ORF: Die Schlacht am Küniglberg beginnt

ORF: Die große Moni-Show

Moni-Show: SPÖ sucht einen Gegenkandidaten

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Wolfgang Schüssel handelte den Casus als Geschäftsfall minderer Bedeutung ab. Kurze Verlesung von neun Namen – und schon war vergangenen Donnerstag in der Ministerrats-Pressekonferenz der Punkt „Beschickung des ORF-Stiftungsrats mit Vertretern der Bundesregierung“ erledigt. Wer wollte, konnte sich die Liste im Büro der Pressesprecherin abholen.

Was da im Kreise der Minister scheinbar bloß als lästige Nebensache abgehandelt wurde, ist in Wahrheit eine Entscheidung von großer Tragweite: Denn wie immer die Nationalratswahlen im Herbst ausgehen – in der Chefetage des ORF werden in den nächsten fünf Jahren nur Leute das Sagen haben, denen die ÖVP ihr Placet gibt. Rein formal fallen ihr nach der Neubesetzung des ORF-Stiftungsrats 15 der insgesamt 35 Mandate zu. Die SPÖ hält elf Sitze, das BZÖ fünf. Je einer der Stiftungsräte kommt von FPÖ und Grünen, zwei gelten als unabhängig (siehe Kasten „ORF-Stiftungsrat“). Tatsächlich hat die ÖVP bei wichtigen Abstimmungen im höchsten Gremium des ORF aber gute Chancen auf die absolute Mehrheit:

* Einer der beiden Unabhängigen, Caritas-Präsident Franz Küberl, Vertreter der katholischen Kirche, hat 2001 zwar nicht für die von der ÖVP vorgeschlagene Monika Lindner gestimmt, zuletzt lobte er aber ausdrücklich ihre Arbeit.

* Der Vorsitzende des Stiftungsrats, Klaus Pekarek, wurde zwar von Jörg Haider als Vertreter des Landes Kärnten entsandt. Der Chef der Raiffeisen Landesbank Kärnten hat jedoch stets mit der ÖVP gestimmt – zuletzt sogar gegen einen Antrag des BZÖ.

* Der ehemalige FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger sitzt ab sofort auf einem BZÖ-Ticket im ORF-Stiftungsrat. Meischbergers bester Freund ist der inzwischen de facto in die ÖVP eingemeindete Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Kenner des heutigen Werbeagentur-Besitzers bescheinigen auch ihm hohe ÖVP-Affinität.

Das ergäbe 18 Stimmen von 35. Wahrscheinlich fällt die von der ÖVP betriebene Wiederwahl Monika Lindners noch deutlicher aus: Die düstere Zukunft des BZÖ dürfte dessen Führungsriege auf Gegengeschäftsangebote der ÖVP durchaus eingehen lassen.

Bloß einer sagt, dass er da ganz sicher nicht mittun werde: SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer hatte schon vorvergangene Woche in einem APA-Interview deponiert, es werde für Lindner „keine Zustimmung“ der Sozialdemokraten geben. In einem profil-Gespräch schob er nach: „Der ORF wird als ÖVP-Parteifunk in den Graben gefahren. Das ist das erschreckende Ergebnis des Diktats der ÖVP am Küniglberg.“

Feindbild. Mehr noch als Lindner selbst stört die Roten deren Idee, den derzeitigen TV-Chefredakteur Werner Mück zum Informationsdirektor hochzustufen – ein Job, den derzeit der sympathische, aber unauffällig agierende Gerhard Draxler innehat. Mück ist für die SPÖ ein Feindbild von geradezu diabolischer Dimension: Die auf beide Kanäle durchgeschaltete Kanzlerrede am 15. Mai, die Zurückhaltung bei für die Regierung unangenehmen Themen, die Omnipräsenz Wolfgang Schüssels in den Nachrichtensendungen des ORF – das alles bucht die Löwelstraße auf das Konto Mücks. „WM-System“ nannte es SP-Stiftungsrat-Fraktionschef Karl Krammer einmal: WM wie Werner Mück & Wilhelm Molterer. Der schwarze Klubobmann ist für die Sozialdemokraten die lenkende Kraft am Küniglberg, Mück sein williges Werkzeug.

Unsinn, meint Mück: „Die ÖVP hat noch nie so intensiv und detailliert interveniert, wie das die SPÖ immer gemacht hat und immer noch machen will. Heute glaubt sie halt im Umkehrschluss, dass es jemand anderer auch so macht wie sie, als sie noch den Kanzler stellte.“ Ätzender Nachsatz: „Die SPÖ hat einen Phantomschmerz: Sie glaubt, sie sei immer noch an der Regierung.“

Ist die Gusenbauer-Partei also überempfindlich, oder hat Mück die ORF-Nachrichtensendungen nachhaltig eingeschwärzt?

