ÖVP: Schüssels langer Schatten

Molterer kann sich nicht als Nummer 1 profilieren

Drucken

Schriftgröße

Es war so wie früher: Gespräche an der Uni über die Zukunft Europas, Mittagessen mit Journalisten, Telefonsprechstunde in den Redaktionen der beiden größten Tageszeitungen und schließlich ein Auftritt vor dem Landtagsklub. Spontan habe es die Abgeordneten aus den Sitzen gerissen, als Wolfgang Schüssel vergangene Woche auf seiner Bundesländer-Tournee in Graz Station machte, berichtet ein Teilnehmer.

Ein Kanzlerprogramm – für einen Klubobmann fast zu pompös.

Wie jemand, der immer noch allein das Sagen hat, hinterließ der Vollblutpolitiker Schüssel in der Steiermark auch politische Duftmarken. „Ich warne davor, dass wir es den Jungen mit Kuschelpolitik allzu leicht machen“, deponierte er etwa einen eher strengen Beitrag zur Schuldebatte. In einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ dachte er laut über eine Erhöhung des Pensionsalters für Frauen nach – eine Debatte, die Vizekanzler Wilhelm Molterer tags darauf mit einer Miene, als sei er eben auf einen rostigen Nagel getreten, wieder einfangen musste: „Das steht nicht zur Disposition.“

Wolfgang Schüssel wird für seinen Nachfolger zusehends zum Problem – nicht weil er tatsächlich den Kurs vorgibt, sondern einfach wegen seiner Präsenz. „Schüssel ist in der Partei zum Mythos geworden, weil er ihr das Kanzleramt zurückgebracht hat. Es gibt so etwas wie eine Schüssel-Nostalgie“, sagt ein ÖVP-Insider.

Vor allem aber: Für die meisten Österreicher ist er immer noch der ÖVP-Chef. Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten OGM-Umfrage sagen 47 Prozent, Schüssel spiele in der ÖVP die führende Rolle, nur 32 Prozent glauben dies vom amtierenden Parteiobmann Molterer (siehe Grafik Seite 20). Molterers Umfragewerte fallen leicht, aber beständig – angesichts seiner tadellosen Leistung als Finanzminister wohl eine Folge der Unklarheit an der Parteispitze. Laut aktueller OGM/profil-Umfrage halten 25 Prozent Wolfgang Schüssel für den besten ÖVP-Politiker, aber nur noch 15 Prozent Wilhelm Molterer. In der profil-Umfrage von Juni waren die beiden Spitzenschwarzen noch gleichauf gelegen. Erster bleibt unangefochten Umweltminister Josef Pröll (siehe Grafik unten).

Sympathiewerte. Auch andere Meinungsforschungsinstitute bestätigen diesen Trend. So fragt das Linzer Spectra-Institut im Auftrag der „Oberösterreichischen Nachrichten“ seit März regelmäßig die Sympathiewerte des Bundes- und des Vizekanzlers ab. Damals war Molterer bei der Frage „Wer von beiden gefällt Ihnen besser?“ in seinem Heimatbundesland mit 34 zu 30 vorangelegen. Im Juli führte er noch knapp 33 zu 32. In der Oktober-Umfrage übernahm Alfred Gusenbauer mit 41 zu 25 deutlich die Führung – und das, obwohl dem Profi-Politiker Molterer bisher kein gravierender Fehler unterlaufen ist.

Die Konstellation an der Parteispitze verhindere Molterers Profilierung als Nummer eins in der Partei, meint OGM-Chef Wolfgang Bachmayer: „Schüssel hat vorher von vorn einen Schatten auf Molterer geworfen, jetzt wirft er seinen Schatten von hinten.“

Manchmal auch von nebenan: Als Wilhelm Molterer Ende September beim Geburtstagsfest für den abgetretenen bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in München einer der ohnehin raren Auftritte auf internationalem Pflaster vergönnt war, stand Wolfgang Schüssel mit auf der Bühne. Verständlich vonseiten Stoibers: Auch ein Ex-Kanzler macht noch was her. Für Molterer war es nur die zweitbeste Lösung.

Ein Musterbeispiel für die eingeschränkte Bewegungsfreiheit des ÖVP-Obmanns ist die Debatte um die Offenlegung der Berufseinkommen der Nationalratsabgeordneten. Josef Cap und Wolfgang Schüssel waren übereingekommen, nur die Liste mit der Art der „Nebenbeschäftigung“ der Abgeordneten zu veröffentlichen, nicht aber die Höhe der Einkommen. Als Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) einen entsprechenden Vorschlag machte, befand Cap, die Veröffentlichung der Art des Jobs sei „völlig ausreichend“. Tags darauf verfügte Parteichef Alfred Gusenbauer, die Einkommen seien „auf Heller und Pfennig“ zu veröffentlichen: „Unsere Abgeordneten haben nichts zu verstecken.“ Mit nur drei Gegenstimmen schluckte der rote Abgeordnetenklub das Verdikt des Chefs.

In der ÖVP lief die Debatte unrunder. Nachdem sich auch Josef Pröll als emeritierter Leiter der ÖVP-Perspektivengruppe für die Veröffentlichung der Einkommen ausgesprochen hatte, wurde er von Klubobmann Schüssel harsch zurückgepfiffen: Pröll sei einem „Missverständnis“ aufgesessen. Schwer verärgert meldete sich nun wieder Josef Pröll: „Ich brauche keine Interpretation meiner Aussagen.“ Parteichef Molterer zog den Kopf ein. Diese Entscheidung habe ausschließlich der Parlamentsklub zu treffen, „und ich respektiere das absolut“.

