Kommt ein Impfstoff gegen Tabaksucht?

Nikotinsucht: Asche zu Asche

Neue Medikamente gegen Nikotin-Sucht

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Der Entzug war die Hölle, sagt Mira Zigman aus Miami, Florida. Die 58-jährige Modedesignerin hatte seit ihrem 16. Lebensjahr ohne Unterbrechung geraucht, je nach Situation zwischen einer und zwei oder mehr Schachteln Zigaretten pro Tag. Am 16. Mai dieses Jahres unterzog sich Zigman einer Raucherentwöhnung mittels Spritze, die USA-weit in vielen privaten Kliniken angeboten wird. Mit dem Entzug wollte sie ihrem nichtrauchenden Ehemann, der unter dem permanenten Qualm gelitten hatte, ein Geburtstagsgeschenk machen, sagt Zigman. Die liebevolle Idee war allerdings mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden: „Wochen- und monatelang verließ ich das Bett nur, wenn ich ins Bad musste oder mir etwas zum Trinken holte. Ich dachte, ich muss sterben“, berichtet die Frau. Heute glaubt Zigman zwar, ihre Sucht los zu sein, aber sie leidet, möglicherweise auch bedingt durch das viele Liegen, unter einer schweren spastischen Bronchitis.

Völlig konträr ist der Erfahrungsbericht der 56-jährigen Vera Badian, einer in Bal Harbour, North Miami Beach, lebenden Wienerin, die sich vor Monaten derselben Spritzenkur wie Zigman unterzog. Auch sie hatte jahrzehntelang geraucht. Doch anders als Zigman hatte Badian wiederholt erfolglose Versuche unternommen, von der Sucht loszukommen. Nun ist sie überzeugt, es geschafft zu haben. „Bei mir ging es völlig ohne Probleme. Wenn heute jemand neben mir raucht, dann schau ich ihm dabei zu, als wäre das für mich eine völlig fremde Tätigkeit“ (siehe auch Kasten „Stop-Smoking-Spritze“, Seite 127).

Die seriöse Wissenschaft kommentiert derartige Berichte nicht ohne Häme. „Wenn diese Patientin mit dem Rauchen aufgehört hat, dann ist ihr zu gratulieren, egal ob dieser Erfolg auf den Medikamentencocktail, auf Gebete oder sonstige Ursachen zurückzuführen ist“, sagt Jack E. Henningfield, Suchtforscher am Department für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der Johns Hopkins University in Baltimore. „Aber nichts dergleichen bedeutet, dass es sich hier um eine legitime Behandlungsform handelt. Denn den Medikamentenstatus erreicht ein Wirkstoff nur, wenn dafür entsprechend designte und kontrollierte klinische Studien über Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit vorgelegt werden. Wenn die Leute, die diese Spritze bewerben, einen finanziellen Gewinn erzielen, dann sollten sie gefälligst in den Prozess der Legitimierung ihrer Therapie eintreten. Es ist zu hoffen, dass sie bis zum Vorliegen einer Legitimierung nicht mehr behaupten, dass Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapie ‚geprüft‘ seien.“

Blockade. Auch der schwedische Pionier der Tabaksuchtforschung, Karl-Olov Fagerström, bezeichnet die in den USA von einem Unternehmen namens Welpex in „Lifeline Stop Smoking Clinics“ angebotene Spritze als wissenschaftlich nicht ausreichend geprüft, wenngleich er ihr eine mögliche Wirksamkeit nicht von vornherein absprechen will (siehe auch Interview, Seite 128). Der Wirkstoff, ein so genanntes Anticholinergikum, soll die Nikotinrezeptoren im Gehirn blockieren und auf diese Weise das Verlangen ausschalten. Mit diesem Ansatz experimentieren Forscher seit vielen Jahren nicht nur in den USA, sondern beispielsweise auch in Schweden oder in Israel.

