Zeitgenössische Mu- sik: Mangelwirtschaft

Neue Musik: Mangelwirtschaft

Die Stars der Branche ziehen nun negativ Bilanz

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Zur Bitterkeit hat der österreichische Komponist Bernhard Lang keinen Grund und keine Affinität. Seit ein paar Jahren gehört er zu den maßgeblichen europäischen Stilisten Neuer Musik, seine Arbeit wird weltweit aufgeführt, Kompositionsaufträge halten ihn in Atem. In einer Hinsicht jedoch zeigt sich sogar Lang, der dieser Tage zwischen Berlin und Vilnius pendelt, während in Basel erfolgreich seine jüngste Oper, „Der Alte vom Berge“, läuft, einigermaßen desillusioniert: Wie man in Österreich mit Neuer Musik verfahre, das sei tendenziell „höchst destruktiv“. Die Situation habe längst fatale Züge angenommen, denn es gebe hierzulande nicht nur den desolaten Zustand der zeitgenössischen Musikszene selbst, sondern auf weiter Flur „auch keine Kritik daran“.

Ähnlich drastisch formuliert es die Komponistin Olga Neuwirth: Es sei „noch nie so viel geredet und so wenig gemacht worden“ wie derzeit in Österreichs Musiklandschaft. „Die Leidenschaftslosigkeit regiert, aber ohne Passion geht gar nichts – nirgends.“ Das Eigenartige sei, so Neuwirth weiter, „dass immer wieder die Frage auftaucht, ob Neue Musik überhaupt Relevanz besitzt“. Sie empfinde diese Frage als bloßes „Negativ-Reden“, als ein Bestärken massiver Vorurteile. Wenn diese Woche nun, wie jedes Jahr, das Festival Wien Modern mit hochklassigen Programmen Neuer Musik eröffnet wird (siehe Kasten S. 139), so kann dies, bei allem guten Willen, eine funktionierende Musikszene nicht ersetzen.

Die Faktoren für ihr anhaltendes Fehlen sind vielfältig. „Sämtliche neuen Musiken, die es in diesem Land gibt, werden im Vergleich zu anderen Kunstsparten budgetär stiefmütterlich behandelt“, sagt Christian Scheib, der seit 1995 als Programmdirektor das musikprotokoll des steirischen herbstes betreut. „Es entspricht einem langweiligen Lamento, ist aber leider Realität: Ohne entsprechende finanzielle Unterstützung ist es schwierig, in Sachen Neue Musik viel versprechende Initiativen zu setzen.“ Bernhard Lang sieht in der fehlenden medialen Reflexion eine Hauptursache. Der Ex-Intendant des steirischen herbstes, Peter Oswald, der auf seinem Label Kairos seit Jahren kennerisch Neue Musik verlegt, betont wiederum, „wie viele beharrende Kräfte es gerade an den Musikhochschulen gibt. Und dass die Wiener Festwochen seit geraumer Zeit in Sachen Neue Musik kaum Wesentliches zustande bringen, verstehe ich nicht. In Wien von Geldproblemen zu sprechen ist schlichtweg pervers. Wir wissen, wie hoch das operative Budget allein des Theaters an der Wien ist. Damit kann man etwas tun.“

Im Ausland besser. Die Uraufführung der Bernhard-Lang-Oper „I Hate Mozart“ ebendort vor knapp einem Jahr bringt das Dilemma der zeitgenössischen Musik in Österreich auf den Punkt: Trotz großer Nachfrage und ausverkaufter Vorstellungen war weder das Theater an der Wien noch irgendein anderes Haus in Österreich bislang imstande, die Oper wieder aufzunehmen. In Deutschland dagegen wird Langs neues Werk, „Der Alte vom Berge“, nun gleich elfmal gespielt – und das ist nur der Anfang. Das Echo auf die eigene Arbeit, stellt Lang fest, sei im Ausland eben viel besser. – Ein anderes Beispiel: Im Mai 2008 wird in Paris die Oper „Melancholia“ des Grazers Georg Friedrich Haas uraufgeführt werden. „In den Repertoiretheatern hierzulande wird die Oper keinen Niederschlag finden“, prognostiziert Peter Rantasa, geschäftsführender Direktor des mica, des Kommunikationszentrums für aktuelle Musik aus Österreich, trocken. „Es gibt dafür tausend Erklärungen, aber keine davon ist akzeptabel.“

