"Werde mich nicht für ORF bewerben"

ORF. Warum sich Gerhard Zeiler doch nicht für den Posten des ORF-Generaldirektors bewirbt

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Zeiler, das Wichtige zuerst: Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie für den ORF-Chefposten kandidieren?
Zeiler: Ja, das habe ich: Ich werde mich nicht um die Position des Generaldirektors des ORF bewerben.

profil: Warum nicht?
Zeiler: Es ist ja bekannt, dass ich einen langfristigen Vertrag als CEO der RTL Group habe und auch Mitglied des Bertelsmann-Vorstands bin. Und abgesehen davon, dass ich grundsätzlich vertragstreu bin: Das ist eine Tätigkeit, die ich sehr gern ausübe und die mich besonders wegen ihrer internationalen Dimension sehr erfüllt. In unserer Industrie gibt es den Job, den ich derzeit habe, kein zweites Mal in Europa.

profil: Aber Sie waren doch durchaus an einer Kandidatur interessiert. Sie haben ja auch schon entsprechende Gespräche geführt.
Zeiler: Ja, ich gebe zu: Ich habe überlegt, mich als ORF-Generaldirektor zu bewerben. Die Gründe dafür waren relativ einfach. Ich bin mit Leib und Seele Österreicher, das Land ist meine Heimat, und ich habe acht wunderbare Jahre im ORF verbracht, die ja auch der Grundstein für meine Karriere waren. Die Aussicht, dem ORF bei der Bewältigung seiner nicht unbeträchtlichen Probleme helfen zu können, hat mich durchaus überlegen lassen.

profil: Woran ist es letztlich gescheitert?
Zeiler: Ich habe schon nach wenigen Gesprächen erkannt, dass es bei der Frage, wer der nächste ORF-Generaldirektor werden soll, wesentlichen Teilen der Politik nicht darum geht, wer das Unternehmen am besten führen kann, sondern wer willfährig parteipolitische Personalwünsche umsetzt. Darum ist mir die Entscheidung, nicht zu kandidieren, relativ leicht gefallen. Einem derartigen Anforderungsprofil hätte ich in keiner Weise entsprochen.

profil: Sie hätten auf viel Geld verzichtet. Dem Vernehmen nach verdienen Sie etwa sechsmal so viel wie der ORF-General.
Zeiler: Darum wäre es nicht gegangen. Mir liegt Österreich am Herzen, und ich habe eine sehr positiv besetzte, emotionale Verbundenheit mit dem ORF. Die Realität hat mich dann aber schnell zu einer Entscheidung kommen lassen.

profil: Haben Sie es mit Ihrer Biografie nicht als etwas skurril empfunden, dass Sie in den vergangenen Wochen als „schwarz-blauer Kandidat“ gehandelt wurden?
Zeiler: Da habe ich sehr gelacht, und viele meiner Freunde in der Sozialdemokratie haben mitgelacht.

profil: Aber diese Punzierung schien doch von SPÖ und Grünen gekommen zu sein. Von wem sonst?
Zeiler: Selbstverständlich, es ist von höchster sozialdemokratischer Stelle lanciert worden, was mich ja noch mehr belustigt hat.

profil: Sie haben dem Vernehmen nach in den vergangenen Wochen viele Verantwortungsträger in Österreich getroffen: ÖVP-Obmann Michael Spindelegger, Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad,
die Grünen-Chefin Eva Glawischnig. ¬Haben Sie auch mit Werner Faymann gesprochen?
Zeiler: Ein Gespräch mit dem Bundeskanzler hat es gegeben. Das war im Frühjahr 2009, als er Alexander Wrabetz loswerden wollte. Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, den ORF zu führen. Damals war meine Antwort: Wenn es wirklich ein breiter Wunsch wäre und man den ORF so führen könnte, dass er erfolgreich sein kann, würde ich es mir überlegen. Dann habe ich nichts mehr gehört – bis heute.

