Online-Reportage: Duell im Cyberspace

Die besten Computerspie- ler Österreichs in Wien

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In der monumentalen Eingangshalle des Wiener Barock-Palais Auersperg mit den Marmorstatuen, Kronleuchtern und dem dicken roten Teppich wirken die jungen Gäste deplatziert. Die Cyber-Athleten, die vor Wettbewerben oft tagelang im Internet trainieren, sind aus ganz Österreich hierher angereist, um eines der begehrten Tickets für die Weltmeisterschaft des so genannten „E-Sports“, für den Electronic Sports World Cup (ESWC), zu erkämpfen. Nach kurzem Staunen über das ehrwürdige Ambiente ziehen die Wettkämpfer, ausgerüstet mit Keyboards, Gamepads, Mouses und Headsets, über die mächtige Stiege in Räume mit viel Geschichte. „Eine außergewöhnliche Map“, meint einer. „Maps“ sind jene virtuellen Welten, in denen die Wettkämpfe in Disziplinen wie Autorennen, Fußball, Action- und Strategiespielen ausgetragen werden.

Spätestens beim Registrierungstisch landet die E-Gaming-Elite wieder in der Gegenwart: Jeder der rund 100 Wettkämpfer bekommt eine Dose Red Bull in die Hand gedrückt. Energy Drinks sind im E-Sport neben Kaffee erlaubte „Dopingmittel“, um die vielen Stunden vor dem Bildschirm durchzuhalten.

„Ich habe im Vorjahr erstmals beim Online-Qualifying und Finale zur WM teilgenommen“, erzählt der HTL-Schüler Manuel Baier, 19. „Meine Mutter war anfangs wenig begeistert. Als ich dann aber nach Paris fahren durfte und gleich Vizeweltmeister wurde, hat sie das dann doch beeindruckt.“ Der Titel bei einem Online-Autorennspiel brachte Baier alias Spieler „Baiy000r“ ein Preisgeld von 9000 Dollar.

High-Tech-Ausrüstung. Um die Prunkräume im Palais vom 2. bis 3. Juni für das „National Final“ des ESWC fürs Internet-Zeitalter zu rüsten, verlegte der Veranstalter zehn Kilometer Kabel und verstärkte das Stromnetz. Räume wie der Kaiser- und der Kronprinz-Rudolf-Saal wurden mit mehreren Tischreihen und baugleichen High-End-Computern bestückt. Jeder Spieler soll die gleichen Bedingungen vorfinden.

Wer glaubt, bei den Wettbewerben säßen die Spieler ruhig und konzentriert vor den Flat Screens, irrt. Bei den Turnieren gehen die Emotionen der Spieler hoch – ebenso wie jene ihrer Fans, die in einem eigenen Raum über eine große Leinwand zusehen. Kommentatoren, die über dem Geschehen thronen, heizen die Stimmung zusätzlich an – vor allem bei der Königsklasse der Online-Spiele, dem so genannten Taktik-Shooter Counter-Strike. „Das ist eine moderne Form von ,Räuber und Gendarm‘“, erklärt Martin Szesztanovich, 25, der seit sieben Jahren die Actionspiele Quake und Counter-Strike praktiziert. Bei Letzterem, kurz CS genannt, treten zwei Teams mit je fünf Spielern gegeneinander an – eine Sondereinheit der Polizei gegen Terroristen, die an den virtuellen Schauplätzen eine Bombe deponiert haben. Es wird gejubelt, geflucht und geklatscht. Das realitätsnahe und gerade deshalb oft kritisierte Spiel ist im deutschen Sprachraum mit rund 200.000 aktiven Spielern pro Monat die Nummer eins unter den Online-Actionspielen.

Das Teamspiel erfordert nicht nur Reaktionsgeschwindigkeit, sondern auch taktische Absprachen über die Headsets. Heuer ist bei der WM erstmals ein weibliches Counter-Strike-Team aus Österreich dabei. „Ich spiele schon seit drei Jahren, mein Freund brachte mich dazu“, erklärt Denise Gstöttner, 20, Mutter eines dreijährigen Sohns und im Tierschutz aktiv. Denises Freund mit dem Nickname

„Gore“ spielt als Profi für ein deutsches Team. Das Spielergehalt sowie die Preisgelder reichen bereits für den Lebensunterhalt der jungen Familie.

