Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, Desaster in Afghanistan, anhaltende Wirtschaftskrise

Ölkatastrophe, Wirtschaftskrise: Die Entzauberung von Barack Obama

USA. Die Entzauberung von Barack Obama

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Die US-Präsidentschaft, stöhnte einst der dritte Amtsinhaber Thomas Jefferson, sei ein „glänzendes Elend“. Die Erwartungen an den ersten Mann im Staat sind gigantisch – nachgerade überlebensgroß muss sein, wer gleichzeitig als resoluter Oberkommandierender und empathischer Babysitter der Nation fungieren will.

Auch Barack Obama soll dieser Magier für alle Lebens­lagen sein und als solcher Wunder vollbringen. Der Job im Weißen Haus bringt es mit sich, dass zu Beginn unweigerlich messianische Erwartungen an den Novizen gestellt werden und der neue Präsident fast mythisch überhöht wird, ehe er – darin dem Protagonisten einer griechischen Tragödie gleich – entzaubert wird und nach vier Amtsjahren als Sterblicher um seine Wiederwahl bangen muss.

Man denke etwa an Jimmy Carter, der nach den Verwüstungen von Richard Nixons Watergate-Skandal den politischen Anstand in Washington restaurieren wollte und versprach, er werde die Bürger niemals belügen. Zu Beginn wurde der Erdnussfarmer aus der Provinz beklatscht, gegen Ende freilich schimpfte man ihn einen Verlierer.

Barack Obama hat sich ebenfalls in diesem Netz von Erwartungen und Enttäuschungen verstrickt:
Leidenschaftlich hatte er im Präsidentschaftswahlkampf die „Dringlichkeit des Jetzt“ beschworen, das „Jetzt“ aber erweist sich zusehends als Gefecht gegen bleierne Realitäten, die auch diesen Präsidenten unterzupflügen drohen.

Längst ist Obama aus luftigen Wolken in die Niederungen der Tagespolitik geplumpst, wo die republikanische Opposition beinhart gegen ihn mauert, während der eigenen Truppe, den Demokraten, angesichts der nahenden Kongresswahlen die Courage abhandengekommen ist. Dass die Gesundheitsreform verabschiedet wurde und der Präsident, gemessen an manchen Vorgängern, ein einigermaßen erfolgreiches erstes Amtsjahr hinter sich brachte, ist fast vergessen. Obama dümpelt nun in einem Meer von Schwierigkeiten, deren Bewäl­tigung oder Aufschiebung seine Präsidentschaft definieren werden.

So hat sich die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
zu einer formidablen Herausforderung für den Präsidenten entwickelt, dessen verspätete Reaktion auf die Krise mitsamt seinem anfänglichen Mangel an Empathie beträchtlichen politischen Schaden verursachte. Zu seinem Glück hat er es mit einer Opposition zu tun, die sich immer wieder dem Vorwurf aussetzt, sie behandle die Ölkonzerne mit Samthandschuhen und sei insgesamt ein Büttel der Wirtschaft.

Gewiss war Obama hocherfreut, als sich der republikanische Kongressabgeordnete Joe Barton – so fossil wie die von ihm favorisierten Brennstoffe – vor laufenden Kameras bei BP entschuldigte, weil der Präsident den britischen Konzern zur Zahlung von 20 Milliarden Dollar Schadenersatz gezwungen hatte. Die Ölpest im Golf mag das Image Obamas als Krisenmanager angekratzt haben; neben der horrenden Inkompetenz George W. Bushs, wie sie sich im Irak oder nach dem Hurrikan Katrina zeigte, wirkt sein Verhalten jedoch nachgerade ­rühmlich.

Musste er am Golf von Mexiko politische Federn lassen, so droht dem Präsidenten im fernen Afghanistan freilich ein Debakel vom Zuschnitt des Vietnamkriegs. „Jawohl, Sir“, hatte General David Petraeus geantwortet, als ihn der Präsident im Vorjahr fragte, ob das militärische wie politische Ziel in Afghanistan bis zum Sommer 2011 erreicht werden könne. Inzwischen aber tobt der Krieg länger als jeder andere seit Vietnam und ist zu einem Konflikt mit ungewissem Ausgang geworden. Längst treibt er Obamas Parteifreunden auf dem Kapitolshügel Schweißperlen auf die Stirn, während Petraeus und die Generäle das von Obama verlangte Datum für einen Abzug der meisten US-Truppen bereits zu vernebeln beginnen.

