sehr wohl ins Fadenkreuz der Rechtsextremisten. Auch hier schließen sich die Kreise: Der vermutliche Täter Ekkehard Weil hatte schon 1975 im Auftrag von Albrecht ausrangierte Bundeswehr-Lkws an die PLO geliefert. Wenige Wochen nach dem Wiesenthal-Anschlag wurde er bei Mönichkirchen am Wechsel, unweit von Burgers Haus, verhaftet. Der entscheidende Tipp kam ausgerechnet von Burger selbst.

Weitgehend ungeschoren
Weils Aktivismus war für Burger zum ungünstigsten Zeitpunkt gekommen. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 1980 hatte er unter dem Slogan „Gegen Überfremdung – für ein deutsches Österreich“ immerhin 3,1 Prozent der Stimmen geholt, mehr als 140.000. Peinlicherweise wurde danach bekannt, dass einige der Unterstützungserklärungen von Obdachlosen gekauft worden waren. Das hinderte Burger nicht daran, weiter den „Marsch durch die Institutionen“, also den Einzug in Landtage, zu versuchen, den die deutsche NPD bereits geschafft hatte.
Weils Attacken fielen just in den Landtagswahlkampf im Burgenland, wo schon 6000 Stimmen für ein Mandat genügt hätten. Burger passte es also gar nicht, dass Weil von NDP-Kameraden versteckt wurde, zuletzt im burgenländischen Eberau. Als die Staatspolizei bereits Witterung aufgenommen hatte, drängte er seine Leute, einen Deal mit den Fahndern zu schließen und Weil hochgehen zu lassen. Burger und seine Mannen blieben weitgehend ungeschoren.

Der Neonazi-Führer verstarb 1992 an Krebs.

Seinen deutschen Verbündeten Udo Albrecht verschlug es erneut in den Nahen Osten. Um den Verkauf ausgemusterter Militärfahrzeugen an die PLO zu organisieren, gründete Albrecht 1980 in Beirut die Firma Special Car Service. Dafür brachte er auch die berüchtigte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ mit den Palästinensern zusammen. Zurück in der BRD landete Albrecht wieder hinter Gittern. Im Juli 1981 lieferte er sein letztes Glanzstück als Ausbrecher: Während eines Lokalaugenscheins an der innerdeutschen Grenze, wo er ein Waffenversteck offenbaren sollte, lief Albrecht ganz einfach auf die DDR-Seite. Die Stasi schöpfte anschließend so viele Informationen wie möglich über die rechte Szene ab. Im August 1981 übergab man Albrecht Vertretern des PLO-Geheimdienstes. Mit einem libyschen Reisepass flog er anschließend nach Damaskus. Dort verlieren sich seine Spuren. Über Albrechts weiteren Verbleib ist nichts bekannt.

Hintergrund

Braune Netzwerke in Österreich
Der Rechtsruck der FPÖ nach der Machtübernahme durch Jörg Haider führte unter den Extremisten zu einer „Frontbegradigung“.

Bevor die FPÖ unter Jörg Haider ab Mitte der 1980er-Jahre das rechte Spektrum zu dominieren begann, existierte rund um Norbert Burgers NDP ein ganzes Netzwerk von rechtsextremen Gruppen: die „Nationale Front“, die „Nationalistische Front“, die „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“, die „Wehrsportgruppe Trenck“, die „Kameradschaft Babenberg“, der „Nationalistische Bund Nordland“ oder die „Aktion Neue Rechte“ (ANR). Die ANR machte in den 1970er-Jahren auf sich aufmerksam, als sie Waffenlager anlegte, Schlägereien provozierte und „Ehrenwachen“ an den Gräbern von Nazi-Größen abhielt. „Schulungsabende“ wurden von Gerd Honsik und Gottfried Küssel geleitet. Honsik, Chef der „Nationalen Front“, war beim Ring freiheitlicher Studenten gewesen. NDP-Chef Burger war einst ebenso FPÖ-Mitglied wie der ANR-Führer Bruno Haas.

Nach den behördlichen Verboten von NDP und ANR 1988 traten „modernere“ Gruppierungen wie Küssels „Volkstreue außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) und die „Kameradschaft Langenlois“ unter Hans Jörg Schimanek an deren Stelle. Diese Strukturen wurden Anfang der 1990er-Jahre von der Polizei aufgelöst. Zuletzt wurde 2013 in Oberösterreich ein kriminelles Netzwerk mit Neonazi-Hintergrund zerschlagen („Objekt 21“).