ÖBB-Skandal

ÖBB-Skandal um geheimes Tonbandprotokoll

Affäre. Ein Tonbandmitschnitt zeigt, dass Aufsichtsratschef Pöchhacker Korruption billigend in Kauf nimmt

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Dienstag, 26. Februar 2008, 10.30 Uhr. Im 29. Stockwerk der Konzernzentrale der Österreichischen Bundesbahnen im Turm West der Vienna Twin Towers am Wienerberg eröffnet Vorsitzender Horst Pöchhacker die 22. Sitzung des Aufsichtsrats der ÖBB Holding AG. Der Name des Besprechungsraums „Future“ ist an diesem Tag ein wenig irreführend. Bei der Bahn ist zu diesem Zeitpunkt eher Vergangenheitsbewältigung angesagt: Das Unternehmen läuft Gefahr, 612,9 Millionen Euro aus einem 2005 abgeschlossenen Geschäft mit der Deutschen Bank zu verlieren; private Immobiliengeschäfte von Holding-Vorstand Martin Huber werden untersucht; und wenige Tage vor der Sitzung sind auch noch Bestechungsvorwürfe in Zusammenhang mit der Übernahme der ungarischen Staatsbahn MAV Cargo durch die ÖBB-Güterverkehrsgesellschaft Rail Cargo Austria (RCA) bekannt geworden.

Beinahe sechs Stunden werden Aufsichtsräte und Management an diesem 26. Februar tagen. Um die Dokumentation zu erleichtern, läuft ein Tonband mit. Weder ist es für die Öffentlichkeit bestimmt, noch werden die im Laufe der Sitzung getätigten Aussagen später vollständig in das eigentliche Sitzungsprotokoll aufgenommen. Mit gutem Grund.

Der ungekürzte Audio-Mitschnitt der damaligen Unterredung liegt profil jetzt vor. Die Aufnahme gewährt verstörende Einblicke in Managementpraktiken eines verstaatlichten Unternehmens: Ein mit 7,1 Millionen Euro dotierter ÖBB-Lobbyingauftrag wird an eine ominöse ungarische Gesellschaft vergeben, obwohl zwei Vorstände ihre Unterschrift verweigern. Teilen des Aufsichtsrats wird der Vertragsentwurf überhaupt vorenthalten. Und im ÖBB-Aufsichtsrat wird unverhohlen über Korruption debattiert.

Die Sitzung fällt beinahe fünf Stunden lang in die Kategorie „reine Routine“: Nachdem die Tagesordnung Punkt für Punkt abgearbeitet worden ist, kommt unter „Allfälliges“ allerdings ein delikates Thema zur Sprache: Die Privatisierung der ungarischen MAV Cargo hat in Ungarn und Österreich schon damals, Anfang 2008, gehörig Staub aufgewirbelt.

Die ÖBB-Tochter RCA hat der bis dahin völlig unbekannten ungarischen Lobbyingagentur Geuronet ein Lobbyinghonorar in der Höhe von sagenhaften 7,1 Millionen Euro zugestanden. Offiziell führt die Agentur, die gerade einmal 120 Euro Stammkapital aufweist, eine gewisse Viktoria Gulya. Doch die Russischlehrerin, die viele Jahre in Deutschland tätig war, hat mit Lobbying allem Anschein nach wenig zu tun – vielmehr ist der Akteur hinter Geuronet ihr Sohn András. Er gilt in Budapest als geschickter Wendehals, der es seit jeher verstanden hat, seine Kontakte in alle politischen Lager in ebenso lukrative wie kurzfristige Bankiersposten umzusetzen. Mit der Veröffentlichung des überaus großzügigen Erfolgshonorars steht plötzlich der Verdacht auf Schmiergeldzahlungen im Raum. Die ungarischen Behörden nehmen umgehend Ermittlungen auf. Dass diese – genauso wie eine parlamentarische Anfrage der grünen Nationalratsabgeordneten Gabriele Moser – zunächst im Sand verlaufen würden, ist Anfang 2008 nicht absehbar.

