Die Ölpest vor der Küste Louisianas

Ölpest: Droht eine zehnmal größere Katastrophe als befürchtet?

Umwelt. Droht eine zehnmal größere Katastrophe als befürchtet?

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Die Sitzung war streng vertraulich. Am Dienstag der Vorwoche trafen sich auf dem Capitol Hill in ­Washington Vertreter des Ölkonzerns British Petrol (BP) und ein erlauchter Kreis von Kongressabgeordneten, um die Ölpest im Golf von Mexiko zu besprechen. Die Runde diskutierte hinter verschlossenen Türen. Von vornherein hatten die Teilnehmer vereinbart, nichts nach außen dringen zu lassen. Man will schließlich nicht unnötig Unruhe in der betroffenen Bevölkerung erzeugen, denn das könnte die Dinge noch schlimmer machen, als sie ohnehin schon sind.

Dann sickerten doch einige Passagen des Gesprächs nach außen. Demnach wollten die Volksvertreter von den BP-Vertretern wissen, wie groß die Katastrophe wirklich ist und womit man im schlimmsten Fall rechnen müsse. Die ­Experten des Ölkonzerns sagten, das endgültige Ausmaß des Desasters sei schwer abzuschätzen. Nie zuvor hätten sie ein derartiges Problem in einer solchen Tiefe zu lösen ­gehabt. Am 20. April war die Ölplattform „Deepwater ­Horizon“ etwa 70 Kilometer vor der Küste Louisianas durch eine Explosion in Brand geraten und zwei Tage später ­gesunken. Die Besatzung konnte sich bis auf elf vermisste und vermutlich ums Leben gekommene Männer in Sicherheit bringen.

Die Bohrinsel liegt nun in nahezu 1600 Meter Tiefe auf dem Meeresgrund. Aus dem Bohrloch und dem mehrfach geknickten, leck geschlagenen und auf dem Meeresboden liegenden Bohrrohr flossen in der Vorwoche etwa 5000 Barrel Rohöl pro Tag, das sind rund 800.000 Liter. Am vergangenen Mittwoch gelang es, das kleinste von drei Lecks am Meeresgrund mithilfe von Tauchrobotern zu schließen. ­BP-Techniker begannen noch in der Vorwoche damit, eine mehr als 100 Tonnen schwere Stahlhaube über dem lecken Bohrloch zu positionieren, aus der sie das gesammelte Öl abpumpen wollen.

Ob das Vorhaben gelingt, war vorerst ebenso ungewiss wie die Dauer des Unternehmens. In der Zwischenzeit ändert der Ölteppich laufend seine Ausdehnung. Am vorvergangenen Wochenende hatten seine Ausläufer bereits die Ufer einiger Halbinseln des Mississippi-Deltas erreicht. Da aber Anfang der Vorwoche der Wind drehte, blieb vorläufig eine Verseuchung der Festlandküste aus. Es ist jedoch nur eine Frage von Stunden oder Tagen, bis das Öl tatsächlich die Küste erreicht.

Nicht nur Kongressabgeordnete, auch Politiker der potenziell betroffenen Küstenstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida sowie Wirtschaftskapitäne, Fischerei- und Tourismusindustrie, Umweltschützer und nicht zuletzt die betroffene Bevölkerung wollen eine Antwort auf die Frage, welche Ausmaße die Katastrophe noch annehmen, wie lange sie dauern kann – und wie nachhaltig die Schäden sein werden.

Beim Treffen auf dem Capitol Hill malten die BP-Experten ein düsteres Bild: Der Austritt von 5000 Barrel könnte sich im schlimmsten Fall auf 60.000 Barrel pro Tag erhöhen. Das wären schon beinah 10.000 Kubikmeter Rohöl pro Tag. In diesem Worst-Case-Szenario würde ein Zeitraum von vier Tagen genügen, damit die ausgetretene ­Ölmenge jene der Exxon Valdez beim Tankerunglück im Jahr 1989 übersteigt. Die Ölkatastrophe im Prinz-William-Sund vor der Westküste Alaskas ist die bisher schwerste Ölpest in der Geschichte der USA. Damals wurden 2000 Kilometer Küste mit Schweröl verseucht. Nach jahrzehntelangen Prozessen flossen die Entschädigungszahlungen erst im Jahr 2008. Der Verursacher ExxonMobil musste statt der ursprünglich verhängten 2,5 Milliarden Dollar nur eine Milliarde zahlen.

Verdunstung.
Anders als im Fall Exxon Valdez handelt es sich bei der aktuellen Ölkatas­trophe nicht um ausfließendes Schweröl, sondern um Rohöl des Typs Louisiana Sweet Crude. Dieses Leichtöl hat zwar den Vorteil, dass die flüchtigen Anteile bei den im Golf herrschenden Temperaturen um die 30 Grad und darüber leichter verdunsten, aber den Nachteil, dass es sich auch leichter und schneller ausdehnt und dass das Vergiftungspotenzial in sensiblen Zonen höher ist als bei Schweröl, das rasch verklumpt und dadurch hängen bleibt.

