ÖGB ringt um Existenzberechtigung

ÖGB ringt um Existenzberechtigung: Die Arbeiterschaft will nicht recht folgen

Die Arbeiterschaft will nicht recht folgen

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Von Gernot Bauer und Eva Linsinger

Unter Gewerkschaftern galt Servatius bisher als Büttel des Kapitals. Nicht ganz zu Unrecht: Seine Waffen stellte der Eisheilige in der Vergangenheit in die Dienste der herrschenden Klasse. Dass Frost, Schnee und Kälte Mitte Mai noch kurz zurückkehren können, wissen Landwirte seit Jahrhunderten. Doch die Spitzen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes gaben am 13. Mai 2003 wenig auf Bauernregeln. Für diesen Tag hatte der ÖGB zu Massenaufmärschen und Demonstrationen gegen die Pensionsreform von Kanzler Wolfgang Schüssel und Finanzminister Karl-Heinz Grasser aufgerufen. Servatius war mit von der Partie: Donner, Blitz, Hagel und Kälte empfingen die streikbereiten Massen in der Bundeshauptstadt.
Sechs Jahre später wird der 13. Mai erneut zum Schicksalstag des ÖGB. Die Gewerkschaften von Privatangestellten, Druck, Papier, Metall-Textil-Nahrung, Chemie, Bau-Holz und Eisenbahn haben ihre Mitglieder zur Großkundgebung aufgerufen. Zielobjekte des organisierten Zorns sind diesmal freilich nicht Kanzler und Finanzminister, sondern die Arbeitgeber. Vom Schwarzenbergplatz, Sitz der Industriellenvereinigung, werden die Demonstranten zum Hauptquartier der Wirtschaftskammer in der Wiedner Hauptstraße marschieren. Motto der Veranstaltung: „Für faire Einkommen, für unseren Kollektivvertrag“.

Nulllohnrunden, Kurzarbeit, Kündigungen, stockende Kollektivvertragsverhandlungen – es herrscht Unruhe in der Arbeitnehmerbewegung. Das ungute Gefühl, gegenüber der Wirtschaft an Terrain zu verlieren, nagt am Selbstwert. Je mehr die eigene Klientel Krisendruck und Angst vor Arbeitslosigkeit verspürt, desto gefährdeter sind Solidarität und gewerkschaftlicher Zusammenhalt. Und wenn Angestellte auf Druck der Arbeitgeber freiwillig Lohnverzicht üben, verliert jede Arbeitnehmervertretung ihre Existenzberechtigung. So droht die Wucht der Krise auch den ÖGB mitzureißen.

Dabei hatten sich Österreichs Gewerkschafter gerade erst vollständig erholt. Im Bawag-Skandal 2006 waren Geld, Ansehen, Macht und Vertrauen verzockt worden, die Mitglieder hatten sich in Massen verabschiedet. Die Regeneration dauerte drei Jahre. Finanziell ist der ÖGB seit dem Verkauf der Bawag um 3,2 Milliarden Euro an den US-Fonds Cerberus saniert. Theoretisch bietet die Wirtschaftskrise die Chance, nun auch ideologisches Kapital aufzustocken. Die Demo gegen die Arbeitgeber am 13. Mai soll Kampfkraft signalisieren. Die Drucker haben gar schon einen Streikbeschluss gefasst. „Wenn es ein bisserl heftiger wird, ist das für die Gewerkschaft nicht schlecht. Jede Auseinandersetzung schärft das Profil“, sagt Drucker-Obmann Franz Bittner und hofft, im Arbeitskampf Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die neue Härte ist mit hohen Risiken behaftet, denn die Basis marschiert nicht hinter ihrer Spitze mit.