Schüssel hatte sich durchgesetzt, wenn auch zu einem hohen Preis: Laut aktueller Umfrage wollen drei von vier Österreichern wissen, wo und vor allem wie viel ihre Abgeordneten außerhalb des Parlaments verdienen.

Kein Wunder, dass vor allem Sozialdemokraten und Grüne nicht müde werden, Schüssel als den wahren Parteiobmann darzustellen, der peinlich genau darauf achte, dass die Regierung seiner politischen Hinterlassenschaft keinen Kratzer zufüge und dass es auch in der Gesellschaftspolitik keine allzu großen Sprünge nach vorn gebe.

Allerdings hatte eine OGM-Umfrage im Auftrag von profil im April zutage gefördert, dass sich jeder zweite Österreicher eine modernere ÖVP wünscht, nur 26 Prozent glauben, die Schwarzen sollten weiterhin vor allem die Wahrer der alten Werte bleiben. Unter den ÖVP-Wählern steht es 36 zu 28 für die Fortschrittler.

Überschätzt. Dass der Ex-Kanzler die ÖVP auf strikt konservativem Kurs halte, wie von Sozialdemokraten und Grünen behauptet, sei Unsinn, meinen selbst schüsselkritische Kräfte in der schwarzen Regierungsriege: „Schüssels Einfluss in der Regierungsfraktion ist enden wollend, das wird in der Öffentlichkeit stark überschätzt.“ Tatsächlich handelte etwa Wissenschaftsminister Johannes Hahn in der Schulfrage mit der roten Ministerin Claudia Schmied einen Kompromiss aus, für den er, so der „Kurier“, vom erbosten Schüssel in der fraktionellen Ministerratsvorbesprechung vor versammelter Mannschaft „zusammengeputzt“ worden sei. Gegenüber profil kommentiert Hahn die Vorgänge vornehm: „Sagen wir so: Man konnte das Gefühl nicht loswerden, dass das Ergebnis nicht von allen hoch geschätzt wurde.“

Auch die Sozialdemokraten können kaum konkrete Beispiele für direkte Eingriffe Schüssels ins Geschehen liefern. „Er zieht im Hintergrund die Strippen“, bleibt selbst SP-Klubobmann Josef Cap eher im Vagen. Als dunkle Macht im Hintergrund gibt der schweigsame Ex-Kanzler für die roten Spin-Doktoren dennoch einiges her.

Dies umso mehr, als aus dem ÖVP-Parlamentsklub oft irritierende Initiativen kommen. Vergangenen Mittwoch etwa kündigte die ÖVP-Seniorensprecherin Gertrude Aubauer einen Antrag im Sozialausschuss an, wonach die Vermögensgrenzen für den Zuschuss zur 24-Stunden-Pflege aufgehoben werden sollen. Genau das Gegenteil hatte Wilhelm Molterer zuvor ausgehandelt: Die Vermögensgrenzen werden nicht aufgehoben, die Länder können sie aber flexibel anwenden.

Querschüsse. Weniger bedeutsam, aber dafür typischer ist das parteiinterne Tauziehen um die Homo-Ehe. Sie war im Anfang Oktober von Josef Pröll vorgelegten „Perspektivenpapier“ der zentrale Beweis für neue Modernität der ÖVP: „Zwei Personen gleichen Geschlechts können ihre Partnerschaft beim Standesamt eintragen lassen“, hieß es da. Bei der Präsentation kündigte Wilhelm Molterer einen entsprechenden Gesetzesantrag der ÖVP an. Dieser blieb jedoch aus. Als Justizministerin Maria Berger (SPÖ) kürzlich einen Entwurf vorlegte, der sich an den ÖVP-Perspektiven orientierte, kamen aus dem ÖVP-Parlamentsklub Querschüsse: Der Akt könnte doch auch von einer anderen Behörde als dem Standesamt vollzogen werden, mäkelte ÖVP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer. Außerdem wolle man keine Zeremonie, sondern nur „einen schlichten Verwaltungsakt“. SPÖ-Homosexuellen-Sprecher Günter Tolar entsetzt: „Das hätte dann ja das Niveau einer Autoanmeldung.“

Bremsspuren gibt es auch im Parlament selbst. So stand bereits eine 5-Parteien-Einigung zur Belebung der Fragestunde, die laut Nationalratspräsidentin Barbara Prammer wie im britischen Unterhaus aus flotter Rede und Gegenrede bestehen sollte. Zuletzt stieg Schüssel aus: Damit komme die Opposition über Gebühr zu Wort, argumentierte er. Eine tragfähige Achse verbindet Schüssel mit dem Zweiten Nationalratspräsidenten Michael Spindelegger (ÖVP). Hinter den Angriffen Spindeleggers auf die seiner Meinung nach zu teuren Umbaupläne Prammers vermuten die misstrauischen Roten daher abermals Schüssel.

Erstmals seit Jahren gibt es auch in der ÖVP offene Kritik am Ex-Kanzler: Schüssel führe den ÖVP-Klub ohne Witz und Fantasie, meinte der Wiener ÖVP-Abgeordnete Ferdinand Maier im „Kurier“. Die „Kleine Zeitung“ vermeldete vergangenen Donnerstag in ihrem Politik-Aufmacher sogar schon „Erste feine Risse in der VP-Spitze“.

Schüssels Sterne stehen aber gut. Das Internet-Horoskop „Sternenwelten“: „Sein Handlungsspielraum ist dank des Uranus-Transits groß. Der nachfolgende Neptun schmälert diesen nicht.“

Von Herbert Lackner