Orden: Gekommen, um zu bleiben

Orden: Gekommen, um zu bleiben. Klöster zwischen barocker Pracht und Existenzangst

Zwischen barocker Pracht und Existenzangst

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Der Weg hat 28 Wendungen, eine für jeden Tag eines Mondmonats, und er führt elfmal im Kreis. Die Elfzahl – zwölf, die Zahl für Vollkommenheit, minus eins – soll den Wanderer an seine Unvollkommenheit gemahnen. Sein Weg führt in die Mitte – und von dort wieder hinaus. Eine halbe Stunde braucht man, um die Rasenstreifen abzuschreiten. Man muss sich also Zeit nehmen für das Labyrinth, das die Salvatorianer in ihrem Klostergarten in Gurk angelegt haben.

Zeit ist ein rares Gut für Pater Josef. Dennoch gibt der Ordensmann der Verlockung, eine Kehre zu überspringen, nicht nach, nicht einmal für das Foto. Denn was hätte das Labyrinth dann noch für einen Sinn?

Darüber könnte man ewig philosophieren, auch weil es so gut zum Thema passt. Was hat es für einen Sinn, sich an ein riesiges Kloster zu klammern, wenn man zu wenig Leute hat, um es zu bewirtschaften? Welchen Sinn hat ein Orden, wenn die Mönche vor lauter Arbeit nicht mehr zum gemeinsamen Essen und Beten kommen?

Das Geräusch eines Rasenmähers ist zu hören. Bruder Hans sitzt darauf und fräst kerzengerade Bahnen in die saftig grüne Wiese. Sein Vorgänger liebte es, mit dem kleinen Traktor regelmäßige Kreise zu ziehen, doch der ist nicht mehr in Gurk. Das Mähen wird heute noch Stunden dauern. Bruder Hans hat niemanden, der ihm hilft.

Mit ihm leben drei Patres und eine Schwester in dem Kloster. Eine karge Besetzung für ein Gebäude mit vielen Zimmern, einem Jugendgästehaus, drei Pfarren, einem Dom, Exerzitienwochen für Gäste, einem Klosterladen, einem weitläufigen Garten und dem ganzen Rest, der sonst noch anfällt. Als Pater Josef vor acht Jahren hierher kam, gab es noch vier Patres, zwei Schwestern und zwei Novizen. Die Jungen haben den Orden vor dem ewigen Gelübde verlassen, seither sind die Salvatorianer ohne Nachwuchs.

Weltliche Angestellte. „Zwei Leute mehr, und das Arbeiten wäre angenehm“, seufzt Pater Josef. Die Ordensleute beschäftigen zehn weltliche Angestellte, trotzdem mussten sie ihr Angebot für Klostergäste reduzieren. Es gibt keinen Salvatorianer mehr, den man holen könnte. Der 1881 in Rom gegründete Orden zählt österreichweit nur noch 26 Mitbrüder. Als Pater Josef vor 30 Jahren eintrat, waren es doppelt so viele, und immer standen fünf bis sechs Junge gleichzeitig in Ausbildung.

„Sind wir dazu da, Besitztümer zu erhalten?“, fragten sich die Ordensleute unlängst und entschieden, Gurk aufzugeben. Ende August 2008 werden sie aus dem Kloster ausziehen. Bis dahin hoffen die Salvatorianer, einen Orden zu finden, dem sie die Schlüssel übergeben können. „Wenn hier keine Jungen mehr einziehen, ist das tot“, sagt Pater Josef.

Die Salvatorianer wollen sich jetzt wieder auf Wesen und Zweck ihrer Gemeinschaft besinnen. So wie sie es beim Wandern im Labyrinth von Gurk gelernt haben: Der Weg führt in die Mitte – und von dort in die Welt hinaus.

Es ist eine Zeit der Reflexion und Neuorientierung. Personalschwund und Überalterung zwingen fast alle Gemeinschaften, die Kräfte zu bündeln und Ballast abzuwerfen. Denn auf rund 5000 Ordensfrauen, die meisten von ihnen über 65, kommen nur mehr 28 Novizinnen. Nicht viel besser sieht es bei den Patres aus (siehe Kasten). Vor allem den Orden, die im 18. und 19. Jahrhundert als Antwort auf brennende soziale Fragen gegründet worden waren, kam der Nachwuchs abhanden. „Das zwingt die Orden, sich ein neues Profil zu geben“, sagt Christine Rod, Organisationsentwicklerin und Mitglied der Missionarinnen Christi.

