Neues Jahr im kleinen Land

Neues Jahr im kleinen Land

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Angesichts der globalen Beben-Katastrophe wäre es zum heurigen Jahreswechsel besonders frivol, in einem Kommentar zur österreichischen Innenpolitik den folgenden 365 Tagen das Prädikat „Jahr der Entscheidung“ zu verleihen. Raucherzimmer in Schulen? Was kommt auf die e-card? Geht Herbert Haupt? Und was macht die Höchstbeitragsgrundlage?

Glückliches kleines Land – oft geplagt von Winden, aber nie von Tsunamis. Und in seiner Quengeligkeit ein wenig lächerlich vor dem Hintergrund todbringender Großereignisse.

Pflichtgemäß sei dennoch ein Vorausblick auf die kommenden Ereignisse in Österreichs Politik versucht.

Immerhin wird im politischen Jahr 2005 und nicht im Wahljahr 2006 festgelegt, wer dieses Land bis zum Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts – vielleicht auch darüber hinaus – politisch prägen wird. Dazu seien fünf Prognosen gewagt.

1. Die Wahlen in Wien werden vorverlegt, Michael Häupl wird sie gewinnen und vor schweren Entscheidungen stehen. Die SPÖ dementiert nicht einmal mehr, wenn Zeitungen schreiben, die Landtagswahlen würden um ein halbes Jahr, auf einen Herbstsonntag 2005, vorgezogen. Die FPÖ hatte in Wien zuletzt noch 20 Prozent erreicht. Aus diesem Topf wird sich Michael Häupl bedienen und eine solide absolute Mehrheit einfahren. Danach wird der parteiinterne Druck auf ihn steigen, der SPÖ im Herbst 2006 als Kanzlerkandidat bei den Nationalratswahlen zur Verfügung zu stehen. Das Risiko, den Rest seiner politischen Laufbahn auf der Oppositionsbank des Nationalrats verbringen zu müssen, ist für den bequem regierenden Bürgermeister wenig verlockend. Also muss er Ersatz suchen – oder sich voll hinter Alfred Gusenbauer stellen.
Prognose: Es bleibt bei Gusenbauer.

2.Die Niederlagenserie der ÖVP bei Landtagswahlen wird prolongiert. Bei allen drei 2005 stattfindenden Landtagswahlen – Burgenland, Steiermark, Wien – ist für sie nichts zu holen. Wolfgang Schüssel wird auch diese Niederlagen weit gehend unverletzt überstehen. Im Burgenland und in Wien machen sich die Schwarzen ohnehin keine Hoffnungen. Und dass Waltraud Klasnic ihr Rekordergebnis des Jahres 2000 (47 Prozent) hält, erwartet niemand. Haarig könnte es für Schüssel werden, wenn die ÖVP nach Salzburg auch in der Steiermark den Chefsessel abgeben muss. Nach der Estag-Affäre und dem Spielberg-Debakel wird es ihm allerdings nicht schwer fallen, die Niederlage als „hausgemacht“ zu deklarieren.
Prognose: Weil Schüssel seiner Partei nach den Verlusten in den Ländern vermitteln kann, er werde trotz alledem die Nationalratswahlen gewinnen, geht er weit gehend ungeschwächt in die Entscheidung ’06.

3. Jörg Haider will es ein letztes Mal wissen. Die FPÖ hat in allen drei Bundesländern unrealistische Wahlergebnisse zu verteidigen: 20 Prozent in Wien, 14,5 Prozent in der Steiermark und 12,6 Prozent im Burgenland. Sie wird überall halbiert werden und damit dort zu stehen kommen, wo sie Mitte der achtziger Jahre stand. Jörg Haider darf dem Verlöschen seiner FPÖ nicht länger tatenlos zusehen, will er seine innerparteiliche Restautorität erhalten. Außerdem hat er mit Wolfgang Schüssel noch eine Rechnung offen. Die Fallfrist endet 2005.
Prognose: Haider wird vor Ende des Jahres noch einmal versuchen, die Macht in der Partei zu ergreifen. Nicht ausgeschlossen, dass er sogar Vizekanzler werden will.

4. Bei den Grünen wird es turbulenter. Ist es Taktik oder bloß das Naturell ihres Bundessprechers, dass die Grünen meist zurückgenommen wie eine buddhistische Betgesellschaft agieren? Mit der Ruhe ist es bald vorbei: Je näher der Wahltermin rückt, desto öfter wird ihnen die Koalitionsfrage gestellt werden. Seit die ÖVP den Grünen mit der Änderung des ÖH-Gesetzes eine ihrer wenigen Machtpositionen abknöpfte, ist es für die Parteiführung noch schwerer, der eigenen Basis eine allfällige Koalition mit den Schwarzen zu verkaufen. Die SPÖ wird – sofern sie zu diesem kommunikativen Kraftakt fähig ist – nicht müde werden zu erkären, jede grüne Stimme trage zur Prolongierung von Wolfgang Schüssels Kanzlerschaft bei.
Prognose: Es wird Zoff links der Mitte geben, aber auch bei den Grünen selbst.

5. Im Jubiläumsjahr gibt es wieder einmal historische Grundsatzdebatten. Im vergangenen Februar, am 70. Jahrestag der bürgerkriegsähnlichen Kämpfe, wurde klar, wie weit auseinander die beiden traditionellen politischen Lager bei der Beurteilung dieses Teils der jüngeren Geschichte immer noch liegen. Diesmal – es geht um Kriegsende, Staatsvertrag und EU – werden die Linien etwas anders verlaufen. Unschwer zu erraten, dass der rechte FPÖ-Flügel Duftmarken setzen wird, die für den zivilisierten Teil der Öffentlichkeit unerträglich sind. Das wäre nicht so schlimm, handelte es sich bei der FPÖ nicht um eine Regierungspartei.
Prognose: Es wird eine etwas schlammige, aber nicht uninteressante Auseinandersetzung.
Prosit.