Angst vor eigener Courage. Auf dem Vorplatz der IBM-Filiale in der Wiener Leopoldstadt mühte sich vergangenen Donnerstag ein Häuflein von Gewerkschaftern redlich, die Belegschaft zum Protest zu motivieren. Doch diese hat dafür weder Zeit noch Lust: Die Folder, auf denen unter dem Titel „Wir verzichten nicht!“ für die Demonstration am 13. Mai geworben wird, werden im Vorbeigehen eingesteckt, die Kampfreden der Gewerkschafter will sich niemand anhören. „Die Leute sind sehr schwer mobilisierbar. In der Krise will sich niemand exponieren, alle haben Angst um ihren Job“, seufzt Betriebsrat Markus Rennhofer. Beinahe ungebrochen ist die Kraft der Arbeitnehmervertreter nur noch in staatseigenen Betrieben wie Post, ÖBB und Telekom. Doch auch im teilgeschützten Bereich schwindet die Solidarität zwischen pragmatisiertem und jederzeit kündbarem Personal – und damit die Machtbasis der Gewerkschaft.

Dass die Sorge vor zu viel Courage stärker ist als der kämpferische Anspruch, mussten die Gewerkschaften zuletzt einige Male erleben. Beim steirischen Konzern Magna verhallten die Parolen des ÖGB an die Belegschaft ungehört. Das Management setzte sich mit seinen Sparplänen durch: Über 80 Prozent der Angestellten stimmten einem Gehaltsverzicht zu, die Magna-Arbeiter sind bereits in Kurzarbeit. Das Beispiel macht Schule: Immer mehr Unternehmen drängen ihre Mitarbeiter in Vieraugen­gesprächen zu Lohnkürzungen. Auch beim Spezialgewebehersteller Sattler in Graz liebäugeln die Chefs mit freiwilligem Gehaltsverzicht der Mitarbeiter. „Man treibt die Arbeitnehmer überall in die Enge“, berichtet Josef Pesserl, der als Metallergewerkschafter in der Steiermark im Epizentrum der Wirtschaftskrise arbeitet.

Sein Chef Rainer Wimmer, der neue Vorsitzende der Metallergewerkschaft, appelliert an die Arbeitgeber, gesamtwirtschaftlich zu denken: „Lohnverzicht würde nur den privaten Konsum abwürgen.“ Außerdem hätten die Unternehmen im Vorjahr satte Gewinne gemacht, die den Arbeitnehmern genauso abzugelten seien wie die hohe Inflation im Jahr 2008. Mit diesen Argumenten pocht Wimmer auf kräftige Erhöhungen der Löhne. Bisher haben die Arbeitgeber nur Anhebungen zwischen einem und zwei Prozent geboten, das sei zu wenig: „Viele Betriebe nehmen die Krise nur als Ausrede. Daher müssen wir jetzt auf den Tisch hauen.“ Mindestens 15.000 Teilnehmer, so das untere Limit der Gewerkschaften, sollen bei der Lohndemonstration teilnehmen und so die unterbrochenen Kollektivvertragsverhandlungen doch noch zu einem positiven Abschluss führen.

Auf Arbeitgeberseite hat man für die versuchte Machtdemonstration am 13. März kein Verständnis. „Das ist politische Kraftmeierei auf dem Rücken der Arbeitnehmer“, sagt der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer: „Wir wollen auch um jeden Job kämpfen, auf der Straße werden wir die Probleme aber nicht lösen.“

Knatsch. Auseinandersetzungen um Lohnabschlüsse auf Asphalt gab es in Österreich schon lange nicht mehr. Von Arbeitskämpfen war zwar immer wieder die Rede, aber außer der unkündbaren und zu 90 Prozent gewerkschaftlich organisierten Beamtenschaft hat keine Berufsgruppe damit relevante Erfahrungen gemacht. Der letzte große Streik in der Privatwirtschaft liegt fast 50 Jahre zurück: 1962 streikten die Metallarbeiter vier Tage lang für Lohnerhöhungen – und waren damit erfolgreich. Seither war der ÖGB stolz darauf, dass er verhandelt und nicht kämpft. Nun aber „wird es Knatsch geben“, kündigt Franz Bittner an. Seine kleine, aber gut organisierte Truppe der Drucker kann in der Tat das Erscheinen mancher Zeitungen verhindern. Auch die Metaller in Großbetrieben und die Chemiearbeiter sind gut organisiert. Der große Rest kann nur tapfer daran glauben, dass man schon kämpfen könne, wenn man wolle. Zumindest die finanzielle Basis dafür ist vorhanden: Wie sich nach dem Bawag-Skandal herausstellte, hatte der sagenumwobene Streikfonds der Gewerkschaft lange Zeit nicht existiert und nur aus wertlosen Bawag-Aktien bestanden. Nun ist die Kriegskasse gut gefüllt.