profil: Darauf bezog sich offenbar der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, als er vor einigen Wochen in einem Interview sagte: „Zeiler hat nicht bekommen, was er verlangt hat.“
Zeiler: Ich habe mich damals ja nicht aufgedrängt, man ist auf mich zugekommen. Es wäre mir auf jeden Fall sehr schwer gefallen, zu meinen Gesellschaftern zu gehen und zu sagen: Ich würde gerne aus meinem Vertrag aussteigen. Aber die nachfolgenden Ereignisse haben es mir leicht gemacht, dies nicht zu tun.

profil: Was haben Sie damals verlangt? Weniger politische Einmischung?
Zeiler: Ich habe gar nichts verlangt. Aber man kann kein Unternehmen, das so große Herausforderungen zu bewältigen hat wie der ORF – kreative, finanzielle und strukturelle –, erfolgreich führen, wenn Personalbesetzungen bis zur Abteilungsleiter-Ebene von politischer Seite beeinflusst werden und ständig parteipolitische Personalwünsche geäußert werden. Das geht schlicht und einfach nicht. Da leidet die Professionalität, und da leidet die Krea¬tivität. Es ist ein Problem, wenn eine ORF-Führung heute nicht Herr im eigenen Haus ist und glaubt, nur dann gewählt zu werden, wenn sie politische Postenbesetzungen akzeptiert. Das schadet dem Unternehmen nachhaltig.

profil: Der damalige ORF-Generalintendant Thaddäus Podgorski hat 1989 in einem profil-Interview ziemlich genau dasselbe gesagt: Politik raus aus dem ORF. Ein paar Monate später war er raus aus dem ORF.
Zeiler: Das Problem, dass die Politik Einfluss auf die wesentlichen Positionen des ORF-Personals nimmt, gab es schon immer. Aber in den meisten Perioden reichte das nur bis zur Direktionsebene und nicht noch zwei Ebenen weiter nach unten. Fernsehstationen stehen heute vor ganz anderen Problemen als damals. Man braucht wirklich die besten Leute – im Programm, im Werbeverkauf, im Management –, ganz egal, ob das Unternehmen privat oder öffentlich-rechtlich ist.

profil: Aber auch Sie selbst wurden doch 1994 Generalintendant, weil Ihnen die SPÖ die entsprechende Mehrheit im ORF-Kuratorium verschafft hat.
Zeiler: Das war auch, aber nicht nur die SPÖ. Ich bin von mehr als 30 der 35 Kuratoren gewählt worden. Mir hat auch während meiner Amtszeit – ebenso wenig wie Gerd Bacher – niemand nachgesagt, ich würde parteipolitisch agieren. Ich habe keine Partei gefragt, als ich meine Direktoren ausgesucht habe, sondern ich habe die Parteien darüber informiert. Aber das war 1994. Damals war Franz Vranitzky Bundeskanzler.

profil: „Die Politiker interessiert nicht, wie es dem ORF geht, sondern nur, wie es ihnen im ORF geht“, sagte einst Gerd Bacher. Können Sie den Satz unterschreiben?
Zeiler: Ich würde nicht verallgemeinern. Ein Teil der Politik war sehr interessiert, dass ich es mache – es war der Teil,
von dem ich es am wenigsten erwartet hätte …

profil: Sie reden von der ÖVP?
Zeiler: Ja. Und bei diesen Gesprächen gab es kein einziges unmoralisches Angebot. Mir wurde gesagt: „Wir würden uns freuen, wenn Sie es sich überlegen und kandidieren. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie uns irgendwelche Personalwünsche erfüllen.“ Ich hätte sie ohnehin nicht erfüllt.

profil: Hat sich die ÖVP nicht an Ihrer ¬politischen Vergangenheit gestoßen? Sie waren immerhin der Sprecher von zwei roten Bundeskanzlern.
Zeiler: Offenbar nicht. Ich war am Anfang auch überrascht und skeptisch. Aber es war ja von Beginn an klar, dass ich nicht der Kandidat einer Partei sein wollte, weil man den ORF so nicht führen kann.

profil: Ist die ÖVP in solchen Fragen großzügiger als die SPÖ?
Zeiler: Das kann und will ich gar nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, wie es war – die Schlussfolgerungen überlasse ich anderen.

