Schlechte Umfragen, knappe Kassen

ÖVP: Schlechte Umfragewerte, knappe Kassen

ÖVP: Die Krise des Wilhelm Molterer

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Der Spitzenkandidat der Österreichischen Volkspartei für den Regionalwahlkreis „9E Wien Süd-West“ nimmt seinen persönlichen Wahlkampf heuer besonders ernst. Wer, wenn nicht er? Donnerstag vergangener Woche versammelte Wolfgang Schüssel 200 Funktionäre und Wahlkampfhelfer zur Einsatzbesprechung im Hietzinger Heurigen Schneider-Gössl. Für seine Kampagne in den Wiener Außenbezirken Liesing, Hietzing, Penzing und Rudolfsheim-Fünfhaus hat sich der verspielte Ex-Kanzler und Hobby-Zeichner diesmal Besonderes ausgedacht: eine eigene Zeitung. Im Wahl-Nahkampf mit dem Bürger auf der Straße sollen originellerweise tausende gebackene Frucht-„Schüsseln“ verschenkt werden. Ein Fest in der Orangerie von Schönbrunn wird der Höhepunkt des Wahlkampfs des einfachen Regionalkandidaten Schüssel sein. Dessen Helfer gelobten vollen Einsatz.

Biskuitwaren und der Regionalwahlkreis 9E interessierten den Klubobmann vergangene Woche freilich nur nachrangig. In Sitzungen der ÖVP ging es um das große Ganze und um alles oder nichts. Es sei an der Zeit, so Schüssels Überzeugung, eine härtere Gangart einzuschlagen; oder wie der Klubobmann gerne formuliert: „den Bihänder auszupacken“. Am lautesten setzt der Grazer ÖVP-Landesparteiobmann Hermann Schützenhöfer die neue Taktik um. Schützenhöfer, deftig steirisch: „Wir müssen Faymann in seiner ganzen Luftblasenakrobatik entlarven. Er ist ein Ankündigungsmilliardär und kalt lächelnder Primitivpopulist, der nie wirklich auf die kleinen Leute geschaut hat.“

Die verbale Kraftlackelei täuscht. Vier Wochen vor der Wahl am 28. September steht die ÖVP kurz vor einer kollektiven Panikattacke: Die Umfragen sind im Sinken, die Persönlichkeitswerte des Spitzenkandidaten tiefgefroren. In den Ländern herrschen Nervosität und Apathie gleichermaßen; und in der Parteizentrale in Wien Überforderung und Planlosigkeit. Wilhelm Molterer, 53 Jahre alt, 13. Bundesparteiobmann und Spitzenkandidat der ÖVP, muss ernstlich um seine politische Karriere fürchten. Laut der jüngsten profil-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OGM liegt die ÖVP derzeit mit 28 Prozent nur noch knapp vor der SPÖ mit 27 Prozent (siehe Seite 16). Zum Vergleich: Als Wilhelm Molterer am 7. Juli – „Es reicht“ – die Koalition aufkündigte, lag die schwarze Truppe mit 33 Prozent noch locker voran. In aktuellen Umfragen von Gallup und market hat die SPÖ bereits die Führung übernommen. Aus Niederösterreich kommen alarmierende Daten. Dort soll die ÖVP nach internen Erhebungen derzeit bei 35 Prozent (2006: 39 Prozent) und damit knapp 20 Prozentpunkte unter dem Ergebnis der heurigen Landtagswahl liegen. Fest steht: Das Ergebnis der Wahlen 2006 (34,3 Prozent) wird aus heutiger Sicht kaum zu halten sein. Zahlreiche prominente ÖVP-Abgeordnete müssen um ihre Mandate, der Parlamentsklub um einige hunderttausend Euro Parteienförderung zittern.