Mit verschiedenen Methoden, die Mechanismen der Sucht direkt im Gehirn zu beeinflussen, befasst sich aber längst auch die seriöse Pharmaforschung – nicht ohne Erfolg. Nach Approbierung durch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA kam kürzlich in den USA ein Medikament zur Raucherentwöhnung einer völlig neuen Klasse auf den Markt, das möglicherweise schon diese Woche auch die Zulassung seitens der europäischen Arzneimittelbehörde bekommen wird. In den USA wird das Präparat unter der Bezeichnung „Chantix“ vermarktet, in der EU soll es im kommenden Jahr unter dem Namen „Champix“ auf den Markt kommen. Der vom US-Pharmaunternehmen Pfizer entwickelte Wirkstoff Varenicline setzt auf zweifache Weise an den Nikotinrezepto-ren im Gehirn an: Einerseits täuscht die Substanz bis zu einem gewissen Grad die Wirkung von Nikotin vor, andererseits blockiert sie den Rezeptor gegen ein Eindringen tatsächlicher Nikotinmoleküle.

Abstinenz. Mit diesem dualen Ansatz hoffen die Forscher, die hohe Rückfallrate zu drosseln. Denn etwa 40 Prozent der Tabakkonsumenten versuchen Jahr für Jahr, das Rauchen aufzugeben, heißt es in einer Anfang Juli im „Journal of the American Medical Association“ („JAMA“, 2006 – Vol 296, No.1) publizierten Studie über den Wirkstoff Varenicline. Doch nur etwa zehn Prozent der Aufhörwilligen bleiben auch abstinent. Experten führen die niedrige Erfolgsrate vor allem auf die erheblichen Nebeneffekte zurück, welche der Entzug mit sich bringt. Bisherige behördlich zugelassene Behandlungsmethoden der Nikotinabhängigkeit, wie etwa die Nikotinersatztherapie (Nikotininhalator, -kaugummi und -pflaster) oder Zyban, leisteten zwar wichtige Beiträge zur Bekämpfung der Sucht, aber ihre Wirksamkeit war mit maximal doppelt so hohen Erfolgsraten wie in Placebogruppen durchaus überschaubar. Daher lag der Bedarf an zusätzlichen und effizienteren Therapien auf der Hand.

In den vergangenen Jahren fanden Forscher heraus, dass bei der Nikotinsucht ein spezieller Rezeptor im Gehirn eine Schlüsselrolle spielt. Es handelt sich dabei um einen Subtyp des Nikotin-Acetylcholin-Rezeptors mit der Bezeichnung a4b2, der das Rauchverhalten maßgeblich steuert, indem er die Wirkung des Nikotins noch weiter verstärkt. Messbar wird dieser Verstärkereffekt anhand des Dopaminumsatzes im Gehirn sowie der Dopaminausschüttung im so genannten Nucleus accumbens, einer zentralen, für die Entstehung von Sucht maßgeblichen Schaltstelle des Belohnungszentrums im Gehirn. Dopamin ist der wichtigste Botenstoff in diesem Belohnungssystem.

Wirksamkeit. In einer groß angelegten, zwischen Juni 2003 und April 2005 an 19 Zentren in den USA durchgeführten Phase-III-Studie (das ist die letzte klinische Prüfung vor einer möglichen Zulassung), an der insgesamt 1025 gesunde Raucher im Alter zwischen 18 und 75 Jahren teilnahmen, wurde die Wirkung von Varenicline im Vergleich zu Zyban und Placebo getestet. Bei allen Messpunkten zeigte der neue Wirkstoff einen um rund 50 Prozent höheren Effekt als Zyban und einen nahezu dreimal höheren als Placebo. Nach einem Jahr waren in der Gruppe der mit Varenicline behandelten Raucher noch etwa 22 Prozent abstinent, in der mit Zyban behandelten Gruppe noch etwa 16 Prozent, in der Placebogruppe etwa acht Prozent.

