Schwarzsehen

Wie Michael Spindelegger seinen Parteichefposten retten will

ÖVP. Wie Michael Spindelegger seinen Parteichefposten retten will

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Je tiefer man in der ÖVP geht, desto klarer ist die Botschaft: keinesfalls „Five More Years“. Die Parteibasis aus Gewerbetreibenden, Bauern und Angestellten lehnt eine Neuauflage der Großen Koalition glatt ab. Lieber Opposition als „More of the Same“. Aus den Führungszirkeln der Partei ist zu „Rot-Schwarz“ dagegen zu hören: „TINA – There is no Alternative.“ Mit seinem Wahlergebnis von 24 Prozent kann Michael Spindelegger vorerst überleben. Wären es unter 22 Prozent gewesen oder hätte sich der Abstand zur SPÖ nicht verringert, sondern signifikant vergrößert, wäre die Suche nach dem 16. Bundesparteiobmann der ÖVP bereits angelaufen. Der 15. Chef der Volkspartei kann daher mit einer gewissen Erleichterung in die Koalitionsverhandlungen mit Werner Faymann gehen. Michael Spindelegger feiert im Dezember – Heinz Fischers Terminvorgabe für die Regierungsbildung – seinen 54. Geburtstag. Wird er zum planmäßigen Ende der 25. Gesetzgebungsperiode 2018 noch Vizekanzler, Bundesparteiobmann und Spitzenkandidat für die 26. Nationalratswahl in der Geschichte der Zweiten Republik sein?

Eine profil-Analyse in fünf Kapiteln.

1. Die Personalien
Spricht Maria Fekter halbwegs gut gelaunt über ihren Parteiobmann, ist er „der Spindelegger“. Bei schlechter Stimmung verknappt Fekter seinen Namen zu einem schlichten „der da“. Das tut sie seit gut einem Jahr bei Hintergrundgesprächen, Heurigen und Parteiveranstaltungen in Oberösterreich. „Der da“ ist daran nicht ganz unschuldig. Politiker sind nachtragend. Weniger aus Charakterschwäche als aus Selbstschutz: Wer einen einmal abschieben wollte, wird das auch ein zweites Mal tun. Im August vergangenen Jahres wollte Spindelegger Fekter aus dem Finanzministerium entfernen, um es selbst zu übernehmen – erfolglos.
Nun könnte er das Finanzministerium erneut für sich beanspruchen. Das einflussreichste Amt, das die Partei zu vergeben hat, sollte dem Chef vorbehalten sein, auch wenn es gewisse Risiken birgt. Doch die Abwicklung der Hypo-Alpe-Adria-Bank oder die nächste Eurokrise schaden der ÖVP sowieso, als Finanzminister ist Spindelegger wenigstens mitten im TV-Geschehen und mit dem Kanzler auf Augenhöhe. Ein gutes Kabinett soll die hohe Arbeitsbelastung abfedern.

Außenamt wie bisher ist zwar ehrenwert, aus innenpolitischer Sicht aber überschätzt. Was bringen Termine mit Ban Ki-moon, Aung San Suu Kyi oder dem Dalai Lama, wenn die „Krone“ auf der Titelseite lieber Schnappschüsse von Werner Faymann beim Schnitzelessen mit Arnold Schwarzenegger bringt?

Aus der ÖVP ist freilich zu hören, Spindelegger würde in dieser heikelsten aller Personalien wieder zaudern – weil Fekter an der Parteibasis Kultstatus genießt und von der einflussreichen oberösterreichischen Industrie unterstützt wird. Sie selbst will auf jeden Fall Finanzministerin bleiben. Auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner spitzt auf den Job.
Die Zeit drängt. Am 29. Oktober konstituiert sich der Nationalrat. Will Spindelegger Fekter auf den Posten der Zweiten Präsidentin abschieben, muss er bis dahin die notwendige Überzeugungsarbeit geleistet haben. Die Ironie der Geschichte: Nach der verlorenen Wahl 2006 hatte Fekter Spindelegger das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten überraschend streitig gemacht und war bei einer Kampfabstimmung im Klub mit 31 zu 33 Stimmen nur knapp unterlegen.

Daraus lassen sich zwei Lehren ziehen. Erstens: Der Posten des Zweiten Nationalratspräsidenten führt nicht zwangsläufig in die politische Gleitpension – man kann immer noch Bundesparteiobmann der ÖVP werden. Zweitens: Ein Nationalratsklub führt ein gewisses, von der Parteiführung nicht immer kontrollierbares Eigenleben. Auch dies könnte Michael Spindelegger bald zu spüren bekommen. Klubobmann Karlheinz Kopf will sein Amt behalten und gilt als streitlustig genug, in eine Kampfkandidatur zu gehen, sollte der Bundesparteiobmann einen anderen – etwa Außenamts-Staatssekretär Reinhold Lopatka – als Fraktionsvorsitzenden favorisieren.

