Nichtwähler- Geständnis

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Ich gehöre auch zu denen, welche die EU-Wahlen gespritzt haben. Präziser: Mein Interesse daran war nicht groß genug, bei meinem letzten Wien-Aufenthalt eine Wahlkarte zu organisieren und sie in Spanien zur Post zu tragen.

Ich gehöre damit – trotz aller Aufklärungsarbeit der Medien, Plakate und Werbespots – zu denen, die nicht recht wissen, wozu das EU-Parlament gut sein soll. Die EU ist bei weitem noch kein Bundesstaat, in dem die gemeinsame Politik vom gemeinsamen Parlament beschlossen würde, sondern weit eher ein Staatenbund, in dem die einzelnen Staaten sich dann und wann auf gemeinsame Ziele einigen. Den Regierungschef, der an diesen Einigungen Anteil hat – in meinem Fall Bundeskanzler Wolfgang Schüssel –, habe ich in den nationalen Wahlen ausreichend mitbestimmt (im konkreten Fall: nicht verhindern können) und halte es daher für demokratisch durchaus legitim, dass der Inhalt der von ihm mitbestimmten EU-Einigungen für mich bindend ist.

Wenn in Brüssel irgendetwas geschähe, das ich für katastrophal hielte und an dem Schüssel Anteil hätte, dann wäre das für mich ein wichtiger Grund, die schwarz-blaue Regierung abzuwählen, nicht aber, bei den nächsten EU-Wahlen besondere Mühe aufzuwenden, die rote oder grüne Liste zu stärken.

Ich glaube, das Problem ist grundsätzlicher Art: An einem Parlament, das so vergleichsweise wenig zu sagen hat, ist man als Wähler nicht wirklich interessiert.
Die EU-Parlamentarier, denen diese Konstellation natürlich bewusst ist, wollen daher seit Jahren mehr zu sagen haben, und ein bisschen mehr Vollmachten haben sie ja sukzessive bekommen. Doch dieser Machtzuwachs muss seine Grenzen darin finden, dass die EU eben weit eher ein Staatenbund als ein Bundesstaat ist. Denn als Staatenbund hat sie eben (fast) keine „Regierung“, deren Gesetzesvorlagen zu beschließen sind und die bei schlechter Leistung abzuwählen ist.

Vielleicht ginge ich eher zur Wahl, wenn ich die Kommissare wählen könnte: Ob ein potenzieller Kandidat für diese Funktion geeignet ist, ist von einer für mich einsichtigen Bedeutung. Aber mein Einfluss auf seine Bestellung – indem ich etwa die SPÖ-Liste der Europaparlamentarier ankreuze –, ist zu dürftig, um mich zu motivieren.

Auch dieses Problem ist grundsätzlicher Art und prolongiert die mangelnde Attraktivität der EU-Wahlen. Allerdings, ohne dass daraus besonderer Schaden erwüchse: Im Allgemeinen schicken alle Parteien eher intelligente Abgeordnete nach Brüssel (nicht selten, weil sie im Lande mit ihnen nichts anfangen können), und die Regierungsparteien bemühen sich, eher fähige Mitglieder aus ihrer Riege als Kommissare zu nominieren.

Wieder hat es daher mehr Sinn, bei nationalen Wahlen das Europa-Verhalten einer Regierungspartei mit zu berücksichtigen, als an den EU-Wahlen teilzunehmen.

In Wirklichkeit nützte diese Einstellung der EU derzeit am meisten: die nationalen Regierungen wesentlich daran zu messen, was sie in der EU zustande bringen. An der falschen Stelle geschieht das auch: Es hilft der jeweiligen nationalen Regierung, wenn sie in Brüssel hohe Subventionen für ihr Land herausreißt. Leider werden noch so große supranationale Leistungen kaum gewürdigt: Wo wird gefeiert, dass es der EU unglaublicherweise gelungen ist, sich nicht nur intern auf die gleiche Quellensteuer zu einigen, sondern sogar noch die Schweiz in diese Einigung einzubeziehen?

Vielleicht, und das macht das Problem noch komplexer, gelingen in Brüssel so viele erstaunlich große Schritte in die richtige Richtung, gerade weil sie aus allen Wahlkämpfen weit gehend ausgeklammert sind, sich quasi im Schatten der Politik ereignen. Ehrgeizige Finanzminister haben daran ebenso Anteil wie ehrgeizige Kommissare und ehrgeizige Mitglieder der viel gescholtenen Brüssler Bürokratie.
Das EU-Parlament kann ihnen nur gerade applaudieren.

Ausgerechnet die verhasste Brüssler Bürokratie ist wahrscheinlich der wichtigste Motor des Fortschritts. Bürokratische Apparate, das ist eine alte Gesetzmäßigkeit, schaffen sich ihr Betätigungsfeld. Das ist im Falle einer sehr jungen Organisation wie der EU ein Segen, nicht, wie die öffentliche Meinung vermutet, ein Fluch: Langsam, aber stetig treiben die Bürokraten die so entscheidende Vereinheitlichung der europäischen Normen voran und setzen den Abbau jener Hürden durch, die Europas Wettbewerb behindern.

Dass große Autokonzerne am Ende doch gezwungen sind, ihre Fahrzeuge in allen Staaten der EU zu ähnlichen Bedingungen zu liefern, oder dass entstaatlichte Fluglinien irgendwann doch vernünftige Flugpreise anbieten werden, ist in erster Linie jener Brüssler Bürokratie zu danken, die bei Europas Bürgern das schlechteste denkbare Image hat. Deshalb muss man vielleicht froh sein, dass die EU-Wähler nicht allzu viel Einfluss darauf haben, was in Brüssel geschieht, denn sie votierten sicherlich dafür, diesen so nützlichen bürokratischen Apparat als „zu groß und zu teuer“ abzuschaffen.

Dabei resultiert die Größe des Brüssler Stabes nicht aus der Überzahl der Beamten, sondern der großen Zahl notwendiger Übersetzer, weil Europa nun einmal keine gemeinsame Sprache hat.

Der eigentliche Apparat ist kleiner als der einer österreichischen Landesregierung und ihrer Verwaltung, wie wir sie uns gleich in neunfacher Ausführung leisten.