ORF nach der Reform: Mitten im Chaos

ORF: Mitten im Chaos

Nun folgt Enttäuschung über die Quotenflops

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Der abgewandelte Werbeslogan „Liebling, ich bin auf der Baustelle“ ist in diesen Tagen recht häufig auf den Gängen des ORF zu hören. Wenn sich Wolfgang Lorenz auf diese Art und Weise bei seiner Sekretärin abmeldet, weiß jeder: Der Programmchef ist unterwegs zu einer Sitzung über die Vorabendserie „Mitten im 8en“, die vermutlich mehrere Stunden lang dauern und in der als Sofortmaßnahme verzweifelt daran gearbeitet wird, den ins Derbe und Pseudowienerische abgeglittenen Dialogen wieder etwas Fasson zu verleihen. Wohin die Geschichte dieser vorgeblich in der Wiener Josefstadt beheimateten Sitcom treiben soll, weiß freilich auch Lorenz nicht, wie er einem Vertrauten kürzlich gestand.

„Mitten im 8en“ ist nicht die einzige Baustelle des ORF. Im „ZiB“-Studio wird tatsächlich noch täglich gehämmert und gebohrt, und die ORF-Mitarbeiter stolpern über Kabelrollen. Aus dem Büro von Johannes Fischer dringen hektische Stimmen, seit der Magazinchef vor wenigen Tagen beauftragt wurde, in kürzester Zeit ein neues Vorabendmagazin zu Gesundheits- und Lebensfragen zu erfinden. Dieses soll demnächst an die Stelle jener uralten „Julia“-Folgen treten, die im Hauptabendprogramm einmal ein Riesenerfolg waren, im Vorabend jedoch überhaupt nicht beim Publikum ankommen. Auch das Jugendmagazin „szene;)“ soll ersatzlos gestrichen werden. Zuletzt hatte es weniger Zuschauer als „Hi Society“ auf dem Privatsender ATV.

Der ORF befindet sich mitten im Chaos, die Euphorie des Anfangs ist verflogen. Jetzt herrscht eher Panikstimmung. Jene ORF-Mitarbeiter, die in der Ära Lindner zu Ehren gekommen waren, beobachten den Zuschauerschwund unter der neuen Herrschaft mit Häme. Und ORF-Chef Alexander Wrabetz, der zu Beginn seiner Amtsführung lachend durchs Haus geschlendert war und von der Begegnung mit seinen Mitarbeitern Polaroidbilder anfertigen ließ, die auf so manchem Schreibtisch stehen, brütet heute sorgenvoll über den Finanzen. Programmdirektor Wolfgang Lorenz steht besonders unter Beschuss, da die Innovationen in seinem Bereich – die Vorabendserie „Mitten im 8en“ und die Talkshow „Extrazimmer“ – nicht den erwarteten Zuspruch finden.

Alarmstimmung. Nach dem Ende der Durchschaltung der „ZiB“ in beiden Kanälen hat der ORF im Vorabend weiter an Marktanteilen verloren. Und daran ist nicht einmal das Wetter schuld. Unter denen, die trotz Sonnenschein vor dem Fernsehapparat sitzen, zappen immer mehr Österreicher auf private Kanäle, selbst das treue, ältere Stammpublikum, das früher bei „Willkommen Österreich“ hängen blieb, das es nun schwer vermisst, hat dem ORF den Rücken gekehrt.

Im Vergleich zur viel kritisierten Ära Monika Lindners hat der neue ORF im April zehn Prozent Marktanteile verloren. „Ein Marktanteil um die 35 Prozent ist eine absolute Katastrophe“, warnt ein früherer Fernsehintendant.

Wie konnte das passieren? Hat sich die neue ORF-Führung mit der Reform übernommen? War das Ende der Durchschaltung der „Zeit im Bild“ doch ein Fehler gewesen, was vor allem bürgerliche Kreise, allen voran ÖVP-Chef Wilhelm Molterer, monieren?

Mit lautem Trommelwirbel der ORF-Werbeabteilung wurde vor knapp einem Monat die ORF-Reform eingeleitet. Die Vorabendserie „Mitten im 8en“ hatte Lorenz selbst als „Herzstück der Reform“ angepriesen. Heute will er nicht allein daran gemessen werden.