Schließungswelle. Gurk ist weder das erste Opfer dieses Trends, noch wird es das letzte gewesen sein. Die Schließungswelle begann vor zehn Jahren bei den Schulen: 1994 übergaben die Jesuiten das renommierte Kollegium Kalksburg am Rande Wiens an Laien. Inzwischen wurde fast jede zweite Ordensschule in einen Verein umgewandelt oder in die Vereinigung der Ordensschulen Österreichs eingebracht: Im Stiftsgymnasium in Admont, bei den Redemptoristen in Katzelsdorf, bei den Schulschwestern in Vöcklabruck und den Englischen Fräulein in St. Pölten gibt es mittlerweile weltliche Direktoren. Die geistlichen Gründer sorgen nunmehr im Hintergrund dafür, dass das Wort Gottes in den Leitbildern und Wertekatalogen weiterwirkt. Pater Erhard Rauch, Generalsekretär der Superiorenkonferenz, hält das für einen guten Weg: „Die Frage ist, wie es in zwei, drei Generationen aussieht.“ Von Orden geführte Ausbildungsstätten, wie die Schulen der Barmherzigen Schwestern in Wien und in Steyr oder das Schottengymnasium der Benediktiner in Wien, könnten dann Ausnahmeerscheinungen sein.

Auch im Spitalsbereich sind die Orden auf dem Rückzug, weil die Schwestern und Brüder abhanden kamen, die für Gottes Lohn Kranke pflegen und Nachtdienste verrichten. Massenweise beorderten die Gemeinschaften Schwestern in ihre Zentralen zurück. Hunderte Haushaltshilfen, Kranken- und Altenpflegerinnen wurden aus den Dörfern abgezogen. Das Land Niederösterreich etwa übernahm zahlreiche ehemals von Schwestern geführte Kindergärten. Bischofsvikar Alois Kraxner: „Im Zusammenhang damit sind hunderte Klöster aufgelöst worden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas mitbekommen hätte.“

Viele Orden mussten ihre Einrichtungen auf neue wirtschaftliche Beine stellen. Die Barmherzigen Schwestern, die Salvatorianerinnen, das orthopädische Krankenhaus Speising und die Anstalt Göttlicher Heiland etwa schlossen sich zur Vinzenzgruppe zusammen, um trotz Kostendruck und Personalmangel den christlichen Geist ihrer Aufbauwerke zu retten.

Als Nächstes werden sich die Gemeinschaften aus der Kirche zurückziehen. Jede dritte Pfarre in Österreich wird von Ordenspriestern betreut. Doch das sei nicht „in erster Linie unsere Aufgabe, sondern Sache der Bischöfe“, sagt Probst Maximilian vom Stift Herzogenburg. Manche Orden versuchen, sich mit Zuwanderung zu behelfen. Bei den Kapuziner-Mönchen stammt fast jeder zweite aus Polen. Andere Gemeinschaften fusionieren. Der Schulorden Sacré-Cœur etwa legte die Provinzen Österreich, Ungarn, Deutschland und Schweden zu einer zusammen.

Vermutlich werden nicht alle den Erneuerungsprozess überleben. Insider fürchten, von rund 120 Frauenorden könnten mittelfristig vielleicht 20 übrig bleiben. Warum gelingt es manchen Gemeinschaften, Junge anzuziehen, anderen nicht? Pater Alois Kraxner, für die Orden zuständiger Bischofsvikar, kostet die Frage ein Lachen: „Das weiß allein der liebe Gott.“

Florierende Stifte. Den Orden geht es, kurz gesagt, ziemlich unterschiedlich. Alte Stifte wie Göttweig oder Heiligenkreuz können sich des Nachwuchses kaum erwehren. „Wir haben derzeit 70 Mönche, das ist Rekordstand seit dem 19. Jahrhundert“, berichtet Pater Karl aus Heiligenkreuz (siehe Kasten S. 34). Andere, wie die Salvatorianer in Gurk, wissen nicht, wie sie ihre Riesenklöster mit Leben füllen sollen. In manchen Häusern stehen ganze Trakte leer. Im Redemptoristen-Kloster in Eggenburg etwa sitzen nur mehr vier Mönche. Sie haben ein paar Räume für eine Lehrlingsstiftung freigemacht.