Karl Sevelda, Vorstand der Raiffeisen Bank International und bis 2008 Mitglied des ÖBB-Aufsichtsrats, ist merklich irritiert: „Das Ganze ist ein Thema, ein großes Thema in Ungarn, und soweit ich informiert bin … untersucht dies mittlerweile die Staatsanwaltschaft und die Wirtschaftspolizei in Ungarn … Es ist weiters … mit Unbilden in der Medienberichterstattung zu rechnen. Es würde mich schon interessieren, was für Leistungen … wir sind ja alle keine Klosterbrüder hier, wir wissen ja, was unter Lobbying alles zu verstehen ist. Ja, das geht von – bis.“

Es folgt eine lange Diskussion, in deren Verlauf der frühere Generaldirektor des Baukonzerns Porr Horst Pöchhacker bemerkenswert offen aus dem Nähkästchen plaudert: „Wir sollten uns nicht einer gewissen Naivität befleißigen, ich komme aus der Bauwirtschaft. Wir haben keinen ungarischen Auftrag ohne irgendeinen ähnlichen Lobbying-Abschluss erhalten. Wie wir die M6 gekriegt haben, waren wochenlang, da war damals die Strabag auch dahinter, ununterbrochen Korruptionsvorwürfe etc. Es kam nichts heraus, obwohl wir Ähnliches gemacht haben wie hier.“ Es kam nichts heraus, obwohl? Ein deutlicheres Bekenntnis zur Billigung fragwürdiger Geschäftspraktiken wird man „on the records“ wohl nicht hören. Aber: Was hat die RCA eigentlich gemacht?

Das interessiert inzwischen auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien. Am Montag, dem 4. Oktober, durchsuchte sie mehrere Büros und Privaträumlichkeiten von den ehemaligen ÖBB-Managern Gustav Poschalko und Gerhard Leitner. Die Staatsanwaltschaft hatte aufgrund eines reichlich verspäteten Amtshilfeersuchens der ungarischen Behörden gehandelt. Die Behörden verdächtigen unter anderen den früheren RCA-Chef Gustav Poschalko der „Bestechung ausländischer Amtsträger und der Untreue“, wie Sprecherin Eva Habicher bestätigt. Denn auch drei Jahre nach der Übernahme von MAV Cargo ist völlig unklar, welche Leistungen Geuronet-Lobbyist András Gulya tatsächlich erbracht hat.

ÖBB-Aufsichtsratsmitglied Herbert Kasser, Generalsekretär im Verkehrsministerium, will es an diesem 26. Februar 2008 ganz genau wissen: „Ich sehe mich daher veranlasst nachzufragen: Erstens, was ist da konkret geflossen, welche Höhe und unter welchem Titel ist was an wen bezahlt worden? Ist das eine Firma, ist das eine Einzelperson, als was ist das verrechnet worden? Weiters: Wie ist da der rechtliche Hintergrund, ich sage das ganz umgangssprachlich: Sind das saubere Zahlungen? Lobbying? Ist das ein Leistungsentgelt? Was war der Hintergrund dieser Zahlungen?“
Gustav Poschalko, im Februar 2008 noch als Vorstand der ÖBB-Güterverkehrsgesellschaft Rail Cargo Austria (mittlerweile ist er nur noch Konsulent der ÖBB) tätig, kennt anscheinend die Antworten auf all diese Fragen. Abgesehen von Horst Pöchhacker ist Poschalko der Einzige, der die Geschäftsbeziehungen zwischen Rail Cargo Austria und Geuronet bis ins Detail kennt. Und er ist offensichtlich auf das von Herbert Kasser angesprochene Thema – obwohl gar nicht auf der Tagesordnung – gut vorbereitet. Poschalko kramt ein Rechtsgutachten der renommierten Kanzlei Baker & McKenzie hervor: „Aus den oben genannten Unterlagen ergibt sich kein Anhalt dafür, RCA hätte mit Geuronet einen unzulässigen Vertrag oder einen vom Inhalt her geschäftsunüblichen Vertrag geschlossen.“ Die „oben genannten Unterlagen“, auf die sich diese Expertise gründet, sind allerdings nicht besonders umfangreich. „Wir haben nur den Vertrag selbst sowie auszugsweise die damit in Zusammenhang stehenden Gremialbeschlüsse, insbesondere den Antrag an den Aufsichtsrat der RCA für die Sitzung am 26.6. und das Aufsichtsratsprotokoll vom 26.6., eingesehen. Eigene Nachforschungen haben wir nicht angestellt“, zitiert Poschalko aus dem Gutachten.