2. Die Obmanndebatte
Historisch betrachtet ist Spindelegger schon jetzt erfolgreicher als Josef Pröll und Wilhelm Molterer zusammen. Ersterem blieb als ÖVP-Parteiobmann eine Nationalratswahl krankheitsbedingt verwehrt, Zweiterer musste nach seiner krachenden Niederlage 2008 abtreten. Spindelegger bleibt auf absehbare Zeit Chef. Die Situation erinnert an Dezember 1995. Damals vergeigte der frisch gekürte Obmann Wolfgang Schüssel von ihm angezettelte Neuwahlen. Dennoch behielt er seinen Job. Der Grund: Niemand in der Partei besaß die Kraft und den Willen, den Boss in Frage zu stellen.

Am Wahlabend – und einzelne klammheimlich auch schon davor – hatten sich die schwarzen Bünde- und Landeschefs darauf verständigt, keine Obmanndebatte anzuzetteln. Einziger Unruheherd ist der Wirtschaftsbund. Doch zum einen haben die Arbeitgeber an innerparteilichem Einfluss verloren. Zum zweiten ist Wirtschaftsbund-Präsident Christoph Leitl wegen seiner „Abgesandelt“-Einlassung zu Österreichs Wettbewerbsfähigkeit selbst angeschlagen, und zum dritten fehlt ein klarer Alternativkandidat.
Interessanterweise findet sich in den schwarzen Führungsetagen kaum jemand, der das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte allein dem Spitzenkandidaten oder der Kampagne der ÖVP-Zentrale anlasten will. Von „einem blauen Auge“ wie am Wahlabend mag mittlerweile freilich auch niemand mehr sprechen. Bei der Vorstandssitzung des Arbeiter- und Angestelltenbunds (ÖAAB) Mittwoch vergangener Woche setzte es scharfe Kritik an den diversen Wahlkampf-Hoppalas – von der Diskussion über die Arbeitszeitverlängerung (Reinhold Mitterlehners Fehler) bis zum Selbstleger „Anhebung des Frauenpensionsalters“ (Spindeleggers Fehler). In den Gremien von Wirtschafts- und Bauernbund war die Stimmung auch eher frustig.

Allgemein gelobt wurden in den schwarzen Nachbetrachtungen der Einsatz der Funktionäre und die Mobilisierungsfähigkeit der ÖVP, ohne die das Ergebnis wohl deutlich schwächer ausgefallen wäre. Der Schluss daraus in der Parteizentrale: Michael Spindelegger ist an der Basis beliebt. Der nächste Bundesparteitag findet erst 2015 statt. Wer Spindelegger in naher Zukunft stürzen will, muss das mittels Intrige tun und zumindest zwei der drei großen Bundesländer (Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark) und zwei der drei großen Bünde (Arbeitnehmer, Wirtschaft, Bauern) hinter sich haben. Der Einzige, dem solches in der Partei theoretisch zugetraut wird, kann an einem Putsch freilich kein Interesse haben: Schließlich will Erwin Pröll 2014 Bundespräsidentschaftskandidat werden.

3. Die Koalitionsverhandlungen
Spindeleggers Vorgängern gelang es in den Koalitionsverhandlungen 2006 und 2008, der ÖVP trotz Niederlage Finanzressort, Außenamt, Wirtschafts- und Innenministerium zu sichern. Der emotionale Ablauf war dabei immer der gleiche: Bockigkeit nach der Niederlage, Herablassung bei der Einladung zu Koalitionsgesprächen, Glückseligkeit nach Sicherung von Regierungsbeteiligung und Ämtern. Auf Finanzen und Äußeres kann die ÖVP aus Gründen der Machtbalance nicht verzichten, am Wirtschaftsressort zeigt die SPÖ kein Interesse. Aus taktischen Gründen könnte Spindelegger dem Koalitionspartner diesmal das Innenministerium antragen und sich das Verteidigungsressort schnappen. Das Kalkül: Wer Law&Order&Zero-Tolerance will, wählt trotz diesbezüglich profilierter ÖVP-Innenministerinnen nicht Volkspartei, sondern FPÖ. Und ab sofort müsste sich die SPÖ bei Abschiebungen von Asylwerbern mit Öffentlichkeit, NGOs und Grünen herumschlagen.