Die Fachwelt sieht in diesen Ergebnissen einen deutlichen Fortschritt gegenüber Zyban, das in der Raucherentwöhnung auch wegen unangenehmer Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Mundtrockenheit und Schweißausbrüchen „kaum noch eine Rolle spielt“, wie der Wiener Sozialmediziner Ernest Groman, Leiter des Wiener Nikotininstituts, beobachtet. Es wird auch von der Herstellerfirma GlaxoSmithKline nicht mehr beworben. Zyban war im Zusammenhang mit vereinzelt in Großbritannien aufgetretenen Todesfällen unter Verdacht geraten, aber ein kausaler Zusammenhang mit der Verabreichung der Substanz ließ sich bei genauerer Überprüfung der Fälle nicht nachweisen. Das ursprünglich als Antidepressivum eingeführte Präparat zeigte zufällig auch einen Entwöhnungseffekt bei Rauchern, worauf der Wirkstoff auch als Wundermittel gegen die Nikotinsucht beworben wurde. Zyban ist eine dopaminerge Substanz, das heißt, der Wirkstoff greift in den Dopaminhaushalt des Gehirns ein. „Zyban steigert die Erfolgswahrscheinlichkeit, aber es ist sicher kein Wundermittel“, so Groman.

Jede neue, wirksamere Substanz ist den Fachleuten willkommen, allein schon deshalb, „weil Raucher immer einen neuen Anlauf brauchen“ (Groman). Es gibt aber noch andere, speziell mit dem neuen Wirkstoff Varenicline verbundene Gründe, wie etwa die Wiener Suchtforscherin und Psychiatrie-Professorin an der Medizinuniversität Gabriele Fischer erläutert: In die Phase-III-Studie zur Wirksamkeit von Varenicline wurden erstmals gleich viele weibliche wie männliche Probanden aufgenommen, was vor allem deshalb wichtig erscheint, weil laut Fischer „Frauen eine höhere Abhängigkeit entwickeln und in der Entwöhnung weniger erfolgreich sind als Männer. Wenn sie beim Entzug zunehmen, fangen sie gleich wieder an zu rauchen.“ Umso bemerkenswerter sei der Umstand, dass die Varenicline-Studie bei Frauen wie Männern gleiche Ergebnisse zeigt, und keine deutliche Gewichtszunahme bei Frauen.

Unterdessen arbeiten mehrere Biotech-Firmen an der Entwicklung einer Impfung gegen die Nikotinsucht. Eines dieser Unternehmen ist die Züricher Cytos Biotechnology AG. Der von Cytos entwickelte Impfstoff beruht auf Antikörpern, die verhindern sollen, dass das Nikotin vom Körper aufgenommen wird. Eine im vergangenen Jahr von Cytos durchgeführte Phase-II-Studie, an der 340 Raucher teilnahmen, hat laut Wolfgang Renner, dem Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens, ergeben, dass in einer Gruppe mit hoher Antikörperbildung 57 Prozent der Probanden noch nach sechs Monaten abstinent waren, in der Placebo-Vergleichsgruppe waren es 31 Prozent.

Optimierung. Nun versuchen die Biotechnologen von Cytos, die Parameter ihres Impfstoffes zu optimieren und die Dosis so weit anzupassen, dass schließlich 60 Prozent der mit dem Impfstoff behandelten Raucher nach sechs Monaten abstinent sind. Im kommenden Jahr wollen sie dann den modifizierten Impfstoff in einer größeren Studie testen. „Aber es wird sicher noch bis 2010 dauern, bis wir ein marktreifes Produkt haben“, sagt Renner. Experten wie Fischer oder Fagerström äußern sich zu den bisherigen Impfkonzepten dennoch skeptisch.

Was immer die Forscher an neuen Mitteln ersinnen, die Raucher sind laut Beobachtung von Nikotinforscher Groman „keine leichte Zielgruppe“. Die dieswöchige Anhebung der Zigarettenpreise um zehn Cent pro Packung erhöht zwar wieder einmal den Druck, was den einen oder anderen doch bewegen könnte, von der Zigarette zu lassen. Aber, so beobachtet Groman, „ein gutes Drittel der Raucher denkt nicht ans Aufhören und ist damit zufrieden, wie es ist“.

Von Robert Buchacher