Arcade Fire, Inner Storm

Neue Alben: Arcade Fire, Inner Storm

profil unerhört. Die wichtigsten CDs der Woche

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Von Philip Dulle und Sebastian Hofer

Arcade Fire: Reflektor (Universal)

Das exquisit scheußliche Cover von „Reflektor“ zeigt Orpheus und Eurydike in der Photoshop-Unterwelt und ist ein schlechtes Zeichen für das, was drinnen steckt. Schlecht, weil falsch, denn tatsächlich ist das derart Verpackte das mit Abstand unscheußlichste Stück Musik der Saison – und eines der längsten: „Reflektor“ dauert nicht weniger als eineinhalb Stunden, und jede Sekunde muss als Glücksfall betrachtet werden. Das Album entstand unter der Ägide des einstigen Hipsterpapstes (mit LCD Soundsystem) und heutigen Kaffeeröstereienbetreibers James Murphy, und dass dieser nicht nur hintergründig an den Reglern geschraubt hat, merkt man nach ungefähr zwei Sekunden. „Reflektor“ drängt mit großer Beharrlichkeit auf die Tanzfläche und dreht sich dort äußerst beherzt um sich selbst, hat über weite Strecken die Anmutung eines Kraut-und-Rüben-DJ-Sets, spielt mit Disco, Dub, New Wave, Garagenrock und Radiopop, also lauter Genres, die nie und nimmer ins pompöse Fanfaren- und Hymnenprogramm dieser Band passen. Trotzdem ist jedes der 13 neuen Stücke unverkennbar ein Arcade-Fire-Stück. Inklusive Arcade-Fire-Reflex: Nach ungefähr drei Sekunden schießen die Freudentränen ein. (8,9/10) S. Ho.

Inner Storm: Amazing Loneliness (Defusion Records)

Der Wolf als einsames Geschöpf. Mit hell glühenden Augen starrt das Tier vom Coverbild der aktuellen Karl Möstl Produktion Inner Storm. Der Linzer Soundtüftler vereint auf „Amazing Loneliness“ melancholischen Elektropop mit feinen Gitarren- und Drum-Arrangements, die durchaus an ruhigere Depeche-Mode-Spielereien erinnern. Sänger und Texter Andrew Edge steuert die feingliedrigen Gesangslinien bei, die sich vordergründig den inneren Stürmen widmen, dann ausbrechen, sich nach außen kehren und zu richtigen Orkanen entwickeln. Im Video zur aktuellen Single „Hold On“ sieht man zwei Kendo-Kämpfer gegen diese unbestimmte Traurigkeit ankämpfen. Strahlende Melancholie als neue Leichtigkeit? Gut möglich. Nicht nur zufällig erscheint „Amazing Loneliness“ im tiefsten Herbst. Der dichte Nebel, der das Album umhüllt, scheint unüberwindbar. (7.0/10) Ph. D.

Alle profil-unerhört-Kritiken in der Nachlese

profil-Wertung:
Von "0" (absolute Niederlage) bis "10" (Klassiker)

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.