ÖVP-Basis drängt in die Opposition

Parteichef Josef Pröll spielt auf Zeit

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Der Gemeinderat aus dem Nordburgenland ist sich seiner Sache ganz sicher: „Nach diesem Wahlergebnis kann es nur eine Antwort für die ÖVP geben: Opposition!!!!“, schreibt er in einem Mail an die Parteizentrale. Ein ehemaliger Stadtrat aus dem Südburgenland sieht immerhin Alternativen. „Wir von der ÖVP haben zwei Optionen: 1. Regierung mit FPÖ und BZÖ, 2. Opposition. Sonst nichts!“ Ein ÖVP-Wähler fleht schriftlich um Gnade: „Versuchen Sie alles in Ihrer Macht stehende, um eine große Koalition zu verhindern. Wenn nötig mit dem Gang in die Opposition.“

Solche E-Mails und Briefe bekomme er derzeit massenweise, erzählt Franz Steindl, Chef der burgenländischen Volkspartei und Landeshauptmannstellvertreter. „Von unseren Funktionären sind 85 bis 90 Prozent dafür, dass die ÖVP in Opposition geht. Zehn Prozent sind für eine Regierungsbeteiligung, aber ohne die SPÖ.“ Auch er persönlich neige eher zur Oppositionsvariante, sagt Steindl, der schon 2006 gegen die große Koalition gewesen war. „Aber ich will Josef Pröll freie Hand lassen.“ Wenn der designierte ÖVP-Obmann demnächst seine angekündigte Bundesländertournee absolviert, wird er fast überall Ähnliches zu hören bekommen. Die Basis seiner Partei weiß derzeit vielleicht nicht genau, was sie will – aber sie weiß sehr genau, was sie nicht will: wieder eine Koalition mit der SPÖ.

Wilfried Haslauer, VP-Chef in Salzburg, spricht von „massiven Vorbehalten“ gegen Rot-Schwarz. Richtig darüber gefreut hätten sich viele Funktionäre schon vor zwei Jahren nicht, räumt er ein. „Aber jetzt ist die Abneigung viel ausgeprägter als 2006.“ Der Großteil der Sympathisanten plädiere auch in Salzburg für den Abschied von der Regierungsbank, sagt Haslauer. „Man kann jetzt sicher nicht an der Basis vorbei etwas beschließen.“ Mehr oder weniger eindeutige Absagen kommen auch aus Tirol, Vorarlberg, Kärnten und der Steiermark. Die steirischen Schwarzen wünschen sich sogar eine Urabstimmung zum Thema – wohl wissend, wie ein solcher Wahlgang derzeit ausgehen würde. Der einzige VP-Landeschef, der dezidiert für die Fortsetzung der großen Koalition plädierte, ist Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll. Doch weiter unten in der politischen Nomenklatura des Bundeslands sieht es schon etwas anders aus. So sprach sich etwa der VP-Geschäftsführer des Bezirks Gänserndorf vor ein paar Tagen dezidiert für den Wechsel in die Opposition aus.

Befördert werden solche Gedankenspiele durch die Tatsache, dass kommendes Jahr in Kärnten, Salzburg und Oberösterreich Landtagswahlen stattfinden werden. 2010 sind dann das Burgenland, die Steiermark und Wien an der Reihe. Und gegen die Bundesregierung ließe sich nun mal leichter schimpfen, wenn die eigene Partei nicht drin sitzt. Zwei Wochen nach der Nationalratswahl ist auf dem Koalitionsbasar wieder alles offen. Dabei schien mit der Kür von Josef Pröll zum neuen VP-Obmann eigentlich eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Der Neffe des niederösterreichischen Landeshauptmanns gilt als überzeugter Großkoalitionär. Außerdem versteht sich Pröll gut mit SP-Chef Werner Faymann; der gemeinsame Zieleinlauf konnte also nur eine Frage der Zeit sein.

Doch was immer Pröll selbst will – jetzt muss er erst einmal abwarten. Am 28. November wird er sich beim Sonderparteitag der Wahl stellen. Sollten die Zeichen bis dahin allzu eindeutig in Richtung Rot-Schwarz stehen, riskiert er einen Aufstand der Funktionäre. Die Abstimmung über seine Person würde dann wohl zur Abstimmung über die große Koalition werden. Deshalb versucht Pröll, auf Zeit zu spielen. Bevor er überhaupt in ernsthafte Verhandlungen eintreten will, soll nächste Woche ein „Österreich-Gespräch“ mit allen Parlamentsparteien stattfinden. Weitere so genannte „Vorbereitungsgespräche“ mit Werner Faymann werde es ebenfalls geben, Koalitionsverhandlungen bis auf Weiteres allerdings nicht. „Die ÖVP wird ihre Verantwortung für Österreich wahrnehmen, ob in der Regierung oder in der Oppositionsrolle“, sagte Josef Pröll nach dem ersten Treffen mit Werner Faymann am Donnerstag der Vorwoche.

Small Talk. Das aktuelle Geschehen erinnert stark an die Monate nach der Nationalratswahl 1999, als die ÖVP ebenfalls zum Small Talk einlud – damals unter dem Titel „Zukunftsgespräche“ – und die SPÖ ausgiebig schmoren ließ. Auch vor neun Jahren kokettierte die Volkspartei mit dem Gang in die Opposition. Wie die Sache endete, ist bekannt: Die ÖVP holte als drittstärkste Partei den Kanzlersessel. Die Ausgangslage ist diesmal ganz ähnlich. Anders als die Sozialdemokraten, die FPÖ und BZÖ schon im Wahlkampf als Koalitionspartner ausgeschlossen haben, hält sich die Volkspartei alle Möglichkeiten offen. Für Schwarz-Blau-Nostalgiker gab es am Mittwoch der Vorwoche gute Nachrichten. FP-Chef Heinz-Christian Strache und BZÖ-Obmann Jörg Haider entdeckten bei einem gemeinsamen Kaffeeplausch im Parlament, dass sie einander doch nicht so sehr hassen, wie man bisher annehmen musste. „Das ist ein Unsinn, den wir heute in diesem Gespräch auch widerlegt haben“, meinte Strache danach. Eine gemeinsame Regierungsarbeit sei prinzipiell möglich, freuten sich beide Herren.

Nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen gäbe es für die ÖVP sogar noch eine dritte Option. Ein Mandat wanderte von der SPÖ zu den Grünen, was auch eine hauchdünne parlamentarische Mehrheit in Schwarz-Grün-Orange zulassen würde. Angesichts der Fülle an Möglichkeiten kann es Chefverhandler Josef Pröll also nicht unrecht sein, wenn sich fast täglich neue Parteikollegen melden, die von der kathartischen Wirkung einiger Oppositionsjahre schwärmen. Der Widerstand aus der eigenen Partei zwingt Pröll quasi zur Verzögerungstaktik und taugt, im Fall der Fälle, als Argument bei Koalitionsverhandlungen. Hinter dem Flirt mit der Oppositionsrolle steckt folglich auch Strategie. Verdächtig ist etwa, dass sogar die sonst so brave Junge ÖVP fleißig mitmacht. „Die ÖVP hat mit diesem Wahlergebnis sicher keinen Auftrag zum Regieren erhalten“, sagte JVP-Chefin Silvia Fuhrmann, die für gewöhnlich nicht gegen die Parteilinie rebelliert.

Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer gehört zu den wenigen, die sich dem allgemeinen Tenor nicht anschließen wollen. Er plädiert dafür, den Ärger über die Wahl verrauchen zu lassen, bevor Entscheidungen getroffen werden. Das Gerede von der Opposition sei in dieser Situation zwar verständlich, meint er. „Aber man sollte sich erst einmal in Ruhe anschauen, was das für Folgen hätte.“ Nicht so schnell vergehen wird dagegen der breite innerparteiliche Widerstand gegen eine neuerliche große Koalition. Schon am Wahlabend hatte der mittlerweile abgelöste Parteichef Wilhelm Molterer in der ORF-Elefantenrunde laut über die Lehren aus der Niederlage nachgedacht: „Die Frage ist, ob die Wählerinnen und Wähler auch ein Signal gegen diese Form der Koalition gegeben haben.“ Wirtschaftsminister Martin Bartenstein erklärt seit Wochen, dass er für eine Regierung unter der Führung von Werner Faymann keinesfalls zur Verfügung stehe. Von den vier ÖVP-Bünden ist nur noch der Wirtschaftsbund für Rot-Schwarz – und zwar ebenfalls mit Abstrichen.

Günter Stummvoll, stellvertretender Klubchef im Parlament und Wirtschaftsbündler, räumt Zweifel ein: „Da wirst du unter dem Applaus der SPÖ wochenlang von der ,Kronen Zeitung‘ geprügelt, und jetzt sollen wir wieder zusammenarbeiten. Also ich tu mir selber schwer und bin froh, dass ich die Entscheidung nicht treffen muss.“ Im Parlamentsklub fände sich derzeit keine Mehrheit für ein Bündnis mit der SPÖ, meint Stummvoll.
Viele in der Volkspartei kritisieren, dass die SPÖ zwar ständig die personelle Erneuerung der ÖVP fordere, die Genossen selbst in dieser Hinsicht aber wenig flexibel seien. Der Wechsel an der Parteispitze reiche nicht, meint der Salzburger Wilfried Haslauer. „Die Wadlbeißer aus der zweiten Reihe sind noch nicht domestiziert.“ Sein burgenländischer Kollege Franz Steindl nennt die dazugehörigen Namen: „Solange Brunnenvergifter wie Josef Cap und Doris Bures dabei sind, wird es nicht funktionieren. Ich sehe bei der SPÖ keinen neuen Stil.“

Strafe der Wähler. Abgesehen von atmosphärischen Störungen gibt es aus VP-Sicht auch genug handfeste Gründe, um eine große Koalition abzulehnen. Wann immer die Volkspartei den Juniorpartner der SPÖ abgab, wurde sie von den Wählern bestraft. Den schwersten Verlust brachte die Nationalratswahl 1990, als die ÖVP ein Minus von über neun Prozentpunkten zu beklagen hatte. Diesmal belief sich der Schwund zwar nur auf minus 8,4 Punkte, dafür gab es mit nicht einmal 26 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Noch ein solcher Aderlass, und die Volkspartei muss ihren Namen ändern. Schwarz-Blau dagegen sorgte wenigstens einmal für einen Triumph der ÖVP (bevor es wieder steil bergab ging). Ein wenig Sehnsucht kann da schon aufkommen.

Relativ ungerührt nimmt man in der ÖVP die Appelle zur Kenntnis, dass Österreich angesichts der Finanzkrise schnell eine neue Regierung brauche. „Wir haben ja eine funktionierende Regierung“, sagt ein Abgeordneter, „und wir haben einen Finanzminister, der sich besser auskennt als jeder mögliche Nachfolger.“ Das Publikum wird sich wohl auf einige Wochen oder sogar Monate des Taktierens einstellen müssen. Wie das aussehen wird, zeigte Josef Pröll am Donnerstag der Vorwoche bei einem Auftritt in der „ZiB 2“. Er halte eine schwarz-blau-orange Koalition für „nicht sehr wahrscheinlich“, sagte Pröll. Auszuschließen sei aber gar nichts. Schon zuvor hatte er das konstruktive Gesprächsklima mit Werner Faymann gelobt. Einträchtig beschlossen die beiden, das geplante Konjunkturpaket bei der nächsten Nationalratssitzung am 28. Oktober unter Dach und Fach zu bringen. Rein persönlich haben die zwei Herren ja bekanntlich nichts gegeneinander.

Von Rosemarie Schwaiger