Trainingscamp. „Nis“, wie Denise im Spiel heißt, tritt mit ihren Mitstreiterinnen des weiblichen Teams „Allured“ heuer das erste Mal an und wirkt trotz Unmengen von Red Bull etwas müde. Immerhin hat das Team nur zwei Stunden geschlafen, da es die letzten Tage ein „Bootcamp“ veranstaltet hat: eine Art Trainingsseminar, bei dem im Internet gegen andere Frauenteams gespielt wurde. Heute geht es nur um ein Freundschaftsmatch gegen eine „Bubenmannschaft“, bei der WM müssen sich die Mädels gegen internationale Frauenteams beweisen.

Ohne gefragt zu werden, schneiden die E-Sportler das Reizthema „Killerspiele“ an. „In Deutschland hat schon jeder dritte Jugendliche CS gespielt“, meint etwa der WU-Student Yilmaz Seren, 22. Die Spieler sehen die Shooter-Spektakel vor allem als sportlichen Wettbewerb. „Wir sind alle eher ausgeglichen, weil wir uns virtuell abreagieren können“, behauptet der 19-jährige Alexander Fuhrmann.

Bei den Wettbewerben sorgt ein strenges Reglement für Fairness. Gespielt wird im National Final nach der Turnierregel „Double Elimination“, die etwa auch im Tennis zur Anwendung kommt: Je 16 Teilnehmer treten gegeneinander an. Wer einmal verloren hat, spielt vorerst im „Loser-Bracket“ gegen alle Verlierer. Die Sieger tun dies im „Winner-Bracket“. Wer aus den Spielen der „Loser“ als Sieger hervorgeht, muss dann zwei Spiele hintereinander gegen den Champion der „Winner“ für sich entscheiden, um als Gesamtsieger festzustehen und somit nach Paris fahren zu dürfen.

E-Sport hat längst nichts mehr mit gelegentlichen Internetspielen zur Entspannung oder wilden LAN-Partys zu tun, sondern erfordert extreme Konzentration, Reaktionsgeschwindigkeit und perfekte motorische Koordination. Neben flinken Fingern sind bei Team- und Strategiespielen Zusammenarbeit und reichlich Hirnschmalz gefordert. Ohne taktisches Verständnis, logisches Denken und klare Kommunikation ist man in den virtuellen Welten schnell verloren.

Riesengeschäft. Weltweit sind rund 400 Millionen Video- und Computerspieler aktiv, wovon 20 Millionen regelmäßig meist über das Internet spielen. Die Umsätze der PC- und Videospiele-Industrie sollen Prognosen zufolge demnächst jene der Musikindustrie übersteigen. Derzeit setzt diese Sparte geschätzte 25 bis 35 Milliarden Euro um. In Europa dürften laut dem Marktforscher PriceWaterhouseCoopers heuer allein mit Spiele-Software elf Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Weltweit soll das Umsatzvolumen bis 2010 auf 46 Milliarden Dollar ansteigen. Dazu kommen noch die Investitionen der Spieler in Computer, Spielkonsolen, Grafikkarten, Gamepads und Fanartikel.

In Österreich gibt es rund 700.000 E-Games-Interessierte. Rund 8000 heimische Online-Spieler gelten als echte E-Sportler, die regelmäßig für Wettbewerbe trainieren. Zur echten Profiszene zählt Nescho Topalov, Geschäftsführer der Top Ideas Marketing & Events GmbH und Veranstalter der ESWC in Wien, indes nur rund 100 Österreicher.

30.000 Spieler sind hierzulande in so genannten „Clans“ (Teams) organisiert, die regelmäßig gegeneinander in Internet-Wettbewerben antreten. „Wir zählen bei Events sicher zur Elite, aber es fehlen in Österreich einfach die Sponsoren“, klagt Szesztanovich, der für einen deutschen Clan spielt. „Seste“ trainiert fünfmal die Woche jeweils rund drei Stunden. „Und vor Events so viel wie möglich“, so der gelernte Großhandelskaufmann. Alexander Fuhrmann, der unter dem Namen „Spirit“ für den Clan plan-B im Taktikspiel WarCraft III TFT antritt, übt drei bis vier Stunden am Tag. „Für WarCraft III braucht man viel Übung, Profis trainieren bis zu zwölf Stunden am Tag“, so Fuhrmann, der bereits an den World Cyber Games 2005 in Singapur teilgenommen hat. „In Österreich kann man aber sicher nicht davon leben.“