Karl Sevelda hakt nach:
„Sie haben vorge­lesen … es ist ja genehmigungspflichtig durch den Aufsichtsrat. Das heißt: Es liegt die Genehmigung der Beschäftigung der Geuronet vor? Das ist vom Aufsichtsrat der RCA genehmigt worden?“ Pöchhacker antwortet für Poschalko: „Es ist nur der Abschluss von Beratungsunternehmen genehmigt.“

Das heißt konkret:
Am 26. Juni 2007 wurde beschlossen, dass zur Begleitung der MAV-Cargo-Übernahme grundsätzlich externe Experten wie etwa Rechtsanwälte und Berater engagiert werden dürfen. Von ­Geuronet und einer Gage von 7,1 Millionen Euro war damals im Aufsichtsrat noch gar nicht die Rede. Wann erfuhr also der Rail-Cargo-Aufsichtsrat eigentlich davon? Poschalko erklärt im weiteren Verlauf der Diskussion treuherzig, er habe den Vertragsentwurf mit Geuronet am 4. Juli 2007 an das Aufsichtsratspräsidium der Rail Cargo Austria übersandt. Neben Horst Pöch­hacker gehört auch der Fruchtsaftfabrikant Franz Rauch dem RCA-Präsidium an, beide sitzen auch im Kontrollgremium der ÖBB Holding. „Ich hab das sicher nicht gekriegt“, empört sich Rauch. Poschalko raschelt zu seiner Verteidigung ein Papier hervor: „Bitte schön, hier ist es: An das Präsidium, es ist … zu Handen des Vorsitzenden Herrn Pöchhacker gegangen. Ich will es außer Streit setzen, vielleicht ist es nicht an Sie gegangen.“ Warum hat Pöchhacker den Vertragsentwurf über die Vergabe eines sieben Millionen Euro schweren Auftrags, der an das gesamte RCA-Aufsichtsratspräsidium, also auch an Franz Rauch adressiert war, nicht weitergegeben?

Pöchhacker will sich dazu mit Hinweis auf „laufende Ermittlungen“ heute nicht äußern. Franz Rauch ist an dieser Stelle schon hörbar verärgert: „Ich bin halt der Meinung, dass wir das im Aufsichtsrat besprechen hätten müssen. Das ist auch nach dem Aktiengesetz aufsichtsratspflichtig. Ich glaube, die sieben Millionen für einen Berater müssten in den Aufsichtsrat. Das ist meine Meinung. Wir diskutieren da über weiß ich was alles, über kleine Sachen, und da gehen sieben Millionen an einen Berater XY … Also, das ist sicher ein Problem.“

Bei der Anbahnung der Geschäftsbe­ziehung zwischen Rail Cargo Austria und ­Geuronet dürfte auch sonst nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Jedenfalls ist auch der Rechtsanwalt und damalige Aufsichtsratsvizepräsident Eduard Saxinger, er hat sein Mandat hat im Mai 2010 zurückgelegt, alarmiert: „Gibt es einen Beschluss des Vorstands hinsichtlich der Betrauung dieser Firma?“

Poschalkos Replik:
„Es gibt einen Beschluss. Die Herren sind darüber informiert gewesen, die waren beide (die damaligen RCA-Vorstände Erich Söllinger und Ferdinand Schmidt, Anm.) zu dem gegebenen Zeitpunkt auf Urlaub.“

Saxinger lässt nicht locker: „Aber einen formellen Beschluss?“ Poschalko: „Einen schriftlichen nicht … das ist nicht möglich.“ Soll heißen: Die Auftragsvergabe an ­Geuronet erfolgte ohne Zustimmung des RCA-Aufsichtsrats und ohne Unterschrift des gesamten RCA-Vorstands. Ein solcher Vertragsabschluss ohne Vorstandsbeschluss stellt einen klaren Bruch der Geschäftsordnung dar. Und: Tatsächlich war das Problem nicht, dass Poschalkos damalige Vorstandskollegen Söllinger und Schmidt auf Urlaub waren – beide haben sich schlicht geweigert, den Geuronet-Vertrag zu unterschreiben. Dem Vernehmen nach soll ­Poschalko auch auf mehrmalige Aufforderungen von Söllinger und Schmidt keine Details über die Hintergründe des Geuronet-Auftrags preisgegeben haben.

