ÖBB: Die Bahn zahlt für einen Vergleich mit der Deutschen Bank 295 Millionen Euro

Das hätte sie früher haben können – und billiger

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Am Montag vergangener Woche waren die letzten Spuren auf dem Schlachtfeld bereinigt. Die zwei Kombattanten hatten sich auf einen dauerhaften Waffenstillstand geeinigt. Mit dem Antrag auf Einstellung des Gerichtsverfahrens zwischen ÖBB und Deutscher Bank wurde der letzte schwelende Konflikt beigelegt. Plötzlich war alles sehr schnell gegangen: Der Vorschlag der Deutschen Bank, wie sich die beiden Vertragspartner in der Affäre um hochspekulativ veranlagte Bahnmillionen doch noch verständigen könnten, war erst vier Tage zuvor übermittelt worden. In vier Tagen war damit besiegelt, was in vier Jahren davor nicht möglich gewesen ist.

Überraschend ist doch noch ein Ausstieg aus dem hochriskanten Derivativgeschäft, das die ÖBB im Jahr 2005 mit dem deutschen Kreditinstitut abgeschlossen haben, gelungen. Für die enorme Summe von 295 Millionen Euro schließt sich eines der unrühmlichsten Kapitel von Finanzveranlagung in der staatsnahen Wirtschaft. Ein Totalausfall, der alles andere als unrealistisch war, hätte das Unternehmen etwa das Doppelte gekostet. Protokolle von ÖBB-Aufsichtsratssitzungen bescheinigen der Bahn ein eher lasches Krisenmanagement in der Causa. Und was noch schwerer wiegt: Bei einem frühzeitigen, beherzten Eingreifen hätte man sich höchstwahrscheinlich deutlich billiger vergleichen können.

Ende des vergangenen Jahres herrschte helle Aufregung in der Chefetage der ÖBB-Konzernzentrale am Wienerberg. Die neuesten Bewertungen jener toxischen Papiere, die sich die ÖBB 2005 von der Deutschen Bank aufschwatzen hatten lassen – konkret handelt es sich dabei um so genannte Asset Backed Securities und Collateralized Debt Obligations (CDO) –, lagen vor. Und die Zahlen waren vernichtend: Zu diesem Zeitpunkt wurde der Wert des ÖBB-Portfolios mit nicht einmal 70 Millionen Euro angegeben. Ursprünglich waren es genau 612,9 Millionen Euro gewesen.

Als wenige Wochen später, am Donnerstag vorvergangener Woche, die Deutsche Bank unerwartet ein Angebot zur Vertragsauflösung unterbreitete, schlug die Stimmung in Erleichterung um. Eine für gewöhnlich eher seltene Gemütsregung, wenn man 295 Millionen Euro zahlen muss und dafür nichts bekommt. Noch am selben Tag ließ Finanzvorstand Josef Halbmayr das Vergleichsangebot von Konzernjuristen prüfen. Steuerrechtler, Wirtschaftsprüfer und der ehemalige Bank-Austria-Vorstand Willi Hemetsberger, dessen Ithuba Capital AG (früher: Montana Capital Financial Services AG) das ÖBB-Portfolio managt, wurden zurate gezogen. Bereits am Tag darauf holte sich Halbmayr die Zustimmung der ÖBB-Aufsichtsratsmitglieder, um den Vergleich abzuschließen.

Die Entschlossenheit, die alle Beteiligten in jenen Stunden an den Tag legten, ist für die ÖBB in dieser Causa eher ungewöhnlich. Denn die Unwägbarkeiten der CDOs waren hinreichend bekannt. Bereits in der Bilanz zum Geschäftsjahr 2007 hatte der Konzern wegen des Wertverfalls der Derivate Rückstellungen in der Höhe von 242 Millionen Euro gebildet. Und es ging weiter bergab: Aus einem von der Deutschen Bank erstellten Kontoauszug des ÖBB-Portfolios vom 9. Jänner 2008 geht hervor, dass die CDOs zu diesem Zeitpunkt nur noch 246,5 Millionen Euro wert waren. Der Buchverlust lag gegenüber dem Ausgangswert von 612,9 Millionen also bereits bei über 360 Millionen Euro.

