ORF: Wrabetz steht vor der Wiederwahl

ORF: Alexander Wrabetz steht vor der Wiederwahl

Medien. Mit seinen Leistungen als Manager hat das nichts zu tun

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Glitzernde Luster, poliertes Parkett, opulente Dekoration: Das Studio Z1 ist die mit Abstand prächtigste Räumlichkeit im ORF-Zentrum auf dem Wiener Küniglberg. Normalerweise wird hier die Sendung „Dancing Stars“ produziert. Doch am Mittwochnachmittag der Vorwoche hatte Generaldirektor Alexander Wrabetz seine wichtigsten Mitarbeiter zu einem Termin in eigener Sache eingeladen. Walzerschritte und Pirouetten wurden nicht gezeigt – aber einen Sieger nach Punkten gab es trotzdem.
Die rund 200 Ressortchefs, Abteilungsleiter, Sendungsverantwortlichen und Produktionsleiter erfuhren im Ballsaal durchwegs Erfreuliches. Dem ORF gehe es ­derzeit hervorragend: Marktanteile und Werbeeinnahmen sind im ersten Quartal gestiegen, die Übertragung der Oper „Anna Bolena“ im Hauptabend kann als Erfolg durchgehen, und zufällig war es ausgerechnet an diesem Tag auch noch gelungen, die TV-Rechte für die Formel 1 auszuhandeln. So viel Glück fällt nicht vom Himmel, einer muss dafür die Verantwortung übernehmen. „Nachdem sich US-Präsident Barack Obama deklariert hat, tue ich das auch“, sagte Wrabetz. „Ich werde wieder kandidieren.“

Schon am Vortag hatte der ORF-Chef die Medien und den Stiftungsrat über seine Ambitionen unterrichtet – mit demselben Obama-Scherzchen übrigens. Er rechne mit einer Wiederwahl, so Wrabetz siegessicher.
Insgesamt 35 Stiftungsräte werden am 9. August den ORF-Geschäftsführer wählen. Wrabetz reichen also 18 Stimmen; 15 sollten von den Mitgliedern des so genannten SP-Freundeskreises kommen, zwei vom Betriebsrat, eine vom grünen Stiftungsrat. Mit genau dieser Konstellation brachte der Generaldirektor schon im November 2010 die Abwahl des einstigen Informationschefs Elmar Oberhauser durch. Das war sozusagen die Generalprobe, glaubt ein Wrabetz-Anhänger. „Du musst die schwerste Wahl gewinnen, damit alle wissen, dass du die Mehrheit hast.“ Nur ein sehr attraktiver Gegenkandidat wie Gerhard Zeiler könnte diese Rechnung noch durchkreuzen.

An sich wäre es nichts Besonderes, würde der Generaldirektor eines Unternehmens nach fünf Jahren Amtszeit wiederbestellt. Doch in der 44-jährigen Geschichte des ORF kam dergleichen kaum vor. Fast alle Chefs mussten nach dem ersten Einsatz wieder gehen. Der einzige ORF-Boss mit zwei Funktionsperioden am Stück war Gerd Bacher. Wrabetz hat nun beste Chancen, dieses Kunststück zu wiederholen. Der Mann ist offenbar ein Genie. Fragt sich nur, in welcher Disziplin.

Herzstück und Flop.
Seit Wrabetz’ Amtsantritt ist der Marktanteil des einstigen Monopolisten von 47,6 Prozent auf 37,8 gefallen. Das Eigenkapital des Unternehmens sank von 300 Millionen Euro auf nur noch 100 Millionen. In die Ära Wrabetz datieren ein paar der schlimmsten TV-Katastrophen, die je über dem österreichischen Fernsehpublikum niedergingen. Bis heute legendär: die Soap „Mitten im 8ten“, einst angekündigt als Herzstück der „größten Programmreform aller Zeiten“ und nach wenigen Wochen wieder entsorgt. Von den sechs Direktoren, die Wrabetz einst engagierte, sind heute nur noch zwei im Amt. Wie erfrischend unkompliziert der Umgangston auf dem Küniglberg ist, erfuhr die Öffentlichkeit vor ein paar Wochen, als ein E-Mail von Wrabetz an Programmdirektor Wolfgang Lorenz publik wurde. „Du hast es wieder einmal nicht lassen können, das Unternehmen anzubrunzen“, schrieb Wrabetz als ­Reaktion auf ein profil-Interview des Kollegen.

