Abschiebungen - Die Stimmung kippt

Nicht Recht, nicht Gnade

Die ÖVP bleibt hart, die SPÖ rudert zurück

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Die Auseinandersetzungen sollen heftig gewesen sein. Teilnehmer der Sitzung im SPÖ-Parlamentsklub in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli des Jahres 2005 berichten von massiven Drohungen der Klubführung. Eine der Dissidentinnen sei daran erinnert worden, dass sie Parteiangestellte sei, einem anderen habe man bedeutet, er werde künftig wohl nur noch selten zu Zeiten der TV-Direktübertragung am Rednerpult des Nationalrats stehen.

Der interne Widerstand eines guten Viertels der roten Parlamentsfraktion hatte sich an einem sensiblen Thema entzündet: dem strengen Fremdenrechtspaket der schwarz-orangen Regierung, dem die SPÖ – Verhandlungsführer: Norbert Darabos – zustimmen wollte.
Wenige Stunden später votierten schließlich nur noch zwei rote Abgeordnete dagegen: die Wienerin Andrea Kuntzl und der SP-Menschenrechtssprecher Walter Posch aus Kärnten. Ein weiterer Kritiker des Asylpakets, Ex-Innenminister Caspar Einem, lag mit schwerer Grippe zu Hause im Bett. „Ich hatte mich am Morgen trotz hohen Fiebers noch einmal in den Klub geschleppt, um zu argumentieren. Aber es hat nichts mehr genützt“, erinnert sich Einem.
Heute, nach der hohe Wellen schlagenden Ausweisung eines Teils der kosovarischen Familie Zogaj, würden sich Alfred Gusenbauer und Klubchef Josef Cap wohl wünschen, damals mehr auf die parteiinternen Gegner gehört zu haben. Ihre harsche Kritik an der Unbeweglichkeit des sichtlich gestressten Innenministers Günther Platter würde dann um einiges glaubwürdiger ausfallen.
Denn seit einigen Tagen ist die Stimmung in der Bevölkerung völlig umgeschlagen – nicht zuletzt eine Folge der flehenden Appelle der untergetauchten Tochter. Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten Umfrage des OGM-Instituts meinen 62 Prozent der Österreicher, gut integrierte Ausländer sollten nach fünf Jahren Aufenthalt im Land bleiben dürfen. Nur 28 Prozent sind auch in diesem Fall für eine Ausweisung, sollte kein Asylgrund vorliegen.
Am Samstag demonstrierten im ober-österreichischen Frankenburg, wo die Zogajs zuletzt gelebt hatten, Menschen, die wohl noch nie auf einer Demo waren, für die Rückholung des männlichen Teils der Familie. Die Mutter liegt nach wie vor mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus. Am Dienstag werden die Demonstrationen dem Innenminister näher rücken: Dann soll in der Wiener Innenstadt aufmarschiert werden. Am Mittwoch findet im Nationalrat eine von den Grünen beantragte Sondersitzung des Nationalrats statt, bei der dann wohl auch die einst zurückgepfiffenen SP-Abgeordneten ihrem Unmut über das Gesetz Luft machen dürfen. Einer von ihnen ist allerdings nicht mehr dabei: Menschenrechtssprecher Walter Posch wurde bei der Nationalratswahl 2006 nur noch an unwählbarer Stelle nominiert und musste dem Spittaler Bürgermeister Gerhard Köfer, einem Hardliner, Platz machen.
Das im Juli 2005 beschlossene Fremdenrechtspaket war notwendig geworden, weil der Verfassungsgerichtshof das von der ÖVP-FPÖ-Regierung erst zwei Jahre zuvor gebastelte Asylrecht wegen schwerer Mängel an mehreren sensiblen Stellen zurückgewiesen hatte. Statt einer punktuellen Reparatur entschloss sich die Regierung Schüssel zu einer völligen Neufassung des gesamten Fremdenrechts: Auf 118 Seiten wurden Asylgesetz, Fremdenpolizeigesetz, Niederlassungs-, Aufenthalts- und Bundesbetreuungsgesetz neu geschrieben. Sinnvoll an vielen Stellen – etwa dort, wo es um die Verkürzung der Verfahren geht –, aber weit härter als jedes je in Österreich beschlossene Fremdenrecht.