Zu diesem Zeitpunkt war der ÖBB-Aufsichtsratsvorsitzende Horst Pöchhacker ­offensichtlich noch zu sehr damit beschäftigt, die Demission des ungeliebten ÖBB-Generals Martin Huber zu betreiben, anstatt eine sinnvolle Exit-Strategie ausarbeiten zu lassen.

Untätig. Erst im Sommer 2008 unternahm der ÖBB-Aufsichtsrat ernsthafte Bemühungen, die verschiedenen Optionen – von der Beibehaltung des Portfolios bis zum Ausstieg – zu prüfen. Dies geht aus den profil vorliegenden Protokollen der ÖBB-Aufsichtsratssitzung vom 14. August 2008 hervor. Zu diesem Termin hatte Aufsichtsratspräsident Pöchhacker den Wiener Rechtsanwalt Ewald Weninger und Vertreter der beiden Investmentbanken Citigroup und Morgan Stanley eingeladen. Weninger sollte die Bahn aus dem Vertrag mit der Deutschen Bank herausstreiten und hatte im Juli 2008 beim Handelsgericht Wien eine Klage gegen das Frankfurter Kreditinstitut eingebracht. Morgan Stanley und Citigroup sollten Vorschläge zur Risikominimierung des ÖBB-Portfolios unterbreiten. Um 10.20 Uhr betreten die Morgan-Stanley-Investmentbanker Philipp Lingnau und Michael Weiss den Sitzungsraum. „Pöchhacker ersucht Lingnau und Weiss, die Palette der Möglichkeiten betreffend den weiteren Umgang mit dem gegenständlichen Geschäft aufzuzeigen“, heißt es dazu im Protokoll.

Mehr als eine Stunde lang analysieren die beiden Banker Marktumfeld, Bewertungsmethodik und Ausfallswahrscheinlichkeit. „Abschließend fasst Lingnau zusammen und hält fest, dass (...) der optimale Zeitpunkt für die Durchführung einer Transaktion zur Modifizierung des Portfolios nicht vorhergesagt werden kann – weshalb eine ständige Beobachtung des Marktes notwendig ist – und die Abwägung einer vollständigen Risikominimierung vs. einer bloßen Risiko­reduktion durchzuführen ist. Er weist darauf hin, dass nur die Auflösung einer Position zu einer vollständigen Risikobeseitigung führt.“ Und der Morgan-Stanley-Mann nennt Zahlen: „Bei der Auflösung der bestehenden Position erwartet Morgan Stanley einen Verlust von etwa 40 Prozent des Volumens, plus der angefallenen Transaktionskosten“, steht dazu im Sitzungsprotokoll. Das heißt: Der Ausstieg hätte damals 40 Prozent der Gesamtsumme gekostet, also 245 Millionen Euro. Das sind 50 Millionen Euro weniger als die Summe, die nun ­tatsächlich abgeschrieben werden musste. Man kann getrost davon ausgehen, dass die 40 Prozent bewusst etwas hoch gegriffen waren. Schließlich bemühte sich Morgan Stanley ja darum, von den ÖBB mit der Umschichtung des Portfolios beauftragt zu werden. Ein Ausstieg hätte für die Investmentbank also die Chancen auf ein Geschäft zunichte gemacht.

Die Bahnführungsriege um Vorstandschef Peter Klugar hätte also schon vor eineinhalb Jahren alle Unwägbarkeiten ausräumen können – und zwar erheblich billiger. Und Unwägbarkeiten gab es damals zur Genüge: Im August 2008 zeichnete sich die bevorstehende Finanzmarktkrise schon höchst deutlich ab. Nur einen Monat später musste die Investmentbank Lehman Bro­thers Insolvenz anmelden. Und: Die Natur der Derivativprodukte sieht es vor, dass das ­Risiko eines Totalausfalls mit der Zeit ­immer größer wird.

Konkret hat die Bahn im Jahr 2005 mit dem Geschäftsabschluss nämlich die Haftung für ein Bündel aus insgesamt 204 Krediten an Unternehmen mit unterschiedlicher Bonität übernommen. Die Idee dahinter: Zahlen die Unternehmen ihre Kredite bis zum Ende der Laufzeit der CDOs im Jahr 2015 plangemäß zurück, kassieren die ÖBB eine Prämie von der Deutschen Bank in der Höhe von 30 Millionen Euro. Die Bank versichert sich quasi bei den ÖBB gegen den Ausfall und gewinnt im umgekehrten Fall: Kann eine gewisse Anzahl an Kreditnehmern (etwa zehn Prozent des Gesamtpakets) ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, haftet die Bahn für die Gesamtsumme von 612,9 Millionen Euro.