Der Sitcom-Hybride kommt an schlechten Tagen nur auf 115.000 Zuseher und ist selbst an guten Tagen meilenweit von der einstigen Zielvorgabe 400.000 Zuseher entfernt. Dabei verschlingt er mit 50.000 Euro pro Folge und insgesamt 6,5 Millionen Euro zwei Drittel des Geldes der Programmreform.

Der frühere freiheitliche Stiftungsrat Peter Fichtenbauer, der „keine Sekunde daran zweifelt, dass es richtig war, Monika Lindner abzuwählen und Wrabetz zu inthronisieren“, hofft, dass sich die verschiedenen Baustellen bald in Ordnung bringen lassen.

Der bürgerliche Stiftungsrat Andreas Braun, der Programmdirektor Lorenz immer schon brillant gefunden hat, ist gleichfalls ein wenig ernüchtert. „Wer nichts wagt, gewinnt nichts, aber bei ‚Mitten im 8en‘ hat Lorenz danebengegriffen“, sagt Braun.

„‚Mitten im 8en‘ ist ein Bauchfleck sondergleichen“, plädiert BZÖ-Klubobmann Peter Westenthaler für eine Absetzung der Serie. „Das ist unreformierbar. Der Patient ist gestorben.“

Die BZÖ-Stiftungsrätin und Anwältin Huberta Gheneff will nicht so weit gehen. Es sei insgesamt zu früh, Bilanz zu ziehen, meint sie. Doch auch sie findet die Sprache, die in „MiA“ gepflogen wird, „fürchterlich“. Nach Gheneffs Geschmack ist die Talkshow „Extrazimmer“ aber noch viel schrecklicher und sollte, wenn sie nicht besser wird, durch eine „intelligentere Diskussionssendung“ ersetzt werden.

„So wie das ‚Extrazimmer‘ jetzt daherkommt, ist es ein Schwachsinn“, sagt die grüne Stiftungsrätin Monika Langthaler. Nach Ansicht von ÖVP-Stiftungsrat

Peter Radel ist es „schrecklich missglückt“.

Gheneff will in der Stiftungsrats-Klausur kommenden Freitag die ORF-Führung bitten, über das Alternativkonzept, das Informationsdirektor Elmar Oberhauser vorgelegt hatte, das jedoch als langweilig verworfen worden war, noch einmal zu reden. Oberhauser hatte sich am historischen Vorbild „Club 2“ orientiert. Es war ein Pilot gedreht worden, in dem Prominente über ihre Jugendsünden debattierten. Aktueller Anlass waren die Wehrsportfotos des Freiheitlichen Heinz-Christian Strache gewesen. Der Verweis auf das Oberhauser-Konzept könnte freilich die mühsam unterdrückten Konkurrenzgefühle zwischen den beiden Männern neu entfachen.

Lorenz verteidigt seine Sendung damit, dass noch nicht die gesamte Crew des „Extrazimmers“ am Bildschirm zu sehen war und neue Leute mitdiskutieren werden. Selbst andere Sender würden sich für das Format bereits interessieren. So schlecht könne es also nicht sein, meint Lorenz.

Auch der Rest der ORF-Führung versucht zu kalmieren. „‚Mitten im 8en‘ braucht mindestens sechs Monate Zeit“, gibt Sissy Mayerhoffer, die kaufmännische Direktorin, Durchhalteparolen aus. An Sprache und Brachialgags werde bereits gearbeitet.

Wie bitte? Das Schönreden kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Flop für den ORF besonders bitter ist. Sollte doch „Mitten im 8en“ junge Zuseher zurückholen, die unter Monika Lindner vor der durchgeschalteten „Zeit im Bild“ zu den Privatsendern geflohen waren. Das ist gescheitert. Im gesamten Vorabendprogramm gelingt es nicht, die Zuseher beim ORF zu halten. Im Gegenteil: Jede Sendung startet mit dem Malus niedriger Quoten der Vorgängersendung. „Der Vorabend ist verpatzt, dabei sollte er die Startrampe für den Abend sein“, kann die bürgerliche Stiftungsrätin Margit Hauft dem Konzept Zuwarten nichts abgewinnen. Denn auch das neue Magazin „Wie bitte?“, das von allen Seiten Lob einheimst und für eine junge Zielgruppe gedacht ist, rutscht immer wieder unter die Schwelle von 100.000 Zusehern. „Die Programmreform ist bisher missglückt“, dekretiert ÖVP-Mediensprecher Franz Morak.

