Online-Karrieren: Der Fluch des Erfolgs

Ist tatsächlich nur Neid Grund für Anfeindungen?

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Sie gelten als die netten Jungs des Internet: 1998 gründeten Larry Page und Sergey Brin in einer Garage die Suchmaschine Google. Acht Jahre später zählt das einstige Start-up zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen der Welt. Jede zweite Suchanfrage in den USA wird an Google gestellt, in Deutschland sind es sogar zwei von drei. Einstige Mitbewerber wie Infoseek, Webcrawler oder Altavista existieren entweder gar nicht mehr oder sind längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Als Motto für ihr Unternehmen wählten Page und Brin den Spruch „Tu nichts Böses“, und ihr Vorsatz war, die Welt ein wenig zu verbessern. Und tatsächlich konnte das Unternehmen lange Zeit ziemlich glaubwürdig vermitteln, nicht in erster Linie an schnellen hohen Profiten, sondern vor allem an der weiteren Verbesserung seines ohnedies bereits guten Produkts interessiert zu sein. Auch dass Google immer wieder Open-Source-Projekte sponsert und Eigenentwicklungen an diese Szene zurückführt, hat die Popularität und die Sympathie des Unternehmens ungemein gesteigert.

Gründungen wie Google, Amazon oder eBay ist gemein, dass sie klein und mit einer gewissen Portion Idealismus begonnen haben – und dann sehr schnell sehr erfolgreich geworden sind. Doch nun, da sie sich am vorläufigen Zenit ihres Erfolgs befinden – die drei sind in ihrem Kerngeschäft jeweils Marktführer –, bekommt deren Nice-Guy-Image plötzlich recht heftige Schrammen.

Patent-Kritik. Sehr früh schon hat sich Amazon, der Pionier des globalen E-Commerce, den Unmut der Internet-Gemeinde zugezogen: Bereits zweimal wurde von Open-Source-Verfechtern gegen den Online-Buchhändler zum Boykott aufgerufen. Im Jahr 2000 bekam Amazon ein bereits Jahre davor beantragtes Patent für so genanntes One-Click-Shopping zugesprochen. Damit können Kunden, sind sie einmal registriert, mit einem einzigen Mausklick einkaufen. Diese an sich triviale Idee nutzen viele Online-Händler, aber mit dem Patentrecht könnte Amazon jederzeit gegen sie vorgehen. Einst wollte Konkurrent Barnes & Noble einen Prozess vermeiden und hat sich mit Amazon darauf geeinigt, ein 2-Schritt-System einzuführen. Da die Idee des One-Click-Shopping aber so nahe liegend ist, hielten viele ein Patent darauf für nicht gerechtfertigt.

Apple-Boss Steve Jobs wiederum könnte die alte Weisheit, wonach Undank der Welten Lohn ist, in den Sinn gekommen sein, als plötzlich die Plattenlabels SonyBMG, EMI, Universal und Warner Music mehr Geld für die

Downloads forderten, die über Apples iTunes Music Store erfolgen. Schließlich hatte iTunes der Musikindustrie gleichsam die Pfründe gerettet. Denn auf die Revolution im Musikkonsum, die Ende der neunziger Jahre mit der Etablierung von Tauschbörsen wie Napster einherging, waren die Musikkonzerne nicht im Mindesten vorbereitet. Eine ganze Generation von Jugendlichen lud sich die neuesten Hits und komplette Alben mit ein paar Mausklicks aus dem Internet herunter, und das alles zwar illegal, aber völlig gratis.

Die Folgen sind einigermaßen bekannt: Die Mu- sikindustrie verzeichnete massive Umsatzeinbrüche – in manchen Ländern bis zu 40 Prozent. Klagen gegen Tauschbörsen, groß angelegte Razzien und Kampagnen („Raubkopierer sind Verbrecher“) zeigten eher mäßigen Erfolg: Kaum wurde ein Server geschlossen, war schon der nächste am Netz. 2003 jedoch startete Apple den iTunes Music Store und schaffte, was die Musikindustrie selbst nicht zuwege gebracht hatte – ein Angebot, das von den Nutzern angenommen wird und die Umsatzrückgänge der Musikindustrie tatsächlich bremsen konnte.