Human und fair. Das Ja der SPÖ war eher von Taktik als von Überzeugung bestimmt: Zum einen wollte man – wenn auch auf sensiblem Gebiet – Koalitionsfähigkeit unter Beweis stellen; überdies versuchte die SPÖ der ÖVP damals gerade abzuverhandeln, dass Schulgesetze auch mit einfacher Mehrheit geändert werden können, um im Fall einer rot-grünen Mehrheit die Gesamtschule einführen zu können.
Verhandlungsführer Darabos lobte in seiner Nationalratsrede das Paket, „das einen humanen und fairen Umgang mit Asylwerbern und Flüchtlingen vorsieht“, also „eine humane und menschengerechte Gesetzgebung im Asylbereich“ darstelle. Und Darabos nannte noch einen Grund für das Ja der SPÖ: So habe man wenigstens den Plan von ÖVP und BZÖ zu Fall gebracht, durch einen Gesetzespassus weitere 40.000 Scheinselbstständige auf den österreichischen Arbeitsmarkt zu bringen, was Lohndumping und Sozialabbau bedeutet hätte.
Nach der Abstimmung zog sich der Nationalrat in die Parlamentsferien zurück. Als er Mitte Oktober 2005 wieder zusammentrat, wurde mit den Stimmen von ÖVP und BZÖ eben dieser Passus nachträglich beschlossen. Darabos zeigte sich „empört“. Bis Weihnachten 2005 sollte außerdem ein Asylgerichtshof eingerichtet werden, hatte Darabos mit Innenministerin Liese Prokop (ÖVP) vereinbart. Tatsächlich passierte das Asylgericht erst vergangene Woche den Ministerrat.
„Wir sind damals wirklich gelegt worden“, ärgert sich Fremdenrechts-Kritiker Caspar Einem.
Von Beginn an stand das neue Fremdenrecht im Kreuzfeuer der Kritik. Dieses sei „das bisher restriktivste Migrations- und Flüchtlingsrecht der österreichischen Geschichte“, meinte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Manfred Nowak. Verfassungsgerichtshofpräsident Karl Korinek attestierte dem Gesetz „schlicht und einfach mangelnde Qualität“. Eine Änderung tue not. Die Rektorenkonferenz wies auf besonders skurrile Fälle hin: Ausländische Professoren müssten über Deutschland nach Österreich einreisen, um an Projektmeetings teilnehmen zu können.
Die neue Justizministerin Maria Berger (SPÖ) sah im vergangenen Jänner schon in einem ihrer ersten Interviews „Reparaturbedarf“ für das Fremdenrecht: „Das Gesetz hat Folgen, die mir nicht gefallen.“ Im April kritisierte auch Bundespräsident Heinz Fischer „menschliche Härten, die man in dieser Form nicht akzeptieren kann“, wenn wegen der exzessiven Verfahrensdauer längst integrierte Familien einfach abgeschoben würden.

Unbefristetes Bleiberecht. In der SPÖ war die Kritik ohnehin nie verstummt. Im vergangenen Dezember schlug der oberösterreichische Soziallandesrat Josef Ackerl vor, allen Familien mit Kindern, die vor dem 1. Dezember 2006 einen Asylantrag gestellt haben, ein unbefristetes Bleiberecht einzuräumen. Vehement warf sich auch die neue Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, ebenfalls eine Oberösterreicherin, für eine Gesetzesänderung in die Bresche. Seit dem Frühjahr hatte Prammer mit Caspar Einem an Änderungsvorschlägen gebastelt und schließlich dem SPÖ-Präsidium im vergangenen August ein achtseitiges Papier vorgelegt. Ihr Vorschlag: Wenn ein Asylwerber unbescholten und integriert fünf Jahre in Österreich zugebracht hat, soll er einen Antrag auf Bleiberecht stellen können, wobei jeder Fall einzeln geprüft werden soll. Ein ähnliches Konzept – allerdings mit nur dreijähriger Wartefrist – hatte die grüne Asylsprecherin Terezija Stoisits ihrer Partei im vergangenen Juli vor ihrem Abgang in die Volksanwaltschaft zurückgelassen.
Vergangene Woche griff Bundeskanzler Alfred Gusenbauer den Gedanken, wenn auch nicht den Zeithorizont, in einem „Falter“-Interview auf: „Wenn ein Asylwerber seit sieben Jahren oder mehr in Österreich lebt, integriert ist und nicht straffällig wurde, soll er bleiben dürfen.“ Die jüngsten Abschiebungen finde er „grauslich“.
Vom Stoisits-Vorschlag – drei Jahre Aufenthalt, dann Bleiberecht – wären derzeit theoretisch 11.888 Asylwerber betroffen, deren Anträge schon drei oder mehr Jahre auf die Erledigung warten. Die Prammer/Einem-Variante – fünf Jahre – gäbe 3221 Asylwerbern die Möglichkeit, ein Bleiberecht zu beantragen. Die Gusenbauer-Idee – sieben und mehr Jahre Wartezeit – beträfe 799 Asylwerber. Vorausgesetzt freilich, sie wurden nie straffällig und sind integriert, was die tatsächliche Zahl der Anspruchsberechtigten verringern würde.
Unbewältigbare Größen? Nur zum Vergleich: In Spanien wurden 2005 mehr als 570.000 illegale Einwanderer „legalisiert“, in Italien waren 2002 bei einer ähnlichen Amnestie 634.000 Illegale pardoniert worden. Insgesamt seien in Europa in den vergangenen 25 Jahren rund vier Millionen illegale Immigranten nachträglich mit Bleiberecht ausgestattet worden, errechnete der Europarat vergangenen Juli in einer Studie. Vor allem die Arbeitgeberverbände hätten sich für diese Legalisierungsaktionen starkgemacht, weil sie an billigen Arbeitskräften interessiert seien, insgesamt seien die Legalisierungsaktionen aber positiv zu beurteilen.