Manche dieser Fehlleistungen lassen sich erklären: mit der Wirtschaftskrise, mit verschärfter Konkurrenz durch das Privatfernsehen, mit Übermotivation, mit den absurden Arbeitsbedingungen in einem von der Politik gegängelten Unternehmen. Trotzdem würde man annehmen, dass Wrabetz etwas demütiger an den Wahltag im August denkt. Ein Erste-Klasse-Ticket in die zweite Amtszeit ist seine Bilanz nämlich nicht.

Doch der ORF funktioniert nun einmal anders. Um Erfolg oder Misserfolg im eigentlichen Kerngeschäft ging es bei der Kür des Direktors noch nie. Stattdessen geht es um die Absicherung politischer Mehrheiten, das Ausnützen gegenseitiger Abhängigkeiten, strategisch geschicktes Postengemauschel – und die Fähigkeit, diesen Wahnsinn halbwegs ungerührt zu ertragen. Der im Umgang nette, oft etwas schüchtern wirkende Alexander Wrabetz beherrscht diese Techniken vorzüglich. Sonst wäre er längst weg.

Vor etwas mehr als zwei Jahren war der ORF-Chef bereits so gut wie gefeuert. Nicht nur die ÖVP hatte sich auf ihn eingeschossen, sondern auch die eigene Partei. Bundeskanzler Werner Faymann und Medienstaatssekretär Josef Ostermayer ließen keine Gelegenheit aus, ihren Parteifreund auf dem Küniglberg öffentlich zu schurigeln. „Wenn man zu dem Schluss kommt, dass es mit bestimmten Personen Gefahren für den Bestand des Unternehmens gibt, dann muss man die Verantwortung wahrnehmen und darf nicht warten, bis es zu spät ist“, sagte Ostermayer Anfang 2009 in einem profil-­Interview. Werner Faymann wollte „ganz ­sicher nicht ausschließen“, dass es im ORF zu einem Führungswechsel kommen werde.

Niemand hätte damals noch eigenes Geld auf Alexander Wrabetz’ Zukunft im ORF gesetzt. Doch seine Steherqualitäten wurden massiv unterschätzt. Auf die heftigen, oft sehr persönlichen Attacken reagierte er so ungerührt wie ein Tennisplatz auf den Output der Ballwurfmaschine. Irgendwann, so dachte er wohl, würde den Angreifern die Energie ausgehen.

Tatsächlich hatten Faymann und Ostermayer keinen Ersatz bei der Hand. Der damalige TV-Chefredakteur Karl Amon verweigerte, andere Kandidaten fanden sich nicht. Dem Vernehmen nach war auch Karl Krammer, damals Sprecher des roten Freundeskreises im Stiftungsrat, nicht bereit, die Demontage des Generaldirektors aktiv zu unterstützen.

Wrabetz präsentierte ein Sparpaket und fügte sich den diversen Personalforderungen der Politik. Finanzdirektorin Sissy Mayerhoffer musste dem Niederösterreicher ­Richard Grasl Platz machen – ein Herzenswunsch der ÖVP. Zur Belohnung bekam der ORF eine Gebührenrefundierung von 160 Millionen Euro. Dann galt es, die SPÖ friedlich zu stimmen: Karl Amon wurde Radiodirektor, Fritz Dittlbacher Fernseh-Chefredakteur, Stefan Ströbitzer Chefredakteur im Radio. Infochef Elmar Oberhauser, der dieses Personenkarussell nicht akzeptieren wollte und die Einmischungen von SPÖ-Generalsekretärin Laura Rudas öffentlich gemacht hatte, wurde kurzerhand abgesetzt. Oberhausers Job erledigt der Chef jetzt nebenbei mit.