Lob gibt es allerdings für die Information, das Reich des Elmar Oberhauser. Hier und da moniert ein Stiftungsrat die störenden Streifen am Bildschirm während der „Zeit im Bild“ und den herumtänzelnden Moderator. Inhaltlich sind die Informationssendungen ein Pluspunkt der Reform: Die Nachrichten sind mutiger geworden und setzen eigene Schwerpunkte, statt monoton Pressekonferenzen zu zeigen.

Da alle Parteien gleich kritisch behandelt werden, hat die ÖVP keinen Anlass, über einen „Rotfunk“ herzuziehen. Die Niederlage, die ihrer Kandidatin Monika Lindner im Vorjahr zugefügt wurde, ist jedoch noch immer schwer zu verkraften. So haben sich vor allem die bürgerlichen Mitglieder des ORF-Aufsichtsgremiums auf Wolfgang Lorenz eingeschossen, in dessen Verantwortung alle schwächelnden Sendungen liegen. „Ich bin keine Freundin des Köpferollens“, sagt Stiftungsrätin Margit Hauft – knüpft das aber an die Bedingung, dass Lorenz Alternativen zum derzeitigen Sendungskonzept vorlegt: „Nicht im Höhenflug zeigt sich Größe, sondern im Bewältigen von Krisen. Von seiner Reaktion auf die Kritik wird abhängen, wie er beurteilt wird.“ Auch ihr bürgerlicher Kollege Ernst Wustinger will Lorenz nur noch eine Chance geben: „Er soll Plan B vorlegen, gelingt auch der nicht, stellt sich die Frage nach seiner Verantwortung.“

Problem Lorenz. Der ÖVP-Abgeordnete und Raiffeisen-Generalsekretär Ferdinand Maier meint gar: „Das eigentliche Problem der ORF-Reform heißt Wolfgang Lorenz.“ Wrabetz habe allerdings ein Weisungs- und Durchgriffsrecht. „Das sollte er auch nützen“, fordert Maier.

Die Drohungen des bürgerlichen Lagers gegen den bürgerlichen Programmdirektor mögen die späte Rache dafür sein, dass Lorenz es gewagt hat, gegen die ÖVP-Kandidatin Monika Lindner in den Ring zu steigen. Politische Auguren hingegen vermuten hinter der geballten Kritik die Strategie, Lorenz anzupatzen und statt ihm einen Bürgerlichen zu positionieren, der bei der nächsten ORF-Wahl gegen Alexander Wrabetz antreten könnte.

SPÖ-Stiftungsräte halten sich mit Kritik an Lorenz zurück. Er werde „sicher nicht zulassen, dass alles an Lorenz ausgelassen wird“, gibt der Vorsitzende des roten Freundeskreises, Karl Krammer, die Linie vor. Die roten Stiftungsräte attackieren statt Lorenz lieber die andere bürgerliche Führungsfigur – die kaufmännische Direktorin Mayerhoffer. „Sie soll sich um ihre Sachen kümmern und für gute Stimmung bei den Werbern sorgen“, kritisiert der von der SPÖ entsandte Stiftungsrat Heinz Lederer, dass Mayerhoffer öffentlich Sendungen wie „Mitten im 8en“ kommentiert hat.

ORF-Chef Wrabetz hat bei einer hitzigen Diskussion vor den ORF-Publikumsräten in der vergangenen Woche bereits die volle Verantwortung auf seine Kappe genommen. Noch kann er auf Zeitgewinn setzen und hoffen, dass sich die Zuseher an die Reform gewöhnen. „Sinken die Marktanteile aber weiter, wird es spätestens Mitte 2008 finanziell eng“, rechnet ÖVP-Stiftungsrat Peter Radel, einst kaufmännischer Direktor des ORF, vor. Die zwischen ÖVP-Chef Molterer und SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer am Rande der Koalitionsverhandlungen angeblich paktierte ORF-Gebührenerhöhung hat Molterer jedenfalls bereits abgesagt. Molterer lapidar: „Warum sollen die Gebührenzahler für die Experimente im ORF aufkommen?“

Von Eva Linsinger und
Christa Zöchling