Es gibt Erklärungsansätze: Die kontemplativen Orden profitieren vom Trend zur Respiritualisierung, während den apostolisch ausgerichteten Gemeinschaften der soziale Wandel zu schaffen macht: Um sich um gefallene Mädchen, Waisenkinder und Kranke zu kümmern oder Lehrerin zu werden, muss heute niemand mehr einem Orden beitreten. Doch der Trend kennt auch Ausnahmen: Eine davon sind die Salvatorianerinnen, die in Wien das St.-Josef-Spital betreiben und sich – im Unterschied zu ihren Ordensbrüdern – schon vor zehn Jahren die Frage stellten: „Was tun? Sterben wir aus, lassen wir uns aussterben, oder gründen wir uns neu?“ Unter Teresa Schlackl schaffte es die Gemeinschaft, junge, gut ausgebildete Frauen zu binden, ohne die alten Schwestern zu vergrämen (siehe Kasten S. 37). Zwar liefern auch die Jungen das Geld, das sie verdienen, an den Orden ab. Aber sie tragen keine Tracht mehr, und alle zwei Jahre nehmen sie aus der Gemeinschaftskassa so viel Geld, dass sie eine Woche Urlaub am Meer machen können.

Vergleichsweise komfortabel geht es den alten Männerorden, die in den prachtvollen Stiften sitzen, die ihnen vor Jahrhunderten von Adelsherren gestiftet worden sind. (Daher der Name.) Ihre Vorfahren haben das Land urbar gemacht und legten den Grundstein für Wirtschaftsbetriebe, mit Land- und Forstwirtschaft und attraktiven Angeboten für Gäste, die sich nach Einkehr und Besinnung sehnen. Zu ihnen gehören die Benediktiner in Melk, Göttweig, Altenburg, Kremsmünster oder Sekau; die Zisterzienser in Heiligenkreuz, Lilienfeld oder Stams; die Augustiner Chorherren in Klosterneuburg, Vorau oder St. Florian. Mit der Initiative „Klösterreich“ etablierten sie sich als touristisches Angebot. Kürzlich startete die Superiorenkonferenz die PR-Kampagne www.herrgottnocheinmal.at, die mit Klischeevorstellungen vom Klosterleben spielt und diese gleichzeitig bricht. Eine Weile schien es, als wäre eine bessere Vermarktung der Orte der Stille die Lösung. „Klöster sind Anziehungspunkte, die Menschen suchen Atmosphäre. Das ist gut so“, sagt Maximilian Fürnsinn aus Herzogenburg. „Aber es braucht einen geistlichen Nukleus. Erst dann kann davon eine Ausstrahlung ausgehen“ (siehe Interview S. 33).

Indien-Boom. Die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte veranschaulicht, wie schnell Orden entstehen, aber auch verschwinden (siehe Kasten). Pastoraltheologe Paul Zulehner traut sich immerhin zu sagen, dass „alte Orden wie die Jesuiten oder die Benediktiner nicht vergehen“. Wenn es in Westeuropa schlechter läuft, verlagere man sich eben nach Asien. Das Stift Heiligenkreuz gründete eine Niederlassung in Vietnam und kann sich dort vor Interessenten kaum retten. Die Redemptoristen, in Österreich auf 60 Mönche zusammengeschrumpft, haben in Polen und in der Ukraine regen Zulauf. Der weltweit größte Orden – die Jesuiten – boomt in Indien.

Global Players waren die Orden immer. Die Ursulinen, einer der älteren Frauenorden, wurden 1535 in Italien gegründet und breiteten sich von dort aus. Schwester Maria Elisabeth Göttlicher trat der Gemeinschaft vor 40 Jahren in Frankreich bei, weil sie „eine echte Berufung spürte“. Doch viele Frauen ihrer Generation folgten nicht nur dem Ruf Gottes, sondern suchten eine Alternative zu einem Leben als Ehefrau und Mutter. Das änderte sich mit der Säkularisierung der Gesellschaft, Überwindung traditioneller Geschlechterrollen, Öffnung der Universitäten, Geburtenrückgang und dem Entstehen vielfältiger Organisationen.

