Peter Michael Lingens

Obamas triste Aussichten

Obamas triste Aussichten

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"America at its best", überschreibt der „Economist“ die Ausgabe, die den amerikanischen Wahlen gewidmet ist – und tatsächlich sind sowohl Barack Obama wie John McCain hervorragende Kandidaten. Wirklich gravierend unterscheiden sie sich in Wahrheit weit weniger in ihren außenpolitischen als in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen: Wenn John McCain wahr macht, was er glaubwürdig verspricht – die Steuern für Superreiche so niedrig wie bisher zu belassen und sie für den Mittelstand zu senken –, gehen die USA einem budgetären Desaster entgegen. Obamas Absicht, den Ärmsten zulasten der Wohlhabenden unter die Arme zu greifen (horribile dictu: umzuverteilen), hätte dagegen den Vorteil, dass dieses Geld sofort dem Konsum und damit der Auslas­tung der Wirtschaft zugutekäme. Aber auch das wird die schwelende Rezes­sion höchstens lindern. Und sein Versprechen einer allgemeinen Krankenversicherung wird Geld kosten, das er nicht haben wird.
Es kann der tragische Fall eintreten, dass einer der besten Männer, die je an die Spitze der USA gelangt sind, das Land durch eine Amtsperiode voller Niederlagen führen muss: Obwohl er nicht das Geringste dafürkann, wird die Bevölkerung dem Präsidenten die steigende Arbeitslosigkeit, den weiteren Verfall des Dollars, den Rückgang des Wohlstands und den Anstieg der Preise zum Vorwurf machen. Das könnte am Ende seiner Amtszeit durchaus in eine Niederlage münden.

Ich begründe diese pessimistische Sicht mit der unvermindert prekären Wirtschaftslage der USA, die sich, im Gegensatz zu manchen Kommentaren, in absehbarer Zeit keineswegs verbessern, sondern im Gegenteil verschlechtern wird. Und zwar aus folgenden unveränderten Gründen:
E Die USA waren noch nie so hoch verschuldet wie jetzt. Auch wenn diese Verschuldung in Relation zu ihrem Nationalprodukt tragbar erscheint, ist ihre absolute Höhe so gigantisch, dass sie nicht, wie die Verschuldung Argentiniens oder Mexikos, vom IWF aufgefangen werden könnte, wenn sie schlagend würde. Daher bleibt das unveränderte Risiko eines Finanz-GAUs.
E Auf jeden Fall schlagend wird die enorme Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zu den Jahreseinkommen der Betroffenen: Die Subprime-Krise ist nur die Spitze eines Eisberges – in Wirklichkeit wackeln ungleich mehr Konsumentenkredite. Das ist der Grund, warum FED-Chef Ben Bernanke sich zu Recht weigert zu erklären, dass die Kreditkrise vorüber ist.
E Alan Greenspan ist dem Risiko einer Rezession Jahr für Jahr mit neuen Geldspritzen entgegengetreten und hat die Verschuldung des Staates wie der privaten Haushalte damit ständig erhöht – und somit die Fallhöhe beim unvermeidlichen Absturz vergrößert. Aber auch Bernanke hat – wenn auch in gemilderter Form – zur Geldspritze gegriffen, um die drohende Kreditkrise („credit crunch“) zu vermeiden. Die Banken verhalten sich mittlerweile nur insofern vernünftiger, als sie trotz des zur Verfügung gestellten billigen Geldes Kredite nur mehr gegen hohe Sicherheiten vergeben. Sie kurbeln die Verschuldung damit wenigstens nicht weiter an – allerdings bedeuten weniger Kredite zwangsläufig weniger Warenabsatz und damit Rezession. Zu den wenigen glaubwürdigen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zählt, dass eine Ausweitung der Geldmenge Inflation bewirkt. Die Inflationsraten unter Greenspan scheinen dem zu widersprechen, aber das liegt daran, dass eines der wichtigsten in den USA gehandelten Produkte nicht im Warenkorb aufscheint: Aktien. Der enorme, ungerechtfertigte Anstieg der Aktienkurse in der Ära Bush war nichts anderes als „Inflation“, die sich der üblichen Messung entzog. Jetzt, da die Aktien das umlaufende Geld nicht mehr wie ein Schwamm aufsaugen, besteht ein beträchtliches Risiko, dass die übliche Folge einer überhöhten Geldmenge eintritt: die Verteuerung aller Güter und Leistungen. Die USA befinden sich bereits mitten in dieser Entwicklung. Sie wird verstärkt durch den dramatischen Verfall des Dollars, der Importe zunehmend verteuert, sodass die Preise inländischer Produkte nicht im bisherigen Ausmaß durch die niedrigen Preise der Importprodukte im Zaum gehalten werden.

Zu all dem kommt die Verteuerung des Erdöls. Sie ist keine befristete Folge des Dollar-Verfalls (weil die meisten Ölkontrakte in Dollar abgeschlossen werden), sondern die dauerhafte Folge des erhöhten Energiebedarfs der globalisierten Wirtschaft. Die USA stehen dieser Ölpreiserhöhung, anders als die EU, völlig unvorbereitet gegenüber: Durch Jahrzehnte haben sie ihre traditionelle Produktion mit veralteten, energieintensiven Anlagen betrieben. Sie werden daher wirtschaftlich wie kein anderes industrialisiertes Land unter der Energieverteuerung leiden.

All das wird sich in der Legislaturperiode des kommenden amerikanischen Präsidenten ereignen und ihm zur Last gelegt werden, auch wenn er noch so wenig dafürkann. Zugleich wird natürlich auch der Krieg im Irak keineswegs so leicht zu beenden sein, wie Obama sich das vorstellt: McCain hat ausnahmsweise Recht, wenn er behauptet, dass ein überstürzter Rückzug der US-Truppen zu einem Chaos führte. Wenn Obama dieses Chaos zulässt, wird es ihm auf den Kopf fallen – wenn er die Truppen langsamer als versprochen abzieht, auch. Noch niemals seit dem Zweiten Weltkrieg musste ein Präsident der USA innenpolitisch ein so schweres Erbe antreten.