Vorgeschichte.
Dass die ÖBB ein dermaßen riskantes Geschäft überhaupt eingehen konnten, ist eine andere Geschichte: Anfang 2005 sollte die Treasury-Abteilung der ÖBB frei gewordene Mittel aus abgelaufenen Cross-Border-Leasing-Geschäften neu veranlagen: eben jene 612,9 Millionen Euro. Mit der Aufarbeitung der folgenden Ereignisse wurde der Jurist und Universitätsprofessor Franz Zehetner beauftragt. Sein Fazit: „Ein Mitarbeiter aus dem Corporate Treasury der ÖBB-Holding AG hat im September 2005 mit der Deutschen Bank das rechtliche Wirksamwerden einer Transaktion ermöglicht, mit der die ÖBB … – ungewollt – ein hochriskantes Derivat-Finanzgeschäft abgeschlossen haben“, schreibt Zehetner in einem mit 17. April 2008 da­tierten Endbericht an den ÖBB-Aufsichtsrat, der profil vorliegt. Und weiter: „Die offensichtliche Fehlleistung des Mitarbeiters … resultierte aus persönlicher Inkompetenz und Überschätzung des Mitarbeiters im Corporate Treasury der ÖBB-Holding AG.“ Der Sachbearbeiter hatte der Deutschen Bank per E-Mail zugesagt. Ohne Wissen des Vorstands. Und was noch schlimmer ist: ohne das Finanzprodukt zur Gänze verstanden zu haben. Als das damals amtierende Vorstandsduo Martin Huber und Erich Söllinger nachträglich informiert wurde, bemühte man sich zwar bei der Deutschen Bank, das „Versehen“ zu korrigieren, und bat um eine Vertragsauflösung. Die Frankfurter Banker blieben hart. In den Nachverhandlungen wurde erreicht, dass die ÖBB einen Wertpapiermanager einsetzen konnten, der besonders bedrohte Titel aus dem Kreditpaket gegen Zahlung einer Gebühr austauschen konnte. Der mit der Angelegenheit betraute Willi Hemetsberger musste in den vergangenen Monaten bereits mehrfach aktiv werden. Doch selbst der Austausch genügte nicht: Bis zum Vergleich Ende der vorvergangenen Woche waren bereits sieben Kredite aus dem Portfolio der ÖBB geplatzt – bei rund 20 (je nach Kreditvolumen) wäre der Totalausfall eingetreten. Eine deutlich schlechtere Verhandlungsbasis als noch 2008. „Der Ausstieg erfolgte – auch nach Meinung von Experten – zum günstigsten Zeitpunkt. Jetzt sind alle Risken beseitigt, und gemeinsam haben Management und Aufsichtsrat dafür gesorgt, dass solche Risikogeschäfte in Zukunft nicht mehr abgeschlossen werden“, beharrt Finanzvorstand Josef Halbmayr. Wenn man so will, ist Halbmayr einer der wenigen, die sich in der Causa schadlos halten konnten. Bei seinem Amtsantritt im Dezember 2008 machte Halbmayr es zur Bedingung, dass er die gesamten 612,9 Millionen Euro in der Bilanz 2008 rückstellen durfte. Damit konnte es unter Halbmayr keine bösen Überraschungen geben, sondern nur positive: Mit der teilweisen Auflösung der Rückstellungen kann er nun die verhagelte Bilanz des Jahres 2009 sanieren.

Der echte Gewinner des Vergleichs dürfte die Deutsche Bank sein. Das juristische Risiko ist mit einem Schlag aus der Welt geräumt. Und das heißt nicht unbedingt, dass die Deutschen deswegen auch nur einen Cent Verlust gemacht haben. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Deutsche Bank mittlerweile ­einen Abnehmer für die faulen Kredite gefunden hat. Das will man in Frankfurt zwar nicht bestätigen, die Zufriedenheit mit dem Vergleich kann ein Sprecher der Bank nicht verhehlen: „Sie können davon ausgehen, dass wir eine gute Lösung für unser Haus gefunden haben.“