Erfolgsmodell. „Apple hat die richtige Konsequenz gezogen“, meint Klausjürgen Heinrich, Leiter des Zentrums für Neue Medien an der Donau-Universität Krems. „Die kommen eben aus dem Computerbereich. Online distribuierte Musik war für Apple daher ein logisches Thema.“ Zudem ist iTunes ein ausgezeichnetes Marketinginstrument für den MP3-Player iPod – und jeder verkaufte iPod steigert den Bedarf an digitalen Musikdateien.

Der weltweite Umsatz mit Musik-Downloads betrug laut IFPI, dem weltweiten Dachverband der Musikindustrie, 2005 rund 1,1 Milliarden Dollar – eine Verdreifachung gegenüber dem Jahr davor. Entgegen früheren pessimistischen Erwartungen ist Online-Musik zu einem soliden Absatzkanal für die Musikindustrie geworden. Mit rund 80 Prozent Marktanteil an legalen Downloads ist iTunes die Nummer eins der Online-Musikdienste. Im vergangenen Februar wurde bei iTunes der einmilliardste Song heruntergeladen.

Und dann kamen die Begehrlichkeiten der Musikindustrie. Ihre Argumentation für die plötzlich geforderte Preiserhöhung: Der Einheitspreis von 99 Cent sei unfair, da ältere Songs überteuert und aktuelle Hits unter ihrem Wert verkauft würden. Apple-Boss Jobs entgegnete, die „gierige Musikindustrie“ würde bei ihm auf Granit beißen, denn eine Erhöhung der Preise würde die Konsumenten in Scharen in die weit offenen Arme der Piraterie zurücktreiben.

Mangels potenter alternativer Anbieter konnte sich Jobs vorerst durchsetzen, doch die Konkurrenz formiert sich: Microsoft hat angekündigt, noch 2006 gemeinsam mit MTV einen Download-Dienst starten zu wollen, der allerdings nicht mit Apples iPod kompatibel sein soll. Damit dürfte man sich das Leben allerdings unnötig schwer machen, denn in den USA hat der iPod einen Marktanteil von 75 Prozent, und weltweit stammt immerhin jeder dritte digitale Musikplayer von Apple.

Neue Feinde. Kaum ein Unternehmen muss sich an so vielen Fronten gegen Anfeindungen zur Wehr setzen wie Google – für das Management der Internet-Suchmaschine ein noch recht ungewohntes Phänomen. Spätestens seit dem Börsegang 2004 wird ihm der Wahlspruch „Tu nichts Böses“ nicht mehr so recht abgenommen, schließlich sei das Unternehmen jetzt nicht mehr seinen Nutzern, sondern hauptsächlich den Aktionären verpflichtet. „Das saubere Image von Google bröckelt“, befindet Heinrich.

Tatsächlich gibt es kaum einen neuen Service des Unternehmens, der nicht sofort Kritiker auf den Plan rufen würde. So geschehen beim neuen Dienst „Google Books“: Bis 2015 sollen 15 Millionen Werke mehrerer Universitätsbibliotheken im Volltext eingescannt und allgemein verfügbar gemacht werden.

Zuerst liefen die US-Autorenvereinigung Authors Guild und der US-Verlegerverband Sturm. Der Vorwurf: massive Verletzung der Urheberrechte. Außerdem wird befürchtet, dass die Rechteinhaber finanziell nicht angemessen beteiligt werden. In Europa ist der vehementeste Kritiker Jean-Noël Jeanneney, Direktor der Französischen Nationalbibliothek. Er befürchtet die Auswahl der Werke nach rein kommerziellen Gesichtspunkten, um den Dienst für Werbekunden interessant zu machen, eine Dominanz der englischen Sprache sowie eine „Amerikanisierung des Weltgedächtnisses“.

