Nostalgie:

Nostalgie: Hallo, Lenin!

Hallo, Lenin!

Drucken

Schriftgröße

Die Grenzbeamten tragen Uniform und kennen keine Gnade: Einreisen darf nur, wer zuvor den Zwangsumtausch absolviert hat. Zur Belohnung wartet hinter dem Grenzbalken ein Trabi, der den nächstgelegenen Delikat-Supermarkt ansteuert oder vielleicht auch eine lauschige Datscha im Grünen. Falls den Reisenden der Hunger plagt, bekommt er im Gasthaus einen knusprigen Broiler* mit Sättigungsbeilage serviert und danach ein Kännchen Mocca Fix Gold.

So ähnlich wird ein Tag im DDR-Funpark aussehen, der im Mai kommenden Jahres auf dem Gelände der Kabelwerke Oberspree in Berlin eröffnet werden soll. Für die Planung verantwortlich ist die Massine Productions GmbH, bisher vor allem als Musical-Veranstalter im Geschäft. "Wir wollen die DDR so zeigen, wie die Allgemeinheit sie erlebt hat", kündigt deren Chef, Peter Massine, an. Die Grenzen der Political Correctness würden dabei nicht gesprengt, behauptet er: "Unser Themenpark wird kein Disneyland, wir wollen uns ja nicht an vergangenem Elend bereichern, indem wir einen verklärten Rückblick zeigen."

Das Gleiche verspricht auch RTL. Am 3. September startet der deutsche Privatsender die "DDR-Show". Moderieren werden Oliver Geißen (ein Wessi) und die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt (aufgewachsen in der DDR und einst vermarktet als "das schönste Gesicht des Sozialismus "). Vier Folgen lang (jeweils am Mittwoch um 21.15 Uhr) werden Studiogäste über den Alltag in der DDR plaudern und ihre lustigsten Erfahrungen austauschen. Während Kati Witt der Ansicht ist, es habe keinen Zweck, übertrieben kritisch zurückzuschauen, "weil es da auch sehr schöne Zeiten gab", fühlt sich Oliver Geißen verpflichtet, in Interviews einen verantwortungsbewussten Unterton anzuschlagen: "Wir können nicht so tun, als sei damals alles nur lustig gewesen. Immerhin sind in diesem Staat Menschen zu Tode gekommen."

Tot, aber trendig. Das stimmt zwar, kann die gute Laune aber wohl nur am Rande trüben. Wenn ihre Macher dem aktuellen Trend folgen, werden weder der DDRFunpark noch die "DDR-Show" ohne Verklärung der Historie auskommen. Und schon gar nicht das ZDF, das am kommenden Sonntag ebenfalls eine "Ostalgie- E Show" sendet. Versprochen wird gut gelaunt "ein Kessel Buntes".

Die DDR ist derzeit so trendy wie noch nie - schon gar nicht zu ihren Lebzeiten. Fast vierzehn Jahre nach dem Mauerfall am 9. November 1989 erlebt der untergegangene Arbeiter- und Bauernstaat ein bemerkenswertes Revival.

Hauptsächlich schuld an der Ostalgie- Welle ist der deutsche Kinofilm "Good Bye, Lenin", der zum Sensationserfolg wurde. Über sechs Millionen Menschen haben den Film allein in Deutschland gesehen, in 65 Länder ist der Streifen weiterverkauft worden. Auch in Österreich war die Low-Budget-Produktion des - westdeutschen - Regisseurs Wolfgang Becker mit bisher 111.000 Zusehern ausgesprochen gut besucht.

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mannes, der seiner todkranken, eben aus dem Koma erwachten Mutter eine intakte DDR vorgaukelt, obwohl die Mauer längst gefallen ist und der Kapitalismus sich schon überall breit macht. Da in allen Geschäften die Ostware aussortiert und gegen Westprodukte ausgetauscht wurde, kann er die einstige Normalität nur unter größten Mühen wieder herstellen. Besonders kompliziert gestaltet sich die Suche nach einem Glas Spreewald- Gurken, das sich Mama so sehnlich wünscht.