Organisationsprobleme. Im ÖVP-Hauptquartier in der Wiener Lichtenfelsgasse sitzt ein Mann, der in der schwarzen Misere Opfer und Täter gleichermaßen ist: Hannes Missethon, 49, seit 2007 Generalsekretär und als solcher oberster Wahlkampfleiter der Volkspartei. Es gibt nicht viele undankbarere Politjobs im Land. Um sein eigenes Mandat muss der General bangen. Auf der Landesliste der steirischen ÖVP ist er aussichtslos an 19. Stelle gereiht. Und sein Direktmandat im Wahlkreis „Steiermark Nord-West“ (Leoben, Liezen) wackelt. Das Mitleid mit dem Generalsekretär – innerparteilicher Spitzname: „Mischbeton“ – hält sich bei manchem in der ÖVP in Grenzen. Denn dass die Partei nicht abhebt, wird vor allem dem Steirer Missethon angelastet. Die Vorwürfe: Der Generalsekretär und sein Kernteam hätten zu wenig Erfahrung; statt umfassender Planung herrsche das Prinzip „Learning by doing“; die Kompetenzverteilung sei nicht geklärt, die Abstimmung unter den diversen Wahlkampfgruppen und Arbeitskreisen mangelhaft. So präsentierte der ÖVP-Wirtschaftsbund Freitag vergangener Woche in Wien seine Wahlinhalte, nachdem Parteichef Molterer und Minister Martin Bartenstein ihrerseits erst zwei Tage zuvor in Alpbach das Wirtschaftsprogramm der ÖVP vorgestellt hatten. Vor allem die Auswahl einer kleinen, in Politkampagnen unerfahrenen Salzburger Werbeagentur und die ersten überfrachteten Plakate sorgten parteiintern für Entsetzen. Ein Insider: „Teilweise macht sich so etwas wie Bunkerstimmung breit.“ Zu den organisatorischen Problemen kommen finanzielle. Die drei größten Landesorganisationen – Oberösterreich, Niederösterreich und die Steiermark – weigern sich, die Bundespartei bei den Wahlkampfkosten zu unterstützen. Mit bereits spürbaren Konsequenzen: Bei Inseraten und Plakaten liegt die ÖVP deutlich zurück. Insgesamt dürften der Partei im Vergleich zu 2006 geschätzt ein bis zwei Millionen Euro weniger für den Wahlkampf zur Verfügung stehen.

Fehlender Schüssel. Obmann Wilhelm Molterer verabsäumte es, das Parteimanagement im Vorfeld zu ordnen. Schon vor dem Neuwahlbeschluss im Juli hatte es zwischen Generalsekretär Missethon und Bundesgeschäftsführerin Michaela Mojzis geknistert (siehe profil 20/2008). Für den Wahlkampf wurde die Trennung vollzogen, zumindest räumlich. Mojzis logiert nun in einem dislozierten Büro in der Wiener Josefstadt und kümmert sich um Mobilisierung und Training der Funktionäre und Wahlhelfer. Missethon wiederum erhält Unterstützung von einem verschworenen Strategiezirkel, dem sein Vorgänger Reinhold Lopatka und Landwirtschaftsminister Josef Pröll angehören. Ein Mann dagegen bringt sich im Wahlkampf nicht mehr so ein, wie es viele in der ÖVP ursprünglich befürchteten, aber mittlerweile ebenso viele erhofft hätten: Wolfgang Schüssel. Der Altmeister hält sich mit Ratschlägen an Molterer zurück. Der Grund für das gedämpfte Engagement: Schüssel soll den Wahlkampfkurs Molterers ablehnen. Denn dass der Vizekanzler nun in SPÖ-Manier die Spendierhosen – mehr Familien- und Pflegebeihilfe, Verlängerung der Hacklerregelung – überstreift, widerspricht der Schüssel-Doktrin des Jahres 2006 – Budgetsanierung statt populistischer Wahlzuckerln – eklatant.

Doch gerade die Fehler aus dem letzten Wahlkampf wollen Molterer und sein Team diesmal um jeden Preis vermeiden. Die erste Lehre aus Schüssels Niederlage lautete: Das Wahlvolk will und muss zumindest ein wenig verwöhnt werden. Bilanzen zählen da wenig, Versprechen für die Zukunft viel. Wer das nicht kapiert, muss büßen. Vor zwei Jahren war es der SPÖ gelungen, die ÖVP als Partei der „sozialen Kälte“ abzustempeln. Lehre Nummer zwei aus 2006: personelle Zeitbomben rasch entschärfen. Schüssel hielt an Bildungsministerin Elisabeth Gehrer fest, Molterer opferte Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, immerhin stellvertretende Parteiobfrau, vor zwei Wochen. Und zum Dritten soll mit einem stramm-populistischen Law-and-Order-Kurs von Innenministerin Maria Fekter die neuerliche Drainage schwarzer Wähler zu den Rechtsaußenparteien gestoppt werden.