Jubel wie über einen Wahlsieg.
Ohne Murren ertrug Wrabetz auch den roten Kehraus im Stiftungsrat. Anstelle von Karl Krammer wurde dort der 24-jährige Niko Pelinka installiert, ein Kumpel von Laura Rudas und Wünschen der SP-Zentrale gegenüber wohl aufgeschlossener als sein Vorgänger. „Der Pelinka muss nur mit dem Finger schnippen, schon kommt der Wrabetz anmarschiert“, schildert ein Beobachter den Umgangston zwischen den zwei Herren.

Für all das braucht man einen starken Magen und die Fähigkeit zur Verdrängung. Wrabetz kommentiert seinen eigenen Überlebenskampf mittlerweile äußerst selbstbewusst: „Es waren herausfordernde Zeiten. Ich habe gelernt, dass man unter schwierigsten Bedingungen den Kurs halten kann.“ Die Versöhnung mit der SPÖ hat offenbar nach Wunsch funktioniert. Wrabetz’ Wiederkandidatur wurde von roten Regierungsmitgliedern, Landeshauptleuten und Stiftungsräten bejubelt wie ein Wahlsieg. Nur die ÖVP ist immer noch sauer. „Die SPÖ macht ihn heute zum Favoriten, aber gewählt wird erst im August“, sagt Franz Medwenitsch, Sprecher des schwarzen Freundeskreises im Stiftungsrat.

Wrabetz muss in den kommenden Monaten vor allem seine Unterstützer bei Laune halten und vielleicht noch ein paar Zweifler überzeugen. Es gebe bereits Indizien, dass der Wahlkampf des Generaldirektors Einfluss auf die Berichterstattung habe, heißt es auf dem Küniglberg. Im Jänner sei etwa Verteidigungs- und Sportminister Norbert Darabos überraschend zur Diskussionssendung „Im Zentrum“ eingeladen worden, obwohl er zum Thema („Stößt die Rekordjagd im Sport an ihre Grenzen“) nicht rasend viel beitragen konnte. Werner Faymanns Auftritt bei einem Visegrad-Treffen in Bratislava sei von der Redaktion zuerst – wegen offenkundiger Sinnlosigkeit – ignoriert, nach heftigen Interventionen der SPÖ dann mit einem Tag Verspätung gesendet worden. Beobachtet wurde auch, dass sämtliche „Zeit im Bild“-Analysen zur Debatte um die Wehrpflicht ohne einen Hinweis auf die Rolle der „Kronen Zeitung“ auskamen. Die sensiblen Geigerzähler melden noch einen weiteren Fall von Packelei-Verdacht: Walter Seledec, deklarierter FPÖ-Mann auf dem Küniglberg und eigentlich schon in Pension, wurde beauftragt, eine Dokumentation über den Heimwehrführer Ernst Rüdiger von Starhemberg zu produzieren. Der Auftrag soll, so wird gemutmaßt, das FPÖ-Mitglied im Stiftungsrat milde stimmen.

Ganz große Skandale sind das nicht, aber die Optik ist ungünstig. „Wir haben einen Generaldirektor, der in den Parteizentralen um Stimmen für seine Wiederwahl betteln muss und nebenbei Informationsdirektor ist“, kritisiert eine ORF-Journalistin. „Das kann nicht gut gehen.“
Alexander Wrabetz ist talentiert im Schmieden von Allianzen. Sonst wäre er nie ORF-Chef geworden. Im Frühling 2006 schien die Wiederwahl der damaligen Generaldirektorin Monika Lindner bereits ausgemachte Sache. „Sie wird nicht mehr zu verhindern sein“, giftelte Gerd Bacher. Doch Wrabetz, damals Finanzchef, war im Hintergrund längst mit der Gegenstrategie beschäftigt. Still und leise bastelte er an einer Koalition, die es so noch nie gegeben hatte: SPÖ, Grüne, FPÖ und BZÖ stimmten einträchtig für Alexander Wrabetz; die ÖVP tobte.