* Tatsache ist, dass Wolfgang Schüssel laut den Erhebungen des Instituts Mediawatch im Auftrag des „Standard“ 2005 öfter im O-Ton in der „ZiB 1“ vorkam als die fünf bestplatzierten Sozialdemokraten zusammen. 44 Prozent der Politikerredezeiten in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes entfielen auf ÖVP-Politiker, weitere 27 Prozent auf solche von BZÖ und FPÖ. Den Sozialdemokraten verblieben 19 Prozent.

* Tatsache ist freilich auch, dass die Situation nicht viel anders war, als noch die SPÖ den Kanzler stellte – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. 1998 etwa entfielen auf die SPÖ 45 Prozent der O-Töne, auf ihren Koalitionspartner ÖVP 34 und auf die oppositionelle FPÖ 15.

Mücks Zeugnis. Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten Umfrage des OGM-Instituts stellen die Österreicher der ORF-Information ein durchwachsenes, in einigen Bereichen durchaus überraschendes Zeugnis aus:

* So meinen 31 Prozent der Befragten, die Nachrichtensendungen des ORF seien in den vergangenen fünf Jahren besser geworden, eine Verschlechterung konstatieren nur 23 Prozent.

* Fast die Hälfte der Zuseher glaubt in Mücks Nachrichtensendungen die Bevorzugung der einen oder anderen Partei feststellen zu können. 66 Prozent von ihnen konstatieren eine allzu positive Darstellung der ÖVP, 29 Prozent sehen die SPÖ bevorzugt. Immerhin 16 Prozent glauben, das BZÖ werde verhätschelt, was den Grund darin haben könnte, dass Hubert Gorbach tatsächlich oft durchs Bild geht, ohne wirklich Spuren zu hinterlassen.

Fast mehr noch ärgert es die Sozialdemokraten, wenn ihnen die ÖVP in den ORF-Gremien allzu deutlich die wahren Machtverhältnisse demonstriert, wie dies kürzlich im ORF-Publikumsrat geschah. Die SPÖ hatte bei dessen Direktwahl alle sechs Kandidaten durchgebracht, drei von ihnen hatten das Recht, in den mächtigeren Stiftungsrat einzuziehen. Die SPÖ nominierte die Kandidaten mit den meisten Stimmen: den Mimen Fritz Muliar, Ex-Läuferin Stefanie Graf und AK-Konsumentenschützer Harald Glatz.

Die ÖVP-Mehrheit im Publikumsrat, offenbar bestrebt, der unbequemen Arbeiterkammer die Grenzen zu zeigen, strich Glatz. Da sie um einen Roten nicht herumkam, nominierte sie – gegen dessen Willen – den ebenfalls bei der Publikumswahl siegreichen Arzt Siegfried Meryn, dem ÖVP-Publikumsrat Andreas Kratschmar als „herausragendem Vertreter seines Standes“ eine lange Eloge widmete. Was Kratschmar nicht sagte: Tags zuvor hatte die ORF-Generaldirektion dem beliebten Fernsehdoktor mitgeteilt, dass er als Publikumsrat nicht mehr in „Willkommen Österreich“ auftreten dürfe.

Eine etwas inkonsequente Entscheidung: Immerhin hatte der schwarze Stiftungsrat Albert Fortell immer wieder schöne ORF-Auftritte; Helmut Pechlaner, ÖVP-naher Publikumsrat und Direktor des Tiergartens Schönbrunn, produziert ganze Serien.

Als verstörend wird von vielen auch der gewaltige Einfluss des schwarzen Zentralbetriebsratsobmanns Heinz Fiedler empfunden. So stoppte Fiedler fast im Alleingang die schon beschlossene und per Presseaussendung bekannt gegebene Bestellung des China-Experten Helmut Opletal als ORF-Korrespondent in Peking. In Fiedlers Umgebung seien in Zusammenhang mit Opletal Worte wie „Maoist“ und „Kommunist“ gefallen, berichten Insider – Vorwürfe, die durch Opletals Arbeit in keiner Weise gedeckt sind. ORF-Personalchef Wolfgang Buchner teilte Opletal seine Ausbootung unter anderem mit dem ebenso unsinnigen wie untergriffigen Argument mit, 2008 fänden in Peking die Olympischen Spiele statt, und er, Opletal, sei doch etwas füllig …

Tatsache ist, dass der parteilose Opletal als einziger ORF-Mitarbeiter viele Jahre in China zugebracht hatte und fließend Mandarin spricht. Statt ihm wird nun der Budapest-Korrespondent Ernst Gelegs ins Reich der Mitte entsandt. Dafür soll Christian Wehrschütz von Belgrad nach Budapest als zentraler Osteuropakorrespondent aufrücken. Das Wehrschütz-Avancement ist eine erste Liebesgabe für das BZÖ, dem der Balkan-Experte zugerechnet wird.