Zögerlicher Kandidat. Doch das Hauptproblem bleibt – Wilhelm Molterer. In der ÖVP wird lamentiert, der zögerliche Vizekanzler hätte die günstigere Ausgangslage zu Ostern nützen und schon damals aus der Koalition abspringen müssen. Zumindest an seinem Auftreten scheint Molterer gearbeitet zu haben. Er spricht jetzt schneller, versucht – für seine Standards – flockige Formulierungen („Die SPÖ steht für angenehme Unwahrheiten“) und gibt sich alle Mühe, lockerer zu wirken.
Der Versuch der schwarzen Werber, Molterers Schwächen in Stärken zu verwandeln und den spröden Sachpolitiker als verlässlichen, ordentlichen Kaufmann im Gemischtwarenladen Österreich zu positionieren, greift freilich noch nicht. Könnten die Wähler ihren Bundeskanzler direkt bestimmen, würden sich nur 18 Prozent für Molterer entscheiden, 21 Prozent für den unverbraucht wirkenden Werner Faymann. Dessen stärkster Wahlwerber, die „Kronen Zeitung“, drischt weiterhin gnadenlos auf den ÖVP-Chef, Außenministerin Ursula Plassnik und die gesamte Volkspartei ein. Ein schwarzer Stratege: „Zu glauben, die ,Krone‘-Kampagne würde uns nicht schaden, wäre naiv“.

Wie in früheren schlechten ÖVP-Zeiten melden sich mittlerweile die Schwarzmaler zu Wort – etwa der Tiroler Arbeiterkammer-Präsident und Christ-Gewerkschafter Erwin Zangerl: „Der Wunsch nach Veränderung ist sehr groß, mit Wilhelm Molterer steuern wir auf eine Niederlage zu.“ Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer nimmt seinen Landsmann freilich in Schutz: „Wenn jemand vier Wochen vor einer Wahl den Parteiobmann kritisiert, muss er sich überlegen, was er tut. Alle, die Molterer gewählt haben, haben gewusst, was er kann und was er nicht kann. Molterer ist der kompetenteste Sachpolitiker, den es in Österreich gibt. Aber er ist kein Showman. Wenn das jemanden stört, hätte er es gleich sagen müssen.“

Später Wahlkampfauftakt. Steigende Orientierungslosigkeit und Erregung in der Partei will der Parteiobmann diese Woche abfangen. Montag stellt Wilhelm Molterer sein offizielles Programm für die Nationalratswahl vor. Freitag findet in der Grazer Helmut-List-Halle der Wahlkampfauftakt statt. Am 8. September wird die Bundesliste für die Nationalratswahl präsentiert, dem Vernehmen nach sucht Molterer intensiv nach einem Quereinsteiger. Die politische Zukunft von Wolfgang Schüssels Überraschungskandidatin des Jahres 2006, ORF-Moderatorin Gertrude Aubauer, ist offen. Am 20. September findet der Wahlkampf seinen Höhepunkt. In Linz darf der schwarze Spitzenkandidat einen Stargast begrüßen, der sogar in der „Kronen Zeitung“ für positive Berichterstattung sorgen könnte: Angela Merkel. Die deutsche Bundeskanzlerin hat es ihrem christlich-sozialen Ösi-Freund gegen Gerhard Schröder vorgemacht: unterschätzte, verulkte Biederfrau besiegt sozialdemokratischen Boulevard-Liebling.

Die ÖVP will der CDU nacheifern und in den verbleibenden vier Wochen bis zur Wahl – mit dem „Bihänder“ – auf den anfangs wohl fahrlässig unterschätzten Werner Faymann losgehen. Das 5-Punkte-Programm des SPÖ-Vorsitzenden, das die ÖVP Montag vergangener Woche aufgescheucht hatte, wurde von jeder schwarzen Teilorganisation – Pensionisten inklusive – zerfetzt. Der frühere EU-Kommissar und Vorsitzende des Molterer-Personenkomitees, Franz Fischler: „Für Wilhelm Molterer wird es keine leichte Aufgabe. Er muss den Wählern klarmachen, wie unseriös die Pläne der SPÖ sind.“ Im Hintergrundgespräch weisen ÖVP-Politiker dieser Tage gern darauf hin, dass Faymann – im Gegensatz zu Molterer natürlich – kein Akademiker sei, nur über rudimentäre Englisch-Kenntnisse verfüge und in EU-Angelegenheiten desinteressiert bis überfordert sei. Und Generalsekretär Missethon erzählt im kleinen Kreis gern von der mangelnden Strahlkraft des SPÖ-Spitzenkandidaten. So seien unlängst bei einem Auftritt Faymanns in der roten Hochburg Leoben nicht einmal 200 Leute erschienen. Fremde Sorgen trösten bei eigenen eben immer noch am besten.

Von Gernot Bauer