Wer wird was?
Leider sind Gunstbezeugungen in der Politik niemals gratis. Wrabetz musste weitreichende Zugeständnisse machen, die seine gesamte Amtszeit überschatteten. Auch diesmal wird es nicht ohne – vorwiegend personelle – Konzessionen abgehen. Brigitte Kulovits-Rupp, rote Vorsitzende des Stiftungsrats, hat bereits ihr Interesse am Posten der ORF-Landesdirektorin für das Burgenland deponiert. Wrabetz soll ihr den Job versprochen haben, obwohl sie nur ein paar Jahre TV-Erfahrung hat und seit über 20 Jahren als Pressesprecherin der Arbeiterkammer in Eisenstadt tätig ist. Auch Zentralbetriebsrat Michael Götzhaber steht offenbar vor einem Karrieresprung. Er möchte technischer Direktor werden. Und weil Wrabetz seine Stimme im Stiftungsrat braucht, gelten Götzhabers Chancen als exzellent.

Radiodirektor Karl Amon und Finanzchef Richard Grasl sollen ihre Jobs im neuen, nur noch vierköpfigen Direktorium des ORF behalten. Neben Götzhaber fehlt also bloß noch eine Besetzung für den Bereich Fernsehen. Im Gespräch sind die Chefin des Landesstudios Wien, Brigitte Wolf, und die Journalistin Ingrid Thurnher.

Für die Ankündigung seiner Wiederkandidatur hätte sich Wrabetz keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Nach langer Talfahrt sind die Marktanteile von ORF 1 und 2 in den vergangenen Wochen wieder leicht gestiegen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die globale Nachrichtenlage – das Plus lässt sich dennoch gut verkaufen. Auch die Werbeeinnahmen haben im Vergleich zum Vorjahr zugelegt; in der Wirtschaft herrscht nun einmal Konjunktur. Nicht zuletzt erwirtschaftete der ORF nach ein paar tiefroten Jahren 2010 auch wieder einen kleinen Gewinn. Der Turnaround sei geschafft, sagt Wrabetz. Unter anderem sei es gelungen, nicht weniger als 500 Mitarbeiter abzubauen – ganz ohne soziale Härten und im schönsten Einvernehmen mit dem Betriebsrat.

Das stimmt, hat aber auch eine Kehrseite. Zahlreiche Mitarbeiter, darunter bekannte TV-Gesichter, wurden lange vor Erreichen des Pensionsalters mit 60 Prozent ihres Letztbezugs in Frühpension geschickt. Nicht alle nahmen freiwillig an diesem „Handshake-Programm“ teil, und beileibe nicht alle waren ohne Qualitätsverlust zu ersetzen. Echte Strukturreformen seien dafür unterblieben, klagt ein hochrangiger ORF-Mitarbeiter. „In der Technik wird noch immer wahnsinnig viel Geld verbrannt. Aber da traut sich keiner drüber.“

Der schnöde Mammon verdarb Alexander Wrabetz auch ein wenig den großen Auftritt im Studio der „Dancing Stars“. Nachdem er und Finanzdirektor Grasl ausführlich über den schönen neuen ORF geschwärmt hatten, übergaben die beiden das Wort an die Belegschaft. Die erste Frage aus dem Publikum fiel enttäuschend profan aus: „Welche Jahrgänge sind jetzt beim Hand­shake-Programm dran?“

Ob RTL-Chef Gerhard Zeiler doch noch in die Arena steigt, lesen Sie im profil 15/2011

Rosemarie Schwaiger