Irritationen ausgelöst hat auch die freiwillige Selbstzensur der Suchseite in China. Die angeblichen Saubermänner würden plötzlich nur noch den Profit sehen, den 110 Millionen chinesische Internet-Nutzer versprechen würden, hieß es. Zwar zensieren auch Yahoo! und Microsoft ihre Seiten – die haben jedoch nicht das Motto „Tu nichts Böses“ als Leitspruch gewählt. „Das sind sehr große, erfolgreiche und global agierende Unternehmen“, meint der Internet-Experte Thomas Burg. „Da ist ganz klar, dass sie wie jedes andere Unternehmen auf einem großen Markt ihre Arrangements treffen. Das ist grundsätzlich nichts Verwerfliches.“

Zudem wird Google vorgehalten, mit zweierlei Maß zu messen. Einerseits fordert das Unternehmen immer wieder uneingeschränkten Informationszugang und Transparenz, gibt sich aber, wenn diese Themen das eigene Unternehmen betreffen, eher zugeknöpft. Datenschützer monieren, dass niemand kontrollieren könne, was mit den Unmengen an Daten der User, die Google verantwortet, wirklich geschehe.

Motiv Neid. Die Ursachen, warum die einstigen Liebkinder der Branche Ziel vermehrter Angriffe werden, sind vielfältig. „Der banalste Grund“, meint Heinrich, „ist der Neid der vielen Dotcom-Unternehmen, die den Bach hinuntergegangen sind.“ Zum anderen sind einer kritischen Öffentlichkeit schon allein die rasch entstandene Größe und der damit einhergehende Einfluss dieser Unternehmen suspekt. „Die unheilvolle Monopolbildung verleiht dem Ganzen einen eigenen Aspekt“, so Heinrich. „Im Computingbereich ist Microsoft das Feindbild, im Internet sind es aber heute Unternehmen wie Google. Es ist klar, dass kein anderer Suchmaschinenbetreiber Freude damit hat, wenn bereits der Duden den Begriff ‚googeln‘ aufnimmt.“

Vieles resultiert auch aus dem ganz normalen Konkurrenzkampf. Immer wieder werden Allianzen bekannt gegeben, die als Absicherung gegen Mitbewerber und zur Erschließung neuer Einnahmequellen dienen sollen. So wird Google künftig die Rechner des PC-Herstellers Dell mit einem Softwarepaket ausstatten – und greift damit Microsofts Vormachtstellung auf dem Desktop-Markt an.

Eine vor wenigen Tagen bekannt gegebene Kooperation zwischen eBay und Yahoo! wiederum könnte Google ins Schwitzen bringen: Die Unternehmen wollen einander in jenen Geschäftsfeldern unterstützen, in denen sie mit Google konkurrieren. Das Unternehmen war zuletzt mit einer eigenen Plattform für Kleinanzeigen in die ureigenste Domäne von eBay vorgedrungen, und am Online-Werbemarkt ist es der schärfste Konkurrent von Yahoo!. Mit der Kooperation in den Bereichen Internet-Suche, Kommunikationsdienste, Werbung und Bezahlsysteme könnten die beiden jedoch „Google in absehbarer Zeit einholen und vom Internet-Thron stoßen“, analysierte die „Financial Times Deutschland“.

Diebstahlsvorwurf. Und dann gibt es jene, die wohl bloß am Erfolg der Großen – berechtigt oder nicht – mitnaschen wollen. So verklagt nun Streamcast Networks, der Hersteller des Filesharing-Clients Morpheus, eBay und dessen Tochtergesellschaft, den mit beachtlichem Tempo expandierenden Internet-Telefondienst Skype. Streamcast fordert einen weltweiten Stopp von Skype und Schadenersatz in Milliardenhöhe. Streamcast beschuldigt Skype, die verwendete Technologie gestohlen zu haben. Freilich drängt sich der Eindruck auf, dass Streamcast beim Skype-Neubesitzer eBay Geld gewittert haben könnte, denn die Streitigkeiten schwelen schon seit Längerem.

Eine Abfuhr hat sich hingegen das Plattenlabel der Beatles, Apple Ltd., kürzlich geholt. Seit der Gründung des Computerherstellers Apple in den siebziger Jahren dauern die Zwistigkeiten um das Logo, den angebissenen Apfel, an. 1991 hatte sich Apple Computers verpflichtet, das Logo nicht für Aktivitäten im Musikgeschäft zu verwenden. Das habe sich mit dem Siegeszug von iTunes und iPod geändert, argumentierten die Kläger. Der Richter dürfte nicht ganz davon überzeugt gewesen sein: Er wies die Klage zurück.