Es half nicht, dass sich Obamas Oberbefehlshaber am Hindukusch, General Stanley McChrystal, in der vergangenen Woche in einem Artikel im Magazin „Rolling Stone“ herablassend, ja geradezu verächtlich über den Präsidenten und dessen Mitarbeiter äußerte. Kaum waren die ersten Zitate aus dem erstaunlichen Stück mit dem viel sagenden Titel „Der durchgeknallte General“ publik geworden, beorderte ein wütender Obama den General ins Weiße Haus und enthob ihn seines Postens. Damit machte der Präsident zwar den Primat der Zivilisten über die Militärs deutlich, seine Ernennung von General Petraeus zum Nachfolger McChrystals bedeutet jedoch, dass sich nichts an der bisherigen Strategie in Afghanistan ändern wird.

Dass überdies die Wirtschaft nicht so richtig in Fahrt kommen will und viele Bundesstaaten und Kommunen am Rande des Bankrotts stehen, wird Obama angelastet, obwohl er die miserable Konjunktur ebenso vom Vorgänger erbte wie das Desaster in Afghanistan. Die Wirtschaft noch einmal mit einem Konjunkturpaket zu beleben und dadurch etwa die ­Entlassung Hunderttausender Lehrer und öffentlich Bediensteter in den Staaten zu verhindern ist gleichwohl unmöglich geworden: Verängstigt starren mittlerweile auch die Demokraten im Kongress auf die Staatsschulden, während die republikanische Opposition, getrieben von den konservativen ­Libertariern der „Tea Party“-Bewegung, der Staatsverschuldung wegen bereits den Untergang Amerikas heraufdräuen sieht.

Dass Obama ein Sozialist sei, ein linker Gleichmacher und Inflationstreiber, ist mithin Erfindung einer durch rasende Vorbeter wie Fox-News-Moderator Glenn Beck und Radiotalker Rush Limbaugh angestachelten Opposition. Hegten diese ohnehin nie irgendwelche Illusionen bezüglich Barack Obamas, gibt sich inzwischen aber auch der progressiv-­
liberale Flügel der Demokraten zutiefst ernüchtert: Ihr ­Präsident, so schimpft die Parteilinke, habe sich als Pragmatiker der Extraklasse entpuppt, als Mann ohne Rückgrat, der den Zockern an der Wall Street ebenso wenig entgegentrete wie einer Opposition, von der er sich unerklärlicherweise noch immer politische Mitarbeit erhoffe.

Für den Präsidenten ist dieser Verlust seines ikonenhaften Status in der eigenen Partei nicht ungefährlich; bleiben progressive Demokraten am Wahltag im November zu Hause, weil sie Obama satthaben, könnte die schon jetzt prophezeite Wahlniederlage der Demokraten in einen republikanischen Erdrutschsieg münden. Obama müsste dann nicht nur gegen eine republikanische Mehrheit in mindestens einer der beiden Kammern im Kongress regieren; die Republikaner würden überdies nach Art der Hatz auf Bill Clinton jeden Stein im Lande in der Hoffnung umdrehen, darunter einen juristisch verwertbaren Lapsus zu entdecken.
Und gewiss käme es der Opposition gelegen, wenn sich Berichte über Zwist und Streit im Weißen Haus bewahrheiteten: Obamas mächtigen Stabschef Rahm Emanuel, einen Aficionado politischen Kampfsports, nerve die Idealistenrunde der alten Obama-Freunde aus Chicago ebenso wie die Parteilinken im Kongress, heißt es.

Der Präsident bleibt unterdessen unergründlich
, ein seltsam enigmatischer Mensch, der sich der Einordnung entzieht. Im zweiten Amtsjahr weiß die Nation so wenig wie im ersten, wer und was sich hinter dem oft intellektuellen und kühlen Habitus Obamas verbirgt. „Er konnte deinen Schmerz sehen und darüber reden; aber es gab kein Anzeichen, dass er den Schmerz gefühlt hat“, beschrieb der Kolumnist Richard Cohen Obamas Umgang mit den Betroffenen der BP-Katas­trophe.

Den Mann mit der undurchdringlichen Maske als Neuauflage Jimmy Carters abzuschreiben ist indes voreilig. Nicht nur hat Barack Obama wiederholt gezeigt, dass er imstande ist, Niederlagen abzuschütteln. Überdies mag eine amerikanische Mehrheit diesen Präsidenten unverändert, wenngleich sie bisweilen darüber rätselt, was ihn wirklich bewegt. Das „glänzende Elend“ der Präsidentschaft wird Barack Obama ebenso verändern – und dabei vielleicht erklären – wie zuvor einen Bill Clinton oder einen Thomas Jefferson.