Starker Mann. Die Wirtschaftspartei ÖVP rührt dies wenig. Schon bald nach der Regierungsbildung sah Vizekanzler und Parteiobmann Wilhelm Molterer „keinen Bedarf für eine Entschärfung“ des Fremdenrechts. Innenminister Günther Platter hält ohnehin tapfer die Stellung, wofür ihm Molterer vergangenen Freitag bei der Klausur des ÖVP-Parlamentsklubs in Sankt Wolfgang ausdrücklich Lob spendete. Der Minister zeigte sich daraufhin einmal mehr als starker Mann: „Eines kann nicht sein: dass der Staat erpressbar ist.“
Auch die Haltung der Volkspartei ist nicht frei von taktischem Kalkül: In der Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse kursieren neuere Meinungsumfragen, wonach die Islamismus- und Ausländerdebatte die SPÖ ein paar Prozentpünktchen kosten könnte, vor allem in den Arbeiterbezirken, wo schon anno Haider rote Wähler zur FPÖ übergelaufen waren. Das eigene Stimmenpotenzial will die ÖVP nach rechts durch besonders forsche Haltung abdichten – eine Aufgabe, die der bullige Generalsekretär Hannes Missethon übernommen hat.
Dem ÖVP-Wirtschaftsflügel gefällt das weniger. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Reinhold Mitterlehner vergangenen Freitag in einem „Standard“-Interview: „Einerseits machen wir Werbetouren für Facharbeiter, andererseits schieben wir langjährig integrierte Ausländer ab. Das ist ein Problem.“ Kammerpräsident Leitl kritisierte, es sei „unverantwortlich, dass Asyl-verfahren so lange dauern, bis der Asylwerber in Österreich verwurzelt ist“. Nach einem Gespräch zwischen Mitterlehner und Innenminister Platter am Rande der ÖVP-Klubklausur war man freilich wieder um Harmonie bemüht: Es gebe keinen ÖVP-internen Streit, er, Mitterlehner, habe mit Platter „Einvernehmen hergestellt, dass versucht wird, die Problemfälle in Zusammenhang mit langjähriger wirtschaftlicher Integration zu lösen“. Reichlich vage.
Ebenso vage werden in der überschaubaren Zukunft alle entsprechenden Entscheidungsgrundlagen bleiben. Künftig sollen die Landeshauptleute auf der Basis eines „Kriterienkatalogs“ dem Innenminister Vorschläge unterbreiten, ob eine Familie auch bei negativem Asylbescheid bleiben darf oder nicht. Neu in den Katalog wurde vergangene Woche vom Ministerrat der Punkt „berücksichtigungswürdige Gründe wie insbesondere der Grad der Integration und bestehende familiäre Bindungen“ aufgenommen.
Die grüne Volksanwältin Terezija Stoisits sieht die neuen Befugnisse der Landeshauptleute mit Skepsis: „Wenn der Sohn ministriert, wird der Landeshauptmann sagen: Super integriert. Aber was sagt er, wenn die Mutter ein Kopftuch trägt?“

Von Herbert Lackner