Während apostolische Gemeinschaften in dieser Gesellschaft ihren Platz suchen, scheinen die beschaulichen Orden ihren gefunden zu haben. Denn sie bieten etwas, das rar geworden ist, so Zulehner: „Heilung der Seele und eine dichte Form der Gemeinschaft.“ Der Trend zum Kontemplativen nützt auch den Frauenorden: Die Benediktinerinnen in Fuldau oder die 15 Klöster der Karmelitinnen berichten, sie seien zufrieden. Unter dem Aufklärer Josef II. galt das Kontemplative als gesellschaftlich nutzlos, Pater Rauch ist heilfroh, dass sich die Zeiten geändert haben: „Der Mensch braucht zum Leben auch das Zweckfreie.“

Aufstiegshilfe. Allerdings braucht der heutige Christ dazu nicht unbedingt ein Kloster. Noch bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war es in kinderreichen bäuerlichen Familien üblich, dass der erste Sohn den Hof übernimmt und der zweite Priester wird. Auch die jüngeren Mädchen, für die die Aussteuer nicht mehr reichte, schickte man ins Kloster. Es war für arme Schichten die einzige Chance auf höhere Bildung und soziale Mobilität.

Während der Nazi-Zeit wurden den Orden die Schulen weggenommen und die Gemeinschaften verboten. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erholten sie sich rasch. Als 1954 in Tschechien über Nacht alle Orden aufgehoben wurden, traten den Borromäerinnen in Österreich auf einen Schlag 300 vertriebene Schwestern bei. Bergab ging es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 bis 1965. Damals bekamen die Orden den Auftrag, sich auf das Charisma ihrer Gründer zu besinnen. „Ein Prozess der Verheutigung setzte ein“, sagt Erich Leitenberger, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn. Der kirchliche und gesellschaftliche Umbruch war von zahlreichen Austritten begleitet.

Pater Josef, Jahrgang 1954, ist ein Kind der Zeit davor. Der Vater hatte einen Bauernhof, sein Bruder sollte ihn übernehmen. Als er 13 Jahre alt war, fragte ein Salvatorianer in Mistelbach nach „geeigneten Buben“. Der Pfarrer nannte drei, er war einer davon. In fünf Minuten war entschieden, der Bub gehe ins Gymnasium. Wenn ihn heute einer fragt, pflegt Pater Josef zu scherzen: „Als ich gerufen wurde, war ich nicht zu Hause.“ Aber gepasst habe das schon. Er habe bereits als Kind alles gelesen, was der Buchklub hergab, und sei für die Arbeit im Stall nicht begabt gewesen. Darüber, wie er sich damals gefühlt habe, muss er nachdenken: „Das hat mich noch nie jemand gefragt.“

So war das damals. Heute haben die Jungen ein Studium absolviert, sind beruflich durchgestartet und durch die Welt gereist, bevor sie sich berufen fühlen. Dann klappern sie mit Fragelisten Gemeinschaften ab. Zukunft haben Orden, die Erwachsene wie Erwachsene behandeln und ihre Gäste nicht in einem Kämmerchen an einem Resopaltisch aus den fünfziger Jahren empfangen müssen. Es gibt Orden, die ihren Schwestern karge 70 Euro im Jahr zugestehen. Die Frage, ob man mit einer Freundin ins Kino gehen kann, erübrigt sich da. „Manchmal hört man, dass jemand weggeht, weil er keine Luft kriegt“, sagt eine Ordensfrau. „Das finde ich traurig.“

Zwischen den individuellen Erwartungen und den Bedürfnissen der Gemeinschaften gäbe es „beträchtliche Spannungen“, konstatiert Probst Maximilian. Orden könnten Lehrstätten sein, wo das Drama jeder Beziehung – wie können wir trotz Verschiedenheit zusammenleben? – ausverhandelt wird. Die Salvatorianerin Teresa Schlackl hält sich an das Credo „Stärken stärken“: „Aber man muss auch bereit sein, mit der zweiten Wahl zu leben, wenn man an einer bestimmten Stelle gebraucht wird.“

Die Rolle der Orden sei es, auf das Wort Gottes zu verweisen, sagt Pater Johannes. Dieses gemeinsame Ziel helfe im Konflikt zwischen dem Ich und dem Wir: „Für mich sind Orden ein Modell der Einheit in der Vielfalt, eine Struktur der Freiheit.“ Seine vor 30 Jahren in Frankreich gegründete Gemeinschaft, die Johannesbrüder, ist im Vergleich zu den ehrwürdigen Orden ein Küken. „Orden sind nicht dazu da, um ewig zu halten“, sagt Mitbruder Denis. „Jede Mönchsbewegung war eine Antwort auf eine soziale Not. Wenn sie stirbt, ist das ein Verweis auf eine Vollendung.“

Von Edith Meinhart