Die Frage, was genau die Agentur Geuro­net für 7,1 Millionen Euro geleistet hat, beschäftigte zumindest Teile des ÖBB-Aufsichtsrats schon damals. Auf Nachfrage erklärt Gustav Poschalko: „Na selbstverständlich gibt es Leistungen, da gibt es eine Menge E-Mail-Wechsel, da gibt’s Aufzeichnungen, wann es Gespräche gegeben hat usw. für diesen Zeitraum.“

Saxinger: „Eine Leistungsaufstellung gibt es?“
Poschalko: „Es gibt darüber eine Leistungsaufstellung.“
Rauch: „Das Leistungsverzeichnis, was die gemacht haben, das will ich sehen.“

profil gegenüber beteuern mehrere damalige Aufsichtsratsmitglieder, sie hätten ein solches Leistungsverzeichnis nie zu Gesicht bekommen. Das Einzige, was Poschalko jemals vorgelegt hätte, wäre demnach ein Ordner mit ungarischen Zeitungsartikeln gewesen.

Horst Pöchhacker zeigt sich im weiteren Verlauf der Sitzung denn auch mäßig interessiert. Im Gegenteil: „Die Frage nach der Leistung eines Lobbyisten ist naiv. Wenn du den richtigen Mann beauftragst, der den richtigen Minister zur richtigen Sekunde anruft, und das passiert, dann kannst du nicht das Telefonat verrechnen … Also, das ist jetzt eine Grundsatzfrage, wenn wir das in Zukunft … alles ganz ernst nehmen, dann ist es gescheiter, man verabschiedet sich … Also, ich möchte nicht wissen, was in Rumänien oder sonst wo auf uns zukommt und was die Deutsche Bahn schon alles machen hat müssen, also wir sollten uns schon von einer gewissen Naivität verabschieden oder gewisse Strategien dann nicht verfolgen. Da gibt es nur ein Entweder-oder. Aber ein Leistungsverzeichnis von einem Lobbyisten und einen täglichen Stundennachweis, bitte, das ist naiv.“ Karl Sevelda darauf: „Das heißt ein Frühstück um hunderttausend Euro?“ Pöchhacker: „Ja, alles Mögliche.“

Auf profil-Nachfrage sagt Pöchhacker jetzt, dass der Geuronet-Auftrag „selbstverständlich nicht abgeschlossen wurde, um politische Verantwortungsträger in Ungarn zu korrumpieren“. Im Gegenteil. „Herr Gulya sollte ausschließlich lobbyieren, also mit den richtigen Leuten reden.“

Das klingt nur bedingt glaubwürdig.
Heute wie damals. Anders sind etwa die Wortmeldungen von Ex-Aufsichtsrat Karl Sevelda kaum zu interpretieren: „Ich kenn ja auch die Praxis, wie Geschäfte in Ungarn abgewickelt werden … Gott sei Dank, muss ich sagen, ist bei Banken und am Finanzsektor schon eine andere Situation … Ich glaube, wir müssen hier schon diskutieren. Wir wissen ja auch nicht, wie es in Ungarn weitergeht … oder ob das Ganze dort noch zu einer Eruption führen wird, wie es in Österreich beispielsweise bei den Eurofightern … war. Dass das nach Österreich rüberschwappt und wir plötzlich den Rechnungshof vor der Tür haben … Wir müssen uns schon auf solche Situationen einstellen, wenn es denn nur der Rechnungshof ist und nicht gleich die Staatsanwaltschaft. Ich glaube, wir müssen uns hier schon darauf einstellen, und auch wirklich dieses Gremium hat die Aufgabe, sich das wirklich auch plausibel darlegen zu lassen und das auch so zu protokollieren. Ich glaube, das ist die verdammte Pflicht dieses Aufsichtsgremiums.

Aufsichtsratspräsident Pöchhacker pariert:
„Wenn wir alles infrage stellen, was in diese Richtung geht, wenn das der Beschluss ist, weil wir Angst haben, dann hören wir mit gewissen Akquisitionen in den Ländern auf.“ Und weiter: „Wir können aber auch nicht protokollieren, dass wir Schweinereien erlauben … Wir können natürlich so naiv sein, dass wir kein Geschäft mehr machen“, so Pöchhackers Resümee an diesem 26. Februar 2008. Möglicherweise war er selbst etwas naiv, Aussagen wie diese bei eingeschaltetem Mikrofon zu tätigen.

Vor derlei Fehltritten ist er in Zukunft wohl gefeit. Pöchhacker beschäftigt seit Kurzem einen PR-Berater – in eigener Sache.