ORF-Wahl: Poker mit schwarzem Peter

Die ÖVP hat sich auf Lindner eingeschworen

Drucken

Schriftgröße

Das Frühlingserwachen der Bürger-initiative SOS-ORF währte nicht lang. Zwei Wochen vor der Generaldi-rektorenwahl am 17. August liegt die Zukunft der Anstalt wieder fest in Händen der -Parteien.

Die ÖVP-Spitze hält eisern daran fest, der amtierenden ORF-Generalin Monika Lindner zu einer zweiten Amtsperiode zu verhelfen. Sie habe ihre Sache bisher sehr gut gemacht, meint Klubobmann Wilhelm Molterer. Dass Lindner in ihre Bewerbung selbstkritische Töne einfließen ließ – sie beklagt den Niveauverlust des ORF-Programms und sieht eine „Gefahrenzone erreicht“ –, hält Molterer für „einen mutigen Zugang“.

An der Beförderung von Werner Mück zum Informationsdirektor scheiden sich hingegen auch innerhalb der ÖVP noch die Geister. Für einige bürgerliche Stiftungsräte ist Mück nach dem nicht schmeichelhaften, aber von der ORF-Spitze als harmlos verkauften Untersuchungsbericht der Untersuchungs-„Gruppe“ ein Stolperstein im ÖVP-Personalpaket geworden.

Molterer will vom Duo Lindner/Mück nicht abrücken. Der Kommissionsbericht kritisiere den Chefredakteur nur „in Stil-fragen“ meint er. Und schließlich gäbe es kein Medium, in dem Redaktionskonferenzen in druckreifen Formulierungen ablaufen. Eine Chefredaktion sei eben „kein Mädchenpensionat“.

Caritas-Präsident und Stiftungsrat Franz Küberl dagegen hofft, dass die neue ORF-Geschäftsführung die Empfehlungen der Kommission, vor allem in den Punkten Unabhängigkeit und Objektivität, berücksichtigt.

Er würde seiner Partei raten, sich nicht allzu sicher zu fühlen, warnt ein anderer bürgerlicher Stiftungsrat. ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer frohlocke zwar bereits über 15 sichere Stimmen für das Duo Lindner & Mück (18 sind für die Wahl notwendig). Dass seine eigene dabei schon eingerechnet wurde, ärgert ihn ein klein wenig.

ÖVP-Nationalrat Ferdinand Maier geht noch einen Schritt weiter und warnt seine Parteispitze: „Es ist nicht klug, von einer Paketlösung auszugehen.“ Beobachter glauben, die starke niederösterreichische ÖVP werde eher Mück opfern als Lindner in eine unsichere Abstimmung schicken.

Die euphorische Hoffnung des bürgerlichen Lagers, mit dem ORF-Kreativgeist Wolfgang Lorenz einen mehrheitsfähigen Kandidaten gefunden zu haben, ist einer nüchternen Einschätzung der parteiinternen Machtverhältnisse gewichen. Nur der ÖVP-nahe Tiroler Stiftungsrat Andreas Braun bleibt eigensinnig: „Die intellektuelle Gestaltungsmacht ist bei Frau Lindner nicht beheimatet, ihre Bewerbung konterkariert meine Erfahrungen mit ihr“, sagt Braun. Er hofft auf eine Mehrheit für andere Optionen.

Stolperstein Mück. Die ÖVP-Spitze darf jedenfalls nicht damit rechnen, dass die ihr zugerechneten Stiftungsräte – durchwegs Professoren, Freiberufler und Unternehmer – auf Knopfdruck parieren: Die honorigen Herrschaften hegen einen gewissen bürgerlichen Stolz und werden nicht gern als Parteisoldaten vorgeführt.

Stiftungsrat und Universitätsprofessor Leopold März etwa legt viel Wert auf die Feststellung, er werde seine Entscheidung „garantiert ohne jeden parteipolitischen Einfluss“ treffen. Derzeit prüfe er die vorliegenden Bewerbungen, vor allem jene von Lindner und Lorenz, „zitzerlweise und sehr penibel“. Er könne noch nicht sagen, wen er am Ende unterstützen werde. Der Wissenschafter will auch nicht aus-schließen, dass er selbst bis zum 10. August, dem dafür vorgesehenen Stichtag, noch einen weiteren Kandidaten nominiert.