Spielertransfers. In Deutschland dagegen, das sich langsam zu einer der großen E-Sport-Nationen entwickelt, geben sich Sponsoren schon zahlungsfreudiger. Hier werden die Clans zunehmend professionell organisiert und Spieler fix bezahlt. Als wahres Mekka des E-Sports gilt neben Nordamerika allerdings Südkorea. Dort werden bei Spielertransfers ähnlich wie im Fußball bereits Millionenbeträge bezahlt. Und wenn der gerade 20-jährige Südkoreaner Ma Jae-yoon („Maestro“) nach einem Sieg die Veranstaltungshallen verlässt, kann er sich vor seinen Fans – vornehmlich weiblichen – kaum retten. Sein Fanclub hat über 20.000 Mitglieder. Maestros Spiel StarCraft ist in Südkorea ein Volkssport geworden, der in Endspielen mehr als 100.000 Zuseher in Hallen und Millionen vor die Fernseher lockt. Zwei Fernsehsender berichten in Korea rund um die Uhr über E-Sport. Meister wie Maestro oder Lim-Yo-Hwan, 26, der kürzlich seine Profikarriere aufgab und einen Fanclub mit 600.000 Mitgliedern hinterließ, verdienen mehr als 200.000 Euro im Jahr und spielen als fix angestellte Profis in Clans, die von Sponsoren finanziert werden. Dazu kommen Werbeverträge, wie sie in der Welt des Spitzensports üblich sind.

Von den Summen, die Computer-, Getränke- und Bekleidungskonzerne dort in ihre Teams investieren, können die deutschen Profis nur träumen. Da aber laut Topalov rund 25 Millionen Deutsche mehr oder weniger regelmäßig spielen, wovon mehr als eine Million Spieler in über 10.000 registrierten Clans organisiert ist, entdecken die Sponsoren nun auch den deutschen Markt. In Deutschland gibt es rund 60.000 E-Sportler, von denen 300 zu den weltweiten Top-Spielern zählen.

Clan-Strukturen. In einigen der besten deutschen Clans spielen auch österreichische Spieler als Profis. Sie kassieren nicht nur Preisgelder bei den nationalen und internationalen Turnieren, die oft schon die 10.000-Euro-Grenze überschreiten, sondern beziehen noch dazu ein fixes Gehalt. Topalov zufolge hat der Boom des E-Sports dennoch gerade erst begonnen. Da Online-Spieler rund 200 Euro pro Jahr in ihr Hobby investieren und durchschnittlich 18 bis 26 Stunden pro Woche spielen, entwickeln sie sich außerdem zu einer wichtigen Zielgruppe für die Werbung.

Die ESWC-Weltmeisterschaft in Paris findet vom 5. bis 8. Juli 2007 statt und ist eine professionell organisierte Sportshow der Superlative, die alljährlich rund 700 Spieler sowie 20.000 Zuschauer aus der ganzen Welt in riesige Hallen lockt. Die Teilnehmer rekrutieren sich aus einem Ausleseprozess von rund 500.000 E-Sportlern. Neben dem Ruhm winken beachtliche Preisgelder in der Gesamthöhe von 500.000 Dollar. Der Weltmeistertitel in jeder der sieben Disziplinen war im Vorjahr immerhin rund 13.000 Dollar wert.

Beim Österreich-Finale des ESWC im Palais Auersperg geht es indes vorerst nur um die Ehre und Sachpreise. Die Sieger dürfen zur WM nach Paris fahren. Dort treffen sich im Palais Omnisport de Bercy nicht nur Spieler aus der ganzen Welt, sondern auch die Fans, die auf großen Screens die Turniere unter lautem Getöse verfolgen. „In der Arena kann man nicht mehr mit normalen Headsets spielen, da kommen Helikopter-Kopfhörer zum Einsatz“, weiß Counter-Strike-Spieler Szesztanovich, der mit 25 Jahren zu den alten Hasen zählt und schon einmal in Paris an der WM teilgenommen hat. Heuer hat es sein Team nicht geschafft. Der Clan plan-B dagegen fährt nach Paris. Manuel Baier, Vizeweltmeister des Autorennspiels Track Mania, hofft wieder auf einen Preis. „Es sind heuer aber alle ungefähr gleich stark“, so der Rennfahrer. Ob er diesmal Weltmeister wird, wird sich am 8. Juli zeigen.

Von Alfred Bankhamer