Leitartikel: Sven Gächter

Obama … verzweifelt gesucht

Obama, verzweifelt gesucht

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Manche Dinge sind unvermeidlich. Das Wetter zum Beispiel oder das Amen im Gebet. Manche Dinge sind so gut, dass man nicht genug davon kriegen kann: Sonne, Sex, Schokolade (Reihenfolge irrelevant). Und manche Dinge ändern sich nie – jedenfalls nicht so, dass man es bemerken würde. Die Regierungsform der großen Koalition scheint in Österreich unvermeidlich zu sein. So gut, dass die Wähler nicht genug davon bekommen können, funktioniert sie allerdings nicht, denn sonst hätte sie im vergangenen Juli nicht wieder einmal vorzeitig zu Grabe getragen werden müssen. Kann man also zumindest hoffen, dass die nächste große Koalition anders sein wird als die vorige und dass man es auch bemerkt? Hoffen darf man immer, und sei es unter mutwilliger Verkennung der Tatsache, dass manche Dinge sich nie ändern.

Werner Faymann und Josef Pröll werden die neue Regierung führen, die Obleute jener zwei Parteien, die bei der vergangenen Nationalratswahl wegen ihrer erbärmlichen Koalitionsperformance 2007/08 brutal abgestraft wurden. Streng genommen hätten sowohl die SPÖ als auch die ÖVP aus dem Wählervotum vom 28. September vor allem eines herauslesen müssen: Ihre Mitarbeit in der Regierung ist nicht mehr erwünscht. Doch Demokratie gehorcht anderen Regeln: Es werden keine Koalitionen gewählt, sondern Parteien – wie diese sich nach dem Wahlgang zueinander verhalten, ist erstens eine Frage der Arithmetik, zweitens eine Frage der Weltanschauungen und drittens eine Frage der Personen und ihrer Persönlichkeiten.

Über die derzeit handelnden Personen Faymann und Pröll ist zunächst bekannt, dass sie einander durchaus geheuer, angeblich sogar in wechselseitiger Sympathie zugetan sind. Für diesen Umstand kann man vor dem Hintergrund der Inkompatibilitäten zwischen Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer nicht dankbar genug sein. Noch dankbarer wäre man allerdings, wenn die Politik der neuen großen Koalition etwas von jenem Problembewusstsein erahnen ließe, das der aktuellen Weltlage entspricht. Diese zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie auf innerösterreichische Befindlichkeiten, zumal kleinmütiges Parteiengezänk, keine Rücksicht nimmt. Faymann und Pröll sind wohl intelligent genug, um das zu wissen, aber ob sie stark und integer genug sind, um in ihren eigenen Reihen den Sinn für die globalen Realitäten zu schärfen, ist noch alles andere als ausgemacht.

Den Beweis, dass sie im Notfall – und ein solcher liegt derzeit vor – von den Strukturen und Seilschaften abstrahieren können, denen sie ihre steile politische Karriere verdanken, sind Faymann und Pröll bislang jedenfalls schuldig geblieben. Der eine erfindet kurzatmigen Populismus im Gleichklang mit dem Medienboulevard täglich neu, der ­andere ist im Würgegriff einer Partei gefangen, die sich partout nicht entscheiden mag, ob sie schmollen oder regieren soll, und damit ein Grundübel der alten Koalition noch vor dem Start der neuen prolongiert.

Es gibt keine Alternative zu Rot-Schwarz, zumindest keine, die nicht fahrlässig instabil oder politisch obszön wäre – in dieser nüchternen Erkenntnis kristallisieren sich Resignation und Aufbruchstimmung gleichermaßen. Faymann und Pröll haben keine Wahl: Sie müssen im Sinne staatsmännischer Verantwortung miteinander koalieren, und sie müssen um jeden Preis den Nachweis führen, dass manche Dinge sich eben doch verändern lassen. Trauen wir es ihnen zu? Trauen sie selbst es sich zu? Oder trauen sie sich wenigstens, es sich selbst zuzutrauen? Ihnen bleibt nichts anderes übrig, wenn sie den Scherbenhaufen, den ihre Vorgänger hinterlassen (und den Faymann und Pröll übrigens mit­zuverantworten) haben, wegräumen wollen.

Es wäre unfair, den nächsten Kanzler und dessen präsumtiven Vizekanzler am weltläufigen Charisma eines ­Barack Obama zu messen. Diesen Vergleich bestünden auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel oder der russi­sche Präsident Dmitri Medwedew nicht. Es erscheint jedoch keinesfalls unbillig, Faymann und Pröll auf die Frage hin zu bewerten, ob ihre politischen Visionen international dimensioniert sind, also weiter reichen als bis zur nächsten Ausgabe der „Kronen Zeitung“, zum nächsten Parteitag oder zur nächsten Landtagswahl.

Den USA kann im Angesicht der größten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte nichts Besseres passieren als die Präsidentschaft der Lichtfigur Oba­ma, jubelten die Kommentatoren nach dessen Wahl weltweit (und womöglich voreilig) – Österreich wiederum hat im Angesicht derselben Krise nun einmal nichts Besseres aufzubieten als eine große Koalition unter Werner Faymann und Josef Pröll. Dass sie als Lichtfiguren antreten, wird niemand ernsthaft behaupten. Man kann ihnen – und vor allem Österreich – nur innig wünschen, dass sie zu Lichtfiguren werden.