Für Margit Haufft, Präsidentin der Katholischen Aktion und Stiftungsrätin des Landes Oberösterreich, die bei der vergangenen ORF-Wahl noch Monika Lindner vorgeschlagen hat, ist diesmal die Sache ebenfalls offen. „Ich halte sehr viel von beiden Bewerbungen, sowohl von Lorenz als auch von Lindner“, sagt sie. Eine Kombination von beiden wäre ihr am liebsten – eine Variante, die Lorenz allerdings schon vor mehreren Wochen ausgeschlossen hat. Auf die Frage von Lindner, ob er in ihr Team ginge, sagte er kühl: „Nein. Unter dir nicht.“

Ein Problem hätte Haufft mit einem Informationsdirektor Mück. „Der frauenfeindliche Umgangston“ sei „unzeitgemäß und eine sehr bedenkliche Form der Machtausübung“. Auch andere Frauen im Stiftungsrat haben mit dem Stil Mücks offenbar wenig Freude. Die Anwältin und BZÖ-Stiftungsrätin Huberta Gheneff-Fürst wünscht sich „strukturelle und personelle Änderungen“ in der Fernseh-Information.

„Wenn die Kommission festgestellt hat, dass diese frauenfeindlichen Äußerungen tatsächlich so gefallen sind, dann steht für mich Mücks Qualifikation als Führungskraft infrage“, sagt auch Janet Kath, Interio-Chefin und Stiftungsrätin, die ihre Bestellung ebenfalls dem BZÖ verdankt. BZÖ-Stiftungsräte wie Janet Kath werden derzeit heftig umschmeichelt. Vergangene Woche etwa fand sich auf der Homepage des niederösterreichischen ORF eine putzige Story über die Managerin, samt einem Rezept ihrer Lieblingsmehlspeise, einer Biskuitroulade.

Taktik und Finten. Die BZÖ-Leute wollen sich freilich bitten lassen und den Preis hochtreiben. BZÖ-Chef Peter Westen-thaler droht schlitzohrig mit einem Alternativkandidaten: Alexander Wrabetz, kaufmännischer Direktor des ORF und SPÖ-Mitglied. Er soll mit den Stimmen von BZÖ, Sozialdemokraten, Grünen und den beiden SPÖ-Zentralbetriebsräten auf den Schild gehoben werden, so die höchst unwahrscheinliche Variante. Sollte Wrabetz tatsächlich gegen Lindner antreten und unterliegen, wäre der letzte Rote aus der ORF-Geschäftsführung eliminiert – ein Risiko, das weder die Sozialdemokraten noch Wrabetz persönlich eingehen werden. Seitens der SPÖ wird die „Wrabetz-Koalition“ vor allem vom Wiener SPÖ-Chef Michael Häupl betrieben, der vermutlich ebenfalls nicht ernsthaft daran glaubt, aber die ÖVP unter Druck setzen will.

Ob Chefredakteur Werner Mück zum Informationsdirektor erhöht werden soll, ist auch im BZÖ noch umstritten: „Im ORF fehlt die Innovationskraft von innen. Und das geht nur über neue Personen“, sagt Westenthaler über den ÖVP-Vorschlag Lindner/Mück. BZÖ-Stiftungsrat Walter Meischberger hält Mück dagegen für einen Chef im wahrsten Sinn des Wortes. Er findet „das Gejeiere über den parteipolitischen Einfluss lächerlich“. Hingegen hält Meischberger das von Generaldirektorin Monika Lindner vorgelegte Konzept für unzureichend. Bei einem Treffen Westenthalers mit den fünf BZÖ-Stiftungsräten am vergangenen Mittwoch konnte man sich noch nicht auf eine endgültige Linie einigen.

Selbstkritik. Am Küniglberg kursiert indes eine Exit-Strategie, sollte Werner Mück tatsächlich nicht durchzubringen sein. In diesem Fall würde Lindner vermutlich den in allen Parteien wohl gelittenen Sportchef Elmar Oberhauser als Chefredakteur vorschlagen.

Monika Lindner selbst scheint sich ihrer Sache recht sicher zu sein. In dem ihrer Bewerbung beigeschlossenen Konzept macht sie potenziellen Bündnispartnern keine Geschenke – im Gegenteil. So schlägt sie etwa die Streichung des Postens des Online-Direktors vor, der derzeit vom einzigen BZÖ-Mann in der Geschäftsführung, dem Vorarlberger Ronald Schwaerz-ler, eingenommen wird. Dem von ihr an sich geschätzten roten Chefkaufmann Wrabetz will sie die ORF-Tochterfirma Enterprise aus dem Portefeuille nehmen – das wichtigste wirtschaftliche Steuerungselement des Unternehmens.