"Good Bye, Lenin" ist ein sympathischer, vergnüglicher, zum Teil rührender, aber weitgehend unpolitischer Film. Gezeigt wird eine DDR, die der Nichtossi bisher kaum zu sehen bekam: die Alltags- DDR - offenbar eine enorme Marktlücke.

Seither ist überall, wo DDR draufsteht, ein gutes Geschäft drin. Ostlebensmittel wie Club-Cola, Halloren-Schokoladekugeln und Zetti-Knusperflocken sind wieder sehr gefragt, Geschäfte und Internet- Versandhäuser, die damit handeln, verzeichnen kräftige Umsatzzuwächse. Es gilt als schick, mit einem FdJ(Freie deutsche Jugend)-Hemd in die Diskothek - oder noch besser: auf eine Ostalgie-Party - zu gehen und im Trainingsanzug des Sportverbandes der DDR zum Schulturnen.

In der Berliner Neuen Nationalgalerie läuft seit 27. Juli die Ausstellung "Kunst in der DDR", die so gut besucht ist, dass sich wie seinerzeit ein echter DDR-Bürger lange anstellen muss, wer einen Katalog kaufen will. Gleiches gilt für Führungen durch den "Palast der Republik", die stets ausgebucht sind.

Auch die Lebenserfahrungen der einstigen Ossis sind von Interesse. Der Roman "Zonenkinder" der jungen Autorin Jana Hensel geriet zum Bestseller und löste eine Welle von DDR-Erlebnisberichten aus. Jüngste Neuerscheinung: "Meine freie deutsche Jugend" von Claudia Rusch.

Trabi-Konvoi. Seit März bietet der Jungunternehmer Rico Heinzig, Inhaber der Eventagentur "High Life", Berlin-Touren mit Trabis an. Nach einer kurzen Unterweisung in der Viergang-Revolver-Handschaltung dürfen die Kunden im Konvoi durch die Innenstadt fahren. Zur Klientel gehören nicht nur Touristen, sondern auch Ostdeutsche, erzählt Heinzig. "Der Trabi ist für viele Ossis eine Art emotionaler Anker zur eigenen Vergangenheit."

Und vor ein paar Tagen wurde der deutsche SPD-Politiker Tilo Braune genötigt, für die Fotografen in eine "Ostalgie-Pizza" zu beißen. Das gute Stück ist mit Soljanka FILMLADEN, RICO HEINZIG "Der langjährige DDR-Verriss hat ein Potenzial geschaffen, auf das man zurückgreifen kann. Erst jetzt wird das professionell vermarktet" Thomas Ahbe, Soziologe (ein ostdeutscher Rindfleischeintopf) oder Letscho belegt und stammt aus der Bäckerei eines Berliner Tiefkühlpizza-Herstellers. Dass es in der DDR gar keine Pizza gab, wird die Marktchancen des Produktes wohl nicht schmälern, denn um eine realitätsnahe Abbildung der Vergangenheit geht es in der Ostalgie sowieso nicht.

"Seit in dem Film ¸Good Bye, Lenin` sogar die DDR-Nachrichtensendung ,Aktuelle Kamera` veralbert wird, hat das alte System alle Gefährlichkeit verloren", resümierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung ". Und die ostdeutsche Zeitschrift "Das Magazin" befand: "Die DDR wird putzig."

Man könnte auch sagen: Die DDR ist tot - und mit jedem Tag sieht sie besser aus. Jahrzehntelang hat die "Bild Zeitung" das Wort DDR nur zwischen Anführungszeichen abgedruckt, um ihrer Missbilligung der deutschen Trennung Ausdruck zu verleihen. Im kollektiven Gedächtnis der Nichtossis war fast ausschließlich Trostloses archiviert: die Berliner Mauer mit ihren Scharfschützen, die öden Plattenbausiedlungen, die Stasi-Protokolle. "Aus westdeutscher Perspektive ist die DDR wirklich nur dieser autoritäre, biedere Staat gewesen. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit", hat sich die Rocksängerin Rocksängerin Nina Hagen schon vor Jahren einmal beklagt.

Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise in ganz Deutschland ist jetzt offenbar der Zeitpunkt gekommen, die "Zone" in einem milderen Licht zu sehen. "Man merkt ja jetzt erst, was man alles vermisst", hat Katarina Witt vor kurzem in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" gestanden.

Alles auf den Müll. Die Verklärung der Vergangenheit ist kein rein ostdeutsches Phänomen. 85 Jahre nach dem Ende der Monarchie in Österreich feiern Unermüdliche noch immer Kaisers Geburtstag, und der Sissi-Kitsch ist zum integralen Bestandteil der österreichischen Selbstvermarktung geworden. Und nach wie vor lassen sich genügend Österreicher finden, die glauben, dass der Nationalsozialismus auch sein Gutes hatte.

Der Unterschied ist bloß: Niemand war 1989 so froh über die Auflösung der DDR wie die DDR-Bürger selbst. Es konnte den Menschen nicht schnell genug gehen, möglichst alle Erinnerungen an ihr bisheriges Leben zu entsorgen. 1990, im Jahr der Währungsunion, produzierten die Ostdeutschen pro Kopf dreimal so viel Abfall wie die Westdeutschen. "Sie haben E damals die DDR in den Müll geschmissen ", erklärt der Leipziger Sozialpsychologe und Philosoph Thomas Ahbe. Schon in den neunziger Jahren habe es eine erste Ostalgie-Welle gegeben, "sozusagen als nachwirkende Verarbeitung und Trauerarbeit ". Aber erst jetzt werde die Sache professionell vermarktet. Ahbe: "Der langjährige DDR-Verriss hat ein Potenzial geschaffen, auf das man zurückgreifen kann."

Exotik der Zone. Der österreichische Regisseur Kurt Palm, der von 1984 bis 1986 in der DDR lebte, empfindet die aktuelle Ostalgie-Welle denn auch als nicht ganz so unpolitisch, wie sie aussieht. Auch wenn es offiziell nur um Nudossi-Brotaufstrich und Rotkäppchen-Sekt geht: "Viele Ostdeutsche erinnern sich daran, dass ihr Leben in der DDR überschaubarer war, irgendwie einfacher als heute", glaubt Palm.

Und für die nicht persönlich Betroffenen ist der Mauerfall mittlerweile lange genug her, um wie eine exotische, manchmal lustige, jedenfalls aber interessante Kulisse zu wirken. Das Westpublikum der "DDR-Show" auf RTL wird sich wohl nicht gravierend von jenem der erfolgreichen "70er-Jahre Show" unterscheiden.

Wo die Spaßgesellschaft einmal Quartier bezogen hat, bleibt meist kein Platz für differenziertere Betrachtungsweisen. Peter Alexander Hussock, Sprecher des Vereins Help, der sich unter anderem um die Opfer des DDR-Regimes kümmert, hat zwar Beschwerde gegen die RTL-Show eingereicht, fühlt sich aber nicht ernst genommen. "Die schlechten Seiten der DDR interessieren niemanden mehr." Er erinnert an die Viertelmillion politischer Gefangener in der DDR und die über tausend Menschen, die an der Mauer getötet wurden. Sich jetzt einzelne Facetten des Lebens in der DDR herauszupicken und zu glorifizieren sei unangebracht, findet Hussock. "Man kann das nicht teilen in gute und schlechte Bereiche."

Eher um die vergnüglichen Seiten der Diktatur wird es auch im nächsten Filmprojekt zum Thema DDR gehen. Derzeit laufen die Dreharbeiten für die Komödie "Kleinruppin forever", die nächstes Jahr in die Kinos kommen soll. Der Plot erinnert stark an das doppelte Lottchen - unter realsozialistischen Bedingungen, versteht sich: Auf einer Klassenfahrt bleibt ein BRD-Teenager ganz allein im Osten zurück. An seiner Stelle fährt sein ihm bis dahin unbekannter Zwillingsbruder in den Westen.

Bei dieser Handlung ist dem Film zu wünschen, dass die Ostalgie wenigstens bis zum Kinostart anhält.