Inhaltlich wird die ÖVP bei Koalitionsverhandlungen wohl ein Opfer bringen müssen, sei es beim Thema Gesamtschule oder bei neuen Steuern. Nüchtern betrachtet wäre die Zustimmung zu Erbschaftssteuern wohl empfehlenswert. Die diesbezüglichen SPÖ-Pläne sind harmlos, weil Unternehmen nicht betroffen sein sollen. Und bei dem von Werner Faymann angekündigten Freibetrag von einer Million Euro finden sich auch unter ÖVP-Wählern deutlich mehr Unbeteiligte als Betroffene. Überdies könnten der Freibetrag und die Verhinderung einer Vermögensteuer leicht als schwarzer Erfolg vermarktet werden. Im Gegenzug bliebe das Gymnasium erhalten. Sollte Spindelegger das Unterrichtsressort für die ÖVP kapern, könnte er die volle ÖAAB-Power nutzen, um den Lehrergewerkschaften die Dienstrechtsreform abzuringen. Beifall von allen Seiten wäre ihm sicher.

Eines ist aus schwarzer Sicht bereits fix: In einer Großen Koalition Neu wollen es die ÖVP-Strategen unbedingt vermeiden, aufs Neue als Sparzwängler abgestempelt zu werden. Dem Koalitionspartner soll daher ein unumschränktes Bekenntnis zu einer weiteren Budgetkonsolidierung abgerungen werden, was dessen Vorfeldorganisationen ÖGB und Arbeiterkammer kaum gefallen dürfte.

4. Die Parteireform
Nachdem Wolfgang Schüssel die Neuwahlen 1995 überlebt hatte, veränderte er die ÖVP mittels minimal-invasiver Chirurgie. So schaffte er das traditionelle Dreikönigstreffen der ÖVP ab – bis dahin ein Fixtermin für schwarze Nörgler mit Öffentlichkeitsdrang. Und Schüssel begann, personelle Wünsche aus den Ländern einfach zu ignorieren. Eine delikate Personalie betraf 1996 einen damals 36-jährigen Politiker aus Niederösterreich: Michael Spindelegger. Erwin Pröll hatte seinen Landsmann auf die Bundesliste für die EU-Wahl im September reklamiert. Schüssel platzierte Spindelegger freilich an unwählbarer Stelle, worauf Erwin Pröll nach innen, sein damaliger Landesparteisekretär Ernst Strasser sogar nach außen tobte. Die EU-Politik sollte Strasser auch 15 Jahre später Zores, sogar strafrechtliche, bereiten.

Für organisatorische Reformen der Partei fehlt einem Obmann der Volkspartei schlicht das Durchgriffsrecht. Genau genommen ist die ÖVP-Zentrale eine Holding über sechs Einzelparteien. Die Bünde (Wirtschaft, Angestellte, Bauern, Senioren, Frauen, Junge) haben ihre eigenen Statuten und pochen auf ihre Unabhängigkeit ebenso wie die Landesorganisationen.

In der Parteizentrale dürfte vorerst alles beim Alten bleiben. War das Engagement von Generalsekretär Hannes Rauch ursprünglich bis zu den Nationalratswahlen begrenzt, will ihn Spindelegger noch mindestens bis zu den EU-Wahlen im Mai 2014 halten.

5. Die Kanzler-Frage
Die aktuelle Einschätzung eines ÖVP-Vorstandsmitglieds dürfte durchaus mehrheitsfähig sein. „Wenn wir 2018 wirklich den Kanzler stellen wollen, müssten wir jetzt in die Opposition gehen.“ Alternativ wäre noch ein schwarz-blauer Koalitionshasard à la Schüssel möglich, den Spindelegger kaum jemand in der Partei zutraut.

Als Koalitions-Juniorpartner Wahlen gegen die SPÖ zu gewinnen, ist beinahe aussichtslos. Selbst heuer – mit dem Schub gewonnener Landtagswahlen und einer überaus matten Sozialdemokratie – blieb die Volkspartei klar Zweiter. Auch ohne die neuen und schmerzhaften Konkurrenten NEOS wäre der Sieg wohl nicht möglich gewesen.
Das Hauptproblem der ÖVP lässt sich in einfacher Form als Zahlenreihe darstellen: 20, 19, 16, 15, 14 – die prozentuellen Wahlergebnisse in Innsbruck, Salzburg, Graz, Linz und Wien, insgesamt 1,6 Millionen Wähler.
Die Spannungen angesichts der urbanen Misere entluden sich vergangene Woche zwischen ÖVP-Wien-Chef Manfred Juraczka und Ursula Stenzel. Die Vorsteherin des Ersten Bezirks warf ihrer Partei vor, in „Technokratie erstarrt“ zu sein.

Parteiintern gilt Stenzel freilich eher als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung. Zu Wahlkampfbeginn hatte die Bezirksvorsteherin bekanntlich für größere Unruhe gesorgt, als sie der ÖVP vorwarf, zu wenig „bürgerliche Politik“ zu machen, in der Schul- und Familienpolitik „zu liberal“ zu sein und mit einem Muslim auf der Kandidatenliste Wähler zu vertreiben.

Asdin El Habbassi, Obmann der Jungen Salzburger Volkspartei, erzielte bei der Nationalratswahl immerhin 599 Vorzugsstimmen.