Nicht viel respektvoller geht sie mit den beiden neuen roten Landeshauptleuten Franz Voves und Gabi Burgstaller um. Uraltem ORF-Gewohnheitsrecht zufolge hätten sie bei der anstehenden Neubesetzung der ORF-Landesdirektoren-Posten ein entscheidendes Wort mitzureden. Freilich: Weder Voves noch Burgstaller wurden in dieser Sache bisher kontaktiert. Der Salzburgerin sagte Lindner vergangene Woche bloß eher nebulos eine Vorinformation zu (siehe Kasten Seite 17).

Die dem Stiftungsrat vorgelegten Konzepte von Lindner und Lorenz sind eine Mixtur aus Selbstkritik und frommen Wünschen. Lindner räumt ein, dass „das Bildungsbürgertum von Sendungen wie ‚Bachelor‘ enttäuscht“ war, und gelobt Besserung. Sie verspricht „mehr Eigenproduktionen“ – was sie allerdings auch vor vier Jahren versprochen hatte. Vom Gesetzgeber wünscht sie sich Spartenkanäle für Kinder und Kultur, um die großen Verleger wirbt sie mit dem Angebot eines Zeitungsfernsehens.

Das Offert an die Printmedien findet sich auch bei Lorenz: Er wärmt eine alte Idee seines Mentors Gerd Bacher auf und will die Landesstudios für private Produktionen – auch von Zeitungsverlegern – öffnen. Sein Bewerbungsschreiben enthält auch Polemik gegen Lindner: „Der ORF unterwandert den öffentlich-rechtlichen Auftrag … das Programm erstarrt in Klischees, fremdbestimmt durch zugekaufte Dutzendware.“

Düstere Zukunft. Wer auch immer das Spiel gewinnt: Die wirklichen Probleme kommen erst nach der Wahl. Die Werbeeinnahmen des ORF gehen seit Jahren zurück: 1998 liefen noch zehn Prozent der Werbung auf Privatkanälen, sieben Jahre später waren es schon 34 Prozent. Mehr Konkurrenz durch Private führte auch zu höheren Produktions- und Rechtekosten: So haben sich seit 1994 die Ausgaben für Großereignisse wie die Fußball-Weltmeis-terschaft oder die Olympischen Spiele vervierfacht, 25 Millionen Euro musste der ORF heuer für Sportevents bezahlen. Um teuren Eigenproduktionen zu entgehen, kaufte der ORF eine Vielzahl billiger US-Serien. Ein Vergleich: Eine Minute der US-Staffel „Desperate Housewives“ kostet pro Zuseher bloß ein Zehntel der Eigenproduktion „Soko Kitzbühel“, eine Info-Sendung wie der „Report“ liegt etwa im Mittelfeld. Eine Folge der von der BBC abgekupferten Tanzshow „Dancing Stars“ kostet für Rechte und Produktion 200.000 bis 300.000 Euro. Für eine Eigenproduktion wie die Zeitgeschichtsreihe „Mutig in die neuen Zeiten“ musste der ORF hingegen 1,5 bis zwei Millionen Euro kalkulieren.

Auf der Einnahmenseite war dagegen wenig zu holen. Je österreichischer eine Produktion ist, desto erfolgreicher ist sie zwar am heimischen Markt, aber kaum international zu verkaufen.

Einer der möglichen Überraschungskandidaten für die ORF-Wahl, Ex--„News“-Chef Rudi Klausnitzer, glaubt dennoch, dass „nur mit heimischer Qualität die Schlacht um die Sicherung der Gebührenfinanzierung zu gewinnen ist“. Bedrohlicher als der Rückgang der Werbung ist für ihn die in der EU-Kommission diskutierte Regelung, das Gebührenmonopol der staatlichen Sender aufzuheben. Klausnitzer stellt solche Überlegungen nicht zufällig an. Er würde kandidieren, würde er nominiert werden. „Sollte ein Stiftungsrat der Meinung sein, dass er meine Ideen hören will, dann würde ich so eine Einladung sehr ernst nehmen.“ Damit wäre Klausnitzer einer jener Überraschungskandidaten, auf die derzeit viele Stiftungsräte hoffen.

Sollte am 17. August dennoch die Favoritin Monika Lindner zum Zug kommen, ist der Wirbel noch lange nicht vorbei: Der Rest der Geschäftsführung steht frühestens am 21. September zur Wahl – zehn Tage vor dem großen Urnengang.

SPÖ und Grüne planen, die Bestellung der ORF-Direktoren und Chefredaktion zum Thema der Wahlkampf-TV-Konfrontationen zu machen. Das ORF-Gerangel live im ORF, das jedenfalls ist neu.

Von Eva Linsinger und Christa Zöchling