profil: Es war klar, dass Sie mit Ihrer Biografie nicht als reiner ÖVP-Kandidat antreten wollten. Wie viele Zusagen aus der SPÖ-Fraktion im Stiftungsrat wären Ihre Untergrenze gewesen?
Zeiler: Ich hatte keine „Untergrenze“. Es macht einfach keinen Sinn, eine solche Mammutaufgabe anzugehen – und der ORF ist eine Mammutaufgabe –, ohne dass man breite Zustimmung hat.

profil: In Wiens politischen Zirkeln kursierte immer wieder folgendes Gerücht: Bundeskanzler Werner Faymann sei gegen Ihre Rückkehr nach Wien, weil manche Sie auch als möglichen Mann an der Spitze der SPÖ sehen. Was halten Sie davon?
Zeiler: Ich sitze in Luxemburg und bin viel auf Reisen. Daher höre ich nur wenige Gerüchte vom Wiener Parkett. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Werner Faymann im Ernst so denkt. Außerdem: Dächte er so, müsste er ja froh sein, wenn ich im ORF festgenagelt wäre.

profil: Was wären denn Ihre ersten Maßnahmen im ORF gewesen?
Zeiler: Wenn man sich ansieht, welche öffentlich-rechtlichen Fernsehunternehmen erfolgreich sind und welche nicht, ergeben sich sofort die Unterscheidungsmerkmale. Das erste ist die Glaubwürdigkeit. In ganz Osteuropa hat die nur der polnische Rundfunk, weil er im Konflikt mit der Sowjetunion immer eine nationale Orientierung verfolgt hat. Das zweite ist die nationale Identitätsstiftung, wie sie der ORF seinerzeit mit den Hugo-Portisch-Serien erreicht hat. Wichtig ist dabei auch das Regionalfernsehen.

profil: Aber macht der ORF da nicht ohnehin genug? Er hat toll ausgestattete ¬Landesstudios, sendet unentwegt Musikantenstadln …
Zeiler: Das ist etwas anderes als etwa eine fiktionale Aufbereitung der österreichischen Geschichte. Oder nehmen Sie die in England so erfolgreichen „BBC-Proms“, in denen das eigene Orchester den ganzen Sommer über in öffentlichen Konzertreihen das Image des Senders prägt und an denen jedermann zu niedrigen Preisen teilnehmen kann. Das ist wirklich Kultur für alle. Das Dritte ist: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf nicht schwanken zwischen seinem Auftrag im Bereich Kultur, Nachrichten und Dokumentation und dem Unterhaltungsauftrag auf der anderen Seite. Nur wenn man beide Seiten bedient, wenn man jedem etwas anbietet, kann öffentlich-rechtlicher Rundfunk erfolgreich sein. Jeder, der nur auf das eine oder auf das andere fokussiert, ist schon gescheitert.

profil: Und Sie würden das alles mit weniger Personal bespielen. Oder?
Zeiler: Ich würde gar nichts. Ich spreche nur von den Erfolgsvoraussetzungen von öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Der ORF hat ein kreatives Problem, er hat ein finanzielles Problem, und er hat strukturelle Probleme. Aber alle diese Probleme sind lösbar.

profil: Ist es nicht eine Illusion, zu glauben, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender politikfern geführt werden kann?
Zeiler: Durch meinen Job habe ich ja den Überblick über ziemlich alle europäischen Rundfunkunternehmen, und da gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Je nördlicher, etwa in Skandinavien oder Großbritannien, desto unabhängiger sind die öffentlich-rechtlichen Unternehmen. Je südlicher, desto regierungslastiger sind sie. Österreich ist diesbezüglich ein sehr südliches Land.

profil: Sind Sie von der SPÖ enttäuscht?
Zeiler: Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Ich habe viele Freunde in der SPÖ, und ich weiß, dass es viele in der SPÖ gerne gesehen hätten, dass ich es mache.

profil: „Kurier“-Chefredakteur Helmut Brandstätter hat vor einigen Wochen etwas geschrieben, was man so auch oft aus der SPÖ hörte: „Zeiler – das ist Kommerz pur, das ist der ORF am Weg in Richtung Privatfernsehen mit anschließender Privatisierung.“