Der Begriff „Selbstausbeutung“ fällt, wenn man sich in Österreich mit Praktikern der Neuen Musik unterhält, verdächtig oft. Die Lebens- und Arbeitswelten von Komponisten und Musikern, die gegen alle Widerstände daran festhalten, sich hauptberuflich mit der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu befassen, sind geprägt von Fluchtbewegungen und Selbsteinschränkung. Für große Orchesterwerke, an denen man monatelang zu arbeiten hat, sind heute oft Honorare von 7000 Euro vorgesehen. Olga Neuwirth sagt es direkt: „Selbstständige, und dazu zählen freischaffende Künstler, sind die Proletarier des 21. Jahrhunderts.“ Auf Verständnis können sie, so Neuwirth, im gegenwärtigen Kulturbetrieb nicht zählen: „Das größte Problem in Österreich ist derzeit das neue Musiktheater. Festivals wie die Festwochen, der steirische herbst und die Salzburger Festspiele werden von Personen geleitet, die nicht aus der Musik kommen. Sie mögen diese Musik nicht, haben keinerlei Zugang dazu. Wie soll man sie dann dafür begeistern?“

Feigenblätter. Abseits der Festivals wird das Bild noch dunkler: Im sich selbstherrlich als Musikstadt begreifenden Wien ist Zeitgenössisches Mangelware. In den Spielplänen des Musikvereins hat die Neue Musik, wie Peter Oswald sagt, „bloß Feigenblattfunktion“. Aber auch im Konzerthaus bildet die Gegenwartsmusik kein dauerhaftes Zentrum. Ganz zu verstehen ist das nicht. Österreichs Ruf ist, gerade was Neue Musik angeht, exzellent. Während die hiesige Szene vor 25 Jahren noch ein Schattendasein führte, in der neben Friedrich Cerha und Roman Haubenstock-Ramati kaum herausragende Talente zu verzeichnen waren, geht es seither kontinuierlich aufwärts: Die Aufführungszahlen steigen, die Festivalpräsenz wird laufend erhöht. International, wohlgemerkt. Komponisten wie der Wahlwiener Beat Furrer, Johannes Maria Staud und Georg Friedrich Haas gelten neben Lang und Neuwirth als deutliche Signale einer Hochkonjunktur Neuer Musik aus Wien. Anderswo. In Österreich hält sich das Interesse in Grenzen.

„Was den Konzertbetrieb betrifft, so ist hierzulande Kaputtsparen angesagt“, meint Bernhard Lang. Der Status quo sei alarmierend: „Die Zukunft der Klassikbranche liegt in den neuen Kompositionen, nicht in der unaufhörlichen Reproduktion jahrhundertealter Musik. Wenn wir so weitermachen, wird die Branche sterben; unter diesen Voraussetzungen wird der Strom abreißen.“ Und weiter: „Es herrscht ein Geist der Bescheidenheit in Österreich, eine Blockade gegen Neue Musik, die bis in die Orchesterreihen reicht. Das Grundproblem sind aber die aktuellen politischen Repräsentanten: Es gibt keine politische Instanz, die sich um diesen Missstand kümmern würde; nicht einmal die Grünen scheinen daran auch nur im Mindesten interessiert zu sein. Das Klangforum reüssiert auf der ganzen Welt – Österreich ist das völlig egal. Bei uns beziehen die Spitzenmusiker dieses Ensembles nicht einmal Installateursgehälter. Aus dem Opportunismus kann keine Kunst entspringen. Der alte Geist der Großzügigkeit ist verloren gegangen, ersetzt wurde er durch den biedermeierischen Geist des Knauserns.“

Vermutlich benötigt die ignorierte Neue Musik in Österreich tatsächlich so etwas wie einen Neustart. Er könnte, auch wenn es schwer zu glauben ist, von der konservativen Musikstadt Salzburg ausgehen. Nicht nur haben sich die Festspiele in Gestalt des umtriebigen Musikers und Impresarios Markus Hinterhäuser 2006 einen leidenschaftlichen neuen Konzertchef geholt, auch Hans Landesmann, einer der Vorgänger Hinterhäusers, plant in Salzburg Neues: Er arbeitet an einer Biennale für zeitgenössische Musik, die er in eigener Intendanz und in Kooperation mit den führenden Institutionen Neuer Musik veranstaltet.

Aber auch in Wien, wo der musikalische Traditionalismus inzwischen noch undurchdringlicher scheint als in Salzburg, wird beharrlich an neuen Konzepten gewerkt – vorerst jedoch nur in unterdotierten Nischen: „Platypus“, ein Verein junger Komponisten, hat bereits damit begonnen, jene Vermittlungsarbeit zu leisten, die im Bereich der Neuen Musik so essenziell ist, und auch die Risikofreude, die etwa den kompromisslosen Programmen des von Werner Korn betriebenen Echoraums anzusehen ist, wird die hiesige Musiklandschaft brauchen können.

Von Stefan Grissemann
Mitarbeit: Wolfgang Paterno