Georg Hoffmann-Ostenhof

Obamaland

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John McCain gewinnt am 4. November. Der Rassismus ist nach wie vor zu stark. Die Amerikaner sind einfach zu dumm, einen wie Barack Obama zu wählen. So oder so ähnlich wurde bis vor Kurzem hierzulande, aber auch anderswo in Europa räsoniert. Jetzt dürften sich diese Überlegungen als antiamerikanisches Vorurteil entpuppen. Es sieht ganz so aus, als ob das Wahlvolk der USA in seiner Mehrheit dem schwarzen Kandidaten die Stimme gibt. Alles deutet darauf hin: Die Umfragedaten lassen sogar einen Erdrutschsieg Obamas erwarten. Und nicht zuletzt die Ankündigung des verlässlich-konservativen Kommentators Charles Krauthammer macht sicher: „Ich gehe mit dem McCain-Schiff unter“, schreibt er trotzig in der „Washington Post“ und mokiert sich bitter über die republikanischen „Ratten“, seine konservativen Freunde, die nun in Scharen ins Obama-Lager überwechseln.

Es kann natürlich argumentiert werden, für den voraussichtlichen Obama-Sieg sei einfach der erbärmliche Wahlkampf der Republikaner ausschlaggebend gewesen. In der Tat: McCains Entscheidung, Sarah Palin als Vize auf das Ticket zu nehmen, war eine Schnapsidee. Zwar ist die rechte Basis der Republikaner begeistert von der bigotten Hardlinerin aus dem Norden, Gemäßigtere und Wechselwähler wurden aber en masse vertrieben. Die Unfähigkeit McCains, auch nur halbwegs konsistent auf den Absturz der Banken und Börsen zu reagieren, hat ebenfalls Obamas Werte in die Höhe getrieben. Dessen zu erwartenden Triumph auf den schlechten Wahlkampf des Kontrahenten zu reduzieren griffe freilich viel zu kurz.

Das, was wir jetzt erleben, ist ein Umbruch historischen Ausmaßes. Es ist zu spüren: Eine geschichtliche Ära geht zu Ende. Aber welche? Nach dem liberalen Aufbruch der sechziger Jahre setzte mit dem Republikaner Richard Nixon ein gewaltiger Backlash ein. Nixon wurde 1968 Präsident. Bürgerrechte für die Schwarzen, Anti-Vietnamkriegs-Demos, die Hippie-Bewegung, sexuelle Befreiung: Die Liberalisierung der Gesellschaft war vielen zu schnell und zu wild gekommen. Die Demokratische Partei, die sich mit dem Neuen identifizierte und mit diesen Tendenzen auch identifiziert wurde, verlor den Süden, den sie bis dahin dominiert hatte. Viele gemäßigte Demokraten wechselten zu den Republikanern. Der Konservativismus siegte auf allen Linien. Liberal wurde ein Schimpfwort, die Todesstrafe fand wieder eine überwältigende Mehrheit von Befürwortern, man ging daran, den „revolutionären Schutt“ der sechziger Jahre wegzuräumen. Seit Nixon ist das Land geteilt: in das der „schweigenden Mehrheit“, die immer lauter wurde. Und das des „liberalen“ Amerika, der luxurierenden urbanen Eliten, die angeblich das Volk hassen.
Gewiss, es gab auch in dieser Periode demokratische Präsidenten: Jimmy Carter von 1977 bis 1981 und Bill Clinton von 1992 bis 2000. Beide regierten aber gegen den konservativen Zeitgeist. Carter war nur eine Amtszeit gegönnt. Und Clinton musste sich sechs seiner acht Präsidentenjahre mit einer satten republikanischen Mehrheit im Kongress ­herumschlagen – was zur Folge hatte, dass der pragmatische Clinton vielfach nach rechts einschwenkte.

Diese konservative Ära, die mit Nixon begann, geht nun zu Ende – nicht zuletzt weil die US-Gesellschaft insgesamt liberaler geworden ist. Bereits seit Ende der neunziger Jahre werden die Freunde der Todesstrafe weniger, nimmt die Kirchgangsfrequenz ab, werden rassistische Vorurteile und Vorbehalte gegen Schwule dramatisch abgebaut. Das zeigt die Meinungsforschung. Die Bush-Jahre mit Terror und Krieg, mit Abu Ghraib und Guantanamo verdecken den Reifungsprozess der US-Gesellschaft. Die Demokraten fahren nun die Ernte ein. Der Versuch der McCain-Kampagne, Ressentiments gegen das „liberale“ Amerika zu wecken und Obama als unpatriotisch und unamerikanisch zu denunzieren, gingen ins Leere. Das funktioniert nicht mehr. Wie es aussieht, ist Georg W. Bush Nixons vorerst letzter Erbe im Weißen Haus.

Auch etwas anderes erlebt seine letzten Tage. Mit Ronald Reagan hatten Marktradikalismus und Ablehnung des Staates in wirtschaftspolitischen Fragen triumphiert. Die seit damals alles beherrschende Doktrin des so genannten Neo­liberalismus, als dessen Repräsentanten Bush und McCain gelten, ist mit den Aktienkursen ins Bodenlose gefallen. Die Börsen werden sich in absehbarer Zeit erholen. Die Laissez-faire-Ideologie aber, deren Vertreter in Politik und Wirtschaft es in den letzten Jahren allzu bunt getrieben haben, wird für mindestens eine Generation weg vom Fenster sein.

„Nixonland“, wie Rick Perlstein das konservative Amerika seit 1968 in seinem gleichnamigen, jüngst erschienenen Buch nennt, geht unter. Im selben Augenblick ist die Reagan-Revolution an ihrem Ende angelangt: Diese Gleichzeitigkeit produziert nun einen Präsidenten Barack Obama.
Wer sich der vergnüglichen Mühe unterzogen hat, den brillanten und höchst zivilisierten Wahlkampf Obamas zu verfolgen, der kann – sollte er tatsächlich siegen – nicht umhin, die politische Intelligenz der Amerikaner zu be­wundern. Der Antiamerikanismus, der sich durch die acht Jahre Bush so prächtig bestätigt fühlte, geht nun jedenfalls schweren Zeiten entgegen. Und das ist gut so.