Wunderwuzzi. Durch Gusenbauers katagorisches Nein zur Wiederwahl Lindners gerät die SPÖ jetzt unter Zugzwang: Ohne eigenes personelles Angebot fürchten die SP-Strategen ein Zerbröseln ihrer ohnehin kleinen Fraktion. So fiel Ende vergangener Woche in Gesprächen zwischen Stiftungsrat-Fähnleinführer Krammer, Mediensprecher Cap und Parteichef Gusenbauer die Grundsatzentscheidung, nach einem attraktiven Gegenkandidaten zu suchen. Anforderungsprofil: volle Akzeptanz bei SPÖ und Grünen bei gleichzeitiger Attraktivität für Lindner-kritische Stiftungsräte bei ÖVP und BZÖ. Ein Wunderwuzzi, der nur in der Fantasie der gestressten Roten existiert? Vielleicht nicht. Immerhin stehen derzeit einige Mediengrößen unterbeschäftigt an der Seitenlinie:

* Rudi Klausnitzer etwa, 58, bis vor Kurzem Geschäftsführungs-Chef der „News“-Gruppe, kann auf reichlich Fernseherfahrung verweisen. Der Umstand, dass Klausnitzers Entdecker und Förderer Gerd Bacher heißt, könnte ihn auch für Bürgerliche interessant machen.

* Peter Rabl, 57, Ex-Herausgeber des „Kurier“, kommt ebenfalls aus dem bürgerlichen Lager. Dennoch hätte ihn die SPÖ schon vor fünf Jahren als Lindner-Konterpart nominiert, wenn er dies selbst gewollt hätte. Im Fernsehen kennt sich der ehemalige ORF-Hauptabteilungsleiter blendend aus.

* Hans Mahr, 57, war acht Jahre lang Chefredakteur von RTL und zuletzt für acht Monate Sportchef von Premiere. Dass er in den siebziger Jahren SPÖ-Mitarbeiter war, könnte ihm jetzt aber schaden.

Problem der SPÖ: Bürgerliche, die für einen ihrer Kandidaten stimmen, müssen sich offen deklarieren, da das von der schwarz-blauen Regierung durchgeboxte ORF-Gesetz geheime Abstimmungen nicht mehr vorsieht. Die besten Karten hat daher eindeutig Monika Lindner. Wolfgang Schüssel habe sich auf sie festgelegt, heißt es. Einerseits sei der Kanzler der Ansicht, dass Frauen in Firmenstrukturen wichtig sind. Andererseits interessiere sich Schüssel nur wenig für Medienpolitik, „deshalb ist er Lindner dankbar, dass sie ihn nicht ständig mit Problemen nervt“.

Lindner selbst bemüht sich im Vorfeld der im August stattfindenden Neubestellung um Harmonie und um Stimmen aus dem SP-Lager. Das Gerücht, nach Gusenbauers Nein werde nun Finanzdirektor Alex Wrabetz, der letzte Rote in der ORF-Chefetage, strafweise entfernt, dementierte die Generaldirektorin vergangenen Donnerstag im Gespräch mit profil heftig: „Das ist ein Stiefel. Jeder weiß, dass ich Wrabetz schätze. Wir werden noch große Aufgaben gemeinsam bewältigen. Er ist in meinem Team.“

Weniger harmonisch könnte es demnächst im BZÖ zugehen. Dessen Generalsekretär Uwe Scheuch hatte am Mittwoch im „Kurier“ trotzig gemeint, er müsste genau nachdenken, wenn er sich zwischen Lindner und Wrabetz entscheiden müsste. Schon Stunden später wurde Scheuch von Vizekanzler Gorbach zurückgepfiffen: „Das ist nicht meine Linie und nicht die des BZÖ.“ Es ist allerdings die Linie Jörg Haiders. Der ließ Freitag ebenfalls via „Kurier“ ausrichten, die Wahl Lindners sei keineswegs fix, daher brauche auch niemand zurückgepfiffen werden. Und Werner Mück sei nicht nur für die SPÖ, sondern auch für ihn „ein schwarzes Tuch“.

Im ORF lief an diesem Abend die Show mit dem beziehungsreichen Titel „Wahre Freunde“.

Von Herbert Lackner und Ulla Schmid