Öffentlichkeit & Kunst: Platzprobleme

Öffentlichkeit & Kunst: Platz-Probleme

Was kann und soll Kunst im öffentlichen Raum?

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Die Leinwand blieb schwarz. Rechts oben erschien statt der geplanten Videoanimation ein Schriftzug in Neongrün – „derzeit nicht erlaubt“. Als am Mittwoch vergangener Woche im Architekturzentrum Wien kurzfristig die Technik aussetzte, erhob sich im Publikum allgemeines Gelächter. Die knappe Mitteilung war sinnfällig: Hat doch die Kunst im öffentlichen Raum, um die es an diesem Abend ging, seit jeher mit hinderlichen Vorschriften zu kämpfen.

Die Plastiken des Künstlers Alexander Calder, leicht abfällig „drop sculptures“ genannt, erregten schon in den sechziger Jahren den Widerwillen der Bürokratie. Dennoch prägten Calders zwischen Hannover und Montreal auf-, manchmal auch einfach nur abgestellte „Stabiles“ die allgemeine Vorstellung von Kunst im öffentlichen Raum. Die Ideen, die Calder und Kollegen wie Richard Serra und Jean Dubuffet in die Tat umsetzten, wurden von anderen Künstlern aufgegriffen und im Lauf der Jahre zusehends verfeinert: Die Kunst sollte nicht mehr bloß unmotiviert in der Gegend herumstehen, sondern auf die Gegebenheiten, die Geschichte und Gegenwart ihres Standortes reagieren – Stichwort „site specifity“. Und sie sollte, im besten Fall, mit Passanten oder Bewohnern interagieren: „Partizipation“ wurde in den frühen neunziger Jahren zum Schlagwort der Szene.

Erregungstauglich. Die Bandbreite von Kunst im öffentlichen Raum reicht heute vom Holocaust-Mahnmal über Stadtmöblierungsmaßnahmen und kunstpolitischen Aktionismus bis zu Sozialprojekten mit Anrainern (wie Thomas Hirschhorns „Bataille-Monument“ bei der documenta 2002 in Kassel). Erregungstauglich ist Kunst abseits der Galerien und Museen indes immer noch: Schlingensiefs Container-Aktion vor der Wiener Oper im Sommer 2000 und der Eklat um die Salzburger Skulptur der Gruppe Gelatin im vergangenen Sommer sind noch lebhaft in Erinnerung.

Aktuelle künstlerische Ansätze im Umgang mit dem öffentlichen Raum zeigen gegenwärtig zwei Ausstellungen in Wien: Im Architekturzentrum wird das Projekt „walk me“ für die Wienzeile vorgestellt: Entlang des Wienflusses entstehen in den kommenden Monaten zwischen den U-Bahn-Stationen Pilgramgasse und Margaretengürtel eine Reihe von Installationen, die auf die spezielle Lage in einem eher peripheren, noch nicht „übermöblierten“ Stadtteil reagieren sollen: Eine Projektion von Peter Kogler beispielsweise überbrückt eine Baulücke mit imaginären Streben; riesige Plastikblasen sollen im mickrigen Rinnsal des Wienflusses aufgeworfen werden – ein Entwurf von Thomas Gänszler, Max Mertens und Anina Rehm, Studierenden an der Universität für Angewandte Kunst in der Klasse von Erwin Wurm. Letzterer nimmt selbst übrigens nicht teil, im Podiumsgespräch zur Eröffnung äußerte Wurm zudem grundsätzliche Kritik: Er habe sich dafür entschieden, die Kunst im öffentlichen Raum aufzugeben, das Wienzeile-Projekt finde er „in gewisser Weise“ problematisch: „Wird hier etwas verhübscht, das eigentlich hässlich ist?“

Rotierende Litfaßsäulen. Edelbert Köb, Kurator des Projekts und Direktor des Wiener Museums Moderner Kunst, mag diese Bedenken naturgemäß nicht teilen: Gerade die markante städtebauliche Situation sei doch interessant, „transitorische Projekte, die auch interaktiv sind“, würden darauf reagieren. „Die Künstler“, so Köb weiter, „wollen wieder mit gesellschaftlichen Problemen zu tun haben, sich mit den architektonischen und sozioökonomischen Gegebenheiten eines Ortes beschäftigen“. Auch die an dem Projekt „walk me“ beteiligte Künstlerin Anna Jermolaewa, die sich mit ihren Objekten kritisch mit Ästhetik und Omnipräsenz der Werbung auseinander setzt, arbeitet an einem Dialog ihrer Werke mit den Passanten. Sie schlägt Litfaßsäulen vor, die bei Annäherung durch den Betrachter so schnell rotieren, dass nur noch abstrakte Muster zu erkennen sind.

Die zweite Ausstellung, ab 21. April im Wiener Künstlerhaus zu sehen und mit dem melancholischen Titel „Niemandsland“ ausgestattet, geht von der Beobachtung aus, dass „öffentliche Räume zum Problem geworden sind“. Die Kunst sei daraus entweder ganz verschwunden oder habe ihre Wirksamkeit verloren, konstatieren die Kuratorinnen Henny Liebhart-Ulm und Anna Soucek. Der Untertitel „Modelle für den öffentlichen Raum“ führt allerdings ein wenig in die Irre: Nur ein Teil der Schau widmet sich direkt der „Kunst für alle“. Öffentlichkeit und Privatheit zieht sich als Generalthema durch die Arbeiten. So sehr Kunst im öffentlichen Raum die Umstände ihrer Platzierung zum Thema macht, so sehr sind die Arbeiten selbst geprägt von den Komplikationen ihrer Herstellung, vom Weg durch die Amtsstuben und dem Kontakt mit zuständigen Magistratsbeamten.