Verzweifelt versuchen die zuständigen Behörden, den Schlick mittels aufblasbarer Ölbarrieren von den Küsten fernzuhalten. Aber die Methode wirkt nur bei ruhiger See. Sobald ein stärkerer Wind bläst, fließt das Öl unter den Barrieren hindurch oder schwappt mit dem Wellengang darüber hinweg. Erfahrungsgemäß können solche Sperren nur kurzfristig helfen. Zu der Ungewissheit, wie lange und in welchen Mengen das Öl noch ungehindert sprudeln wird, kommt aber noch ein weiterer Faktor, der das ­Desaster erheblich verschlimmern könnte: Der so genannte Loop Current, eine zum Golfstrom gehörende Meeresströmung, könnte den Ölfilm bis unter die Südspitze Floridas und eventuell sogar noch um Florida herum bis an die Ostküste des Sunshine State verteilen – ein Albtraumszenario, vor allem für die bei Touristen beliebten Florida Keys und die Sümpfe des Everglades-Nationalparks. Die Gefahr eines solchen Szenarios steigt, solange sich der Ölnachschub vom Meeresgrund nicht stoppen lässt oder sich noch intensiviert.

Derzeit gilt aber der Großraum Mississippi-Delta, ein von vielen Kanälen und Wasserarmen durchzogenes Sumpfgebiet mit einer reichen Fauna und Flora, als die am meisten gefährdete Zone. Sandbänke, Wälder, Feuchtgebiete, Sümpfe, Wasserflächen, Mangrovenwälder, Süß- und Salzwasserzonen wechseln sich in der subtropischen Region ab. „Es sind Amerikas größte Feuchtgebiete mit einer ungeheuren Vielfalt an Ökosystemen, von offenen Flussmündungen, sumpfigen Flussarmen und Sümpfen bis zu einer Variation von Marschen, die es sonst nirgendwo in den USA gibt“, erklärte der mit den lokalen Ökosystemen bestens vertraute Umweltwissenschafter Robert Thomas von der Loyola University in New Orleans gegenüber dem National Public Radio.

Sorge macht den Ökologen, dass das Öl mit aufkommendem Südostwind und einer von ihm angetriebenen Flutwelle in die Feuchtgebiete schwappt. „Und wenn es die Feuchtgebiete und die Austernbänke überzieht und die Flussmündungen verseucht, wo 95 Prozent der im Golf von Mexiko ­gefangenen Fischarten ihre Laichgründe ­haben, dann haben wir es mit einem wirklich großen Problem zu tun“, erklärte Thomas. 40 Prozent des gesamten US-Fischfangs kommen aus dieser Region. Die Meldung, Öl sei in die Austernbänke oder in die Shrimps- und Krabbenfanggründe ein­gedrungen, würde genügen, um die lokale Fischerei zusammenbrechen zu lassen.

Darüber hinaus könnten durch das Öl zahlreiche Tier- und Pflanzenarten beziehungsweise Lebensräume auf Jahre hinaus ausgelöscht werden. Der Wiener Meeresbiologe Michael Stachowitsch schätzt, die Schäden könnten mindestens zehn Jahre spürbar sein, bei einigen Tier- und Pflanzenarten noch länger.

Gefährdete Niststrände.
Beispiel Meeresschildkröten: Diese weltweit bedrohten Tierarten werden nun zusätzlich durch den Ölfilm bedroht. Als luftatmende Lebewesen müssen die Tiere immer wieder an die Oberfläche und kommen damit zwangsläufig mit dem giftigen Öl in Berührung. Jetzt ist die Zeit, wo die Meeresschildkröten zu ihren Niststränden wandern, um dort im Sand ihre Eier abzulegen. „Wenn die Niststrände mit Öl verseucht sind, kann man davon ausgehen, dass hier potenziell eine ganze Generation von Meeresschildkröten umkommen wird“, sagt Stachowitsch.

Beispiel Seevögel:
Der Ölfilm verklebt das Gefieder. Damit geht die mit Luft angereicherte Isolations- und Auftriebsschicht verloren, die Tiere erfrieren oder ertrinken. Beispiel Mangroven: Das Öl verklebt die Luftwurzeln, damit wird die Sauerstoffzufuhr und die Physiologie der Pflanze gestört. Sie stirbt ab. Ein sterbender Mangrovenwald ist für immer verloren, weil die Erosion den Rest besorgt. Manche Experten sehen aber keinen Grund zu übertriebener Sorge, weil der Ölteppich teils verdunsten, teils von ­Mikroben abgebaut werden würde. „Öl ist Butter für Mikroben“, sagt Christopher Reddy, Leiter des Coastal Ocean Institute bei der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts.

Gerüchte.
Unterdessen gehen die Justiz­behörden Gerüchten über die Umstände nach, unter denen es zur Explosion und zum Untergang der Plattform gekommen ist. Mike Papantonio, Bezirksstaatsanwalt von Pensacola in Nordwest-Florida, brachte eine Klage gegen drei Ölkonzerne ein: Trans­ocean, BP und Halliburton. Transocean hat die Katastrophenplattform geplant und ­gebaut; BP hat sie von Transocean geleast und betrieben; Halliburton ist jenes Unternehmen, das daran arbeitet, die Lecks in der Tiefe mithilfe von Beton abzudichten.

Laut Papantonio wollten Angestellte der genannten Unternehmen wissen, dass von der Ölplattform „Deepwater Horizon“ tiefer als die erlaubten 20.000 Fuß (etwa 7000 Meter) gebohrt worden sei. Außerdem habe es BP verabsäumt, ein spezielles Tiefbohr-Sicherheitsventil zu installieren, das den Ölaustritt im Fall einer Havarie hätte stoppen können. Die betroffenen Firmen weisen solche Darstellungen als „Spekulationen“ zurück.

Dan Pfeiffer, Sprecher des Weißen Hauses, lässt jedenfalls schon die Muskeln spielen: „Die Administration wird von BP unerbittlich Kompensation für jeglichen durch die Ölpest verursachten Schaden einfordern.“ Da werden Anwälte und Richter viel Arbeit haben.