„Wir haben die notwendigen Mittel, wann immer wir sie brauchen“, gibt sich ÖGB-Präsident Erich Foglar entschlossen, vom Streiksfonds zur Not auch Gebrauch zu machen. Denn derzeit gehe es um nicht weniger als um den „Testfall für die Sozialpartnerschaft“. Für Foglars Verhältnisse sind solche Aussagen nachgerade flammend. Denn feurige Reden sind ihm fremd, er überlegt vor jeder Festlegung lange und fordert auch deshalb manchmal erst dann etwas, wenn alle anderen schon vorgeprescht sind. Derzeit positioniert er sich eher als besonnener Staatsmann denn als kämpferisches Raubein. Aus Arbeitgeberrunden wird genüsslich gestreut, Foglar sehe die Großdemonstration am 13. März durchaus skeptisch.

Der ÖGB und sein Präsident könnten stärker auftreten, wenn sich die Gewerkschaft zu Geschlossenheit durchringen sollte. Nach dem Bawag-Debakel wurde zwar der Umbau zu einer schlagkräftigen Organisation versprochen, bei der Umsetzung hat den ÖGB „aber der Mut verlassen“, wie Bittner offen zugibt. Die finanzstarken Beamtenvertreter (GÖD) führen weiter ihr Eigenleben und drohen in regelmäßigen Abständen mit Abspaltung. Und die Arbeitergewerkschaften konzentrieren ihre Kräfte darauf, eine Parallelstruktur zur misstrauisch beäugten Angestelltengewerkschaft GPA aufzubauen. Selbst Miniprojekte wie der Umzug in ein gemeinsames Gewerkschaftshaus am Handelskai scheitern, weil GÖD und GPA lieber in ihren eigenen Domizilen bleiben. Komplexere Vorhaben wie eine Gewerkschaftszeitung für alle statt vieler Teilgewerkschaftszeitschriften sind wegen Eifersüchteleien ohnehin vertagt. Auch der erhoffte Rückenwind vom SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler bleibt aus. Werner Faymann hat zwar, als Kontrapunkt zu seinem Vorgänger Alfred Gusenbauer, die Gewerkschaften im Wahlkampf umschmeichelt. Die kurze Liebe ist aber schon wieder erkaltet. Die ÖGB-Forderungen nach Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der sofortigen Einführung der Mindestsicherung wurden bisher mit dem Argument des Geldmangels abgewehrt.

Immerhin ist die Gewerkschaft mit ihren Forderungen nach Vermögensbesteuerung nunmehr bis in die Mitte der SPÖ vorgedrungen. Die Gewerkschaften sind in Österreich Gründungsmitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac und weisen seit Jahren auf die Probleme ungezügelter Finanzmärkte und der Auseinanderentwicklung der Einkommen aus Arbeit und aus Vermögen hin. Seit einem Jahr arbeitet die Grundsatzabteilung der GPA an einem Konzept, wie Vermögen stärker besteuert werden können. Diese Analysen wollte nur lange niemand hören, erst seit der Krise wagt sich die SPÖ zögerlich über Umverteilungsdebatten. Das wertet die Gewerkschaft als ersten Erfolg. „Die Frage, wer für die Krise zahlt, wird endlich debattiert“, freut sich Metaller Wimmer. Auch der Streit um die Themenhegemonie kann ein Arbeitskampf sein. Laut Wettervorschau ist die Wahrscheinlichkeit für Sonnenschein am Mittwoch relativ hoch. Servatius könnte diesmal auf der Seite der Arbeitnehmer stehen.