Ende 2003 gab der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny bekannt, dass ein Fonds für Kunst im öffentlichen Raum eingerichtet worden sei – finanziert aus den Budgets des Verkehrs- und des Wohnbauressorts. Einen solchen gibt es in Niederösterreich bereits seit 1996 – nach intensiven Bemühungen einiger weniger, vor allem der heutigen Abteilungsleiterin Katharina Blaas. Eine aus Künstlern, Kuratoren und Architekten zusammengesetzte Jury schreibt Wettbewerbe aus und wählt daraus die Siegerprojekte. Sie vertritt einen avancierten Kunstbegriff, der sich von dem vor einem Jahrzehnt noch dominierenden Dekorationsbemühen verabschiedet hat und Projekte mit teilweise internationalen Künstlern ermöglicht. Zum Skandal kommt es auch hier nicht selten, vor allem in kleineren Orten: Ein von der Spaßtruppe Gelatin zum Wartehäuschen umfunktionierter ausrangierter Autobus verführte vor wenigen Jahren im lauschigen Staatz Unbekannte zum Vandalismus.

Wie in St. Pölten soll auch in Wien eine Jury über die Vergabe des jährlichen Gesamtbudgets (in Wien stattliche 800.000 Euro, heuer ausnahmsweise gar 1,2 Mio. Euro) entscheiden. Obwohl dieses Gremium aus Experten von Ute Meta Bauer (Berlin Biennale) bis zu Wolfgang Kos (Direktor des Wien Museums) besteht, wird es bereits jetzt kritisiert. So werfen ihm etwa Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider vom Kunstfestival „Soho in Ottakring“ „mangelnde Streetcredibility“ vor. Auch nach einem Gespräch mit Mailaths Mitarbeiter Roland Schöny bleiben sie bei ihrem Standpunkt: „Besonders besorgniserregend“, so Zobl und Schneider, sei „der Begriff ‚Qualitätssteigerung‘. Das klingt nach endgültiger Entscheidung für den etablierten Bereich, für bekannte Namen und abgesicherte Positionen.“ Zobl und Schneider begreifen das weite Feld des „öffentlichen Raumes“ eher als „Kunst im sozialen Raum“, in dem der traditionelle „White Cube“ der Institutionen ausgetauscht wird gegen den „besetzten, determinierten, eigentlich nicht für Kunst vorgesehenen Raum des echten Lebens. Ein ständiger Kampfplatz.“

Genervter Stadtrat. Auch die Kultursprecherin der Wiener Grünen, Marie Ringler, steht der Jury nicht vorbehaltlos gegenüber. Zwar bezweifelt sie die Kompetenz der Jurymitglieder nicht, findet aber, dass „ein Mix der Jury der Stadt gut tun würde und sinnvoll gewesen wäre. Denn leider ist durch die Homogenität der Jury jetzt schon ziemlich klar, welche Projekte in einem doch sehr eingeengten Spektrum eine Chance bekommen werden.“

Mailath reagiert auf die Kritik routiniert bis genervt: „Natürlich ist eine Jury immer angreifbar. Wenn man fünf Leute nominiert, nominiert man 150 nicht. Ich finde es zweitrangig, aus welcher Profession jemand kommt. Vor allem müssen die Mitglieder einen Überblick haben, auch international, das Städtische sollte ihnen nicht fremd sein, sie sollten mit Kunst im öffentlichen Raum zu tun gehabt haben, und es sollte durch sie ein künstlerischer Mindestqualitätsstandard sichergestellt sein.“

Fast zeitgleich mit Mailaths Fondsgründung haben auch die Wiener Grünen einen – allerdings einmaligen – Wettbewerb für Kunst im öffentlichen Raum ausgeschrieben. Für die aus 149 Einreichungen ausgewählten drei Projekte steht eine eher symbolische Summe von 15.000 Euro zur Verfügung. Vergeben wurde sie von einem Beirat, in dem nicht nur Experten für bildende Kunst, sondern auch aus anderen Bereichen sitzen. Die Verträge mit den Künstlern sind abgeschlossen, an der Umsetzung wird gearbeitet.

Die Jury der Stadt Wien hingegen tritt erst diese Woche zu einer konstituierenden Sitzung zusammen. Auf eine bestimmte Richtung möchte sich Mailath-Pokorny nicht festlegen. Allerdings wird die erste große Aufgabe der Karlsplatz sein: „Da gehört mit Sicherheit die Frage Kunst im öffentlichen Raum hinein. Das reicht von der Gestaltung von U-Bahn-Passagen bis zu Objekten und Interventionen.“ Ein Plädoyer für den Pluralismus also? Eines gesteht sich der Kulturstadtrat auf jeden Fall bereits im Vorfeld ein: „Es ist ein Experiment, wir machen das zum ersten Mal in Wien, es werden sicher Fehler gemacht werden. Aber auch dazu stehe ich.“

Dass die gegenwärtig so intensive Beschäftigung der Politik mit der Kunst im öffentlichen Raum von nicht gerade innovativen Gedanken gespeist wird, wird Kenner der österreichischen Politik nicht weiter überraschen. Man darf einstweilen immerhin darauf hoffen, dass sich die Künstler selbst von den bloß staatstragenden Anliegen ihrer Subventionsgeber dauerhaft frei machen können. Erlaubt ist, was gefällt? Wünschenswerter wäre hier: Es gefällt, was „derzeit nicht erlaubt“ ist.