Dresscode: Tracht

Dresscode: Tracht

ÖVP. Christa Zöchling über eine Mondseefahrt in Dirndl und Trachtenjanker

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Schon dem Kaiser Franz Joseph näherte sich das weibliche Volk prinzipiell im Dirndl, wie man aus den Sisi-Filmen weiß. Doch dem Michael Spindelegger?

Am Donnerstag der Vorwoche hat der Vizekanzler und ÖVP-Obmann Journalisten zu einer Schifffahrt am Mondsee gebeten. "Dresscode: Tracht“ stand drohend auf der Einladung.

Es folgten hektische Telefonate, Bitten um Kostümierungshilfe. Wer hat ein Dirndl im Kasten? Einmal war es zu weit um die Mitte, dann wieder zu eng, der Busen war angerichtet wie auf einer Schlachtplatte. In letzter Minute lief man doch in das Wiener Geschäft der stadtbekannten Gesine Maria Tostmann und borgte sich eins. Zu einem horrenden Preis.

Auch Statisten für einen Heimatfilm könnten sich auf diese Art einstimmen: Man schwebt in einem so genannten Alltagsdirndl durch die schöne Natur. Das rosa-rote Vichy-Karo macht Landlust, der Wind bauscht den Rock, die Schürze fliegt hinterher, die Unschuld ist im Anmarsch.

Es gibt zwei Bootsanlegestellen am Mondsee, die kaum hundert Meter voneinander entfernt sind. An der einen warten Urlauber in Jeans, Sportjacken und Turnschuhen, von der anderen blitzen Silberschnallen und Blechinstrumente im Sonnenstrahl. Die Bürgermusikkapelle Mondsee ist angerückt. Schon hebt und senkt sich der Stab des Dirigenten rhythmisch im Viervierteltakt, der das Marschieren erleichtern soll. Doch im Publikum regt sich gar nichts. Die halbe Bundesregierung steht da wie eine Wand. Erste Regentropfen fallen. Die versammelten ÖVP-Granden ahnen, dass ihnen das alles nichts helfen wird gegen das aufdräuende Gewitter des Korruptionsskandals.

Die Frauen begutachten einander in ihren Dirndln wie seltene Tiere im Zoo. In ihrer Jugend hätte sie so etwas niemals angezogen, sagt Finanzministerin Maria Fekter. Das sei als "altvadrisch verpönt“ gewesen.

Fesch, fesch, hat ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf ihren Auftritt im flaschengrünen Dirndl kommentiert. Er selbst ist in einer grünspanfarbenen Lederjoppe erschienen und hat seine rustikale Krawatte schon in den ersten Minuten verschämt entsorgt. Justizministerin Beatrix Karl raschelt und schillert heute eher dunkel, das macht die Seidenschürze. Es scheint, als ob dieses Festtagsdirndl ihr Mündchen noch mehr spitzen würde als sonst. "Für mich ist das ein Stück Heimat und nichts Ausgrenzendes. Es gibt ja keinen Zwang.“

Bei den Männern ist die Tracht eher unspektakulär. Nur ein ORF-Redakteur besaß den Wagemut und war in Lederhosen (vom Diskonter Hofer) aufgetaucht. Sonst sieht man vor allem Leinenspenzer, feinen Zwirn, groben Zwirn, grün, blau oder rot eingefasste Kragenaufschläge, Hirschknöpfe. Wenn man Interesse heuchelt und sich erkundigt, welche Tracht das sei, aus welcher Talschaft, kann das zu panischen Reaktionen und Gestammel führen.

Trachten sind im Grunde nichts anderes als eine Konstruktion des Städters, der auf Sommerfrische fährt und gleich den Schäferspielen in der Romantik das gesunde Landleben nachempfinden möchte. Es hat nichts vom Armeleutegeruch der Knechtshosen und Mägdekittel. Befürworter wie Gegner der Tracht hören das gar nicht gern. Den einen geriete dadurch die Idylle der Heimat ins Wanken, die sich vom Glauben an Dorf und Scholle nährt, den anderen ihre wütende Ablehnung.

Nur: Unschuldig war die Tracht hierzulande nicht immer. Sie war oft ideologisch gemeint und wurde politisch instrumentalisiert. Es gibt so genannte Trachtentafeln von Volkstumsvereinen, die nach dem Ersten Weltkrieg wie Schwammerln aus dem Boden schossen und strengste Vorschriften für Materialien, Farben und Bindungen (von Schürzen und Bändern) aufstellten. Zur angeblichen "Echtheit“ der Tracht gehörte für sie auch "die Echtheit des Trägers“. Es waren die Vorboten des Rassenhasses. Im Salzkammergut wurde 1938 den österreichischen Juden das Tragen von "Lederhosen, Joppen, Dirndlkleidern, weißen Wadenstutzen, Tirolerhüten usw.“ verboten. Zu lange schon hätte man es hingenommen, dass "das Dirndl - etwa in Bad Ischl - geradezu als jüdisches Nationalkostüm erschien“, triumphierten damals die Nationalsozialisten. Das Verbot wurde später auf andere "Fremdländische“ ausgedehnt.

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle ist einer der wenigen Kundigen von Trachten und ihrer Geschichte. Er spielt selbst Flügelhorn in einer Trachtenkapelle. "Ich muss gestehen: Wir haben viele Gastarbeiter im Stubaital, und unter denen werden Sie keinen einzigen Trachtenträger finden. Ein Moslem tut sich eben schwer, bei einer Fronleichnamsprozession mitzumarschieren. Wir wären aber völlig offen, wenn ein Türke mitspielen wollte.“

Die Ausflugsgesellschaft hat sich auf dem Deck des Mondsee-Schiffs eingefunden. Der konservative Vizekanzler trägt einen niederösterreichischen Landesanzug. Spindelegger beschwört Anstand und Zusammenhalt, die Tradition der Tracht und den "Blick nach vorn“. Würde er sich umdrehen, sähe er dunkle Wolken aufziehen, die sich schwarz zusammenballen. Kein Sonnenstrahl dringt mehr durch. Man fröstelt. Der Gastgeber und oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer fragt, ob er auch etwas sagen dürfe. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz drückt auf seinem Handy herum. Man fragt sich, was die blühende Jugend hier zu suchen hat. Auch Kurz steckt in einem Trachtenjanker. Die Tracht, so hebt er ohne große Überzeugung an, habe durchaus nichts Ausgrenzendes. Vor wenigen Tagen sei er auf einem Treffen von Thailändern in Wien gewesen (vermutlich waren es eher Thailänderinnen mit ihren österreichischen Importeuren gewesen, Anm. d. Red.), und selbst da sei eine junge Thailänderin im Dirndl aufgetreten.

Umweltminister Nikolaus Berlakovich echauffiert sich über den Begriff Klientelpolitik: "Ein kurioser Vorwurf. Natürlich sind wir für unsere Stammschichten, Bauern und Beamte.“ - Berlakovichs Rede mündet in eine Eloge für die Tracht. "Der Mensch in den unpersönlichen und kalten Büros sehnt sich nach Erdigkeit und Heimat, Natur und Bodenständigkeit. Eine Tracht ist ein Lebensgefühl.“

Mittlerweile ist der Himmel schwarz geworden, der Wind tost, der Regen peitscht übers Deck. Die gesamte Gesellschaft ist innerhalb weniger Minuten im Bauch des Schiffs verschwunden und drängt sich nun unbequem im Unterdeck.

Ringsum hört man jetzt von "persönlichen Verfehlungen“ und dem Schaden, den einige wenige der Politik zufügten. Immer wieder werden die Tausenden ehrenamtlichen Funktionäre beschworen, die der Politik der ÖVP ihre Freizeit widmeten, als ob sich der Zorn des Staatsbürgers gegen diese richtete und nicht der Berufspolitiker gemeint wäre.

Hier ist man unter sich, weit entfernt vom Ufer und vom Alltag. Fritz Neugebauer, Chef der mächtigen Beamtengewerkschaft, trägt Jeans und einen Leinenspenzer. Er finde nichts Besonderes dabei, es sei auch kein Krisenzeichen. Heutzutage gehe doch schon jeder in Tracht, "80 Prozent der Österreicher“, meint Neugebauer.

Vor 50 Jahren wäre eine solche Veranstaltung wahrscheinlich recht nett gewesen. Oder vor hundert.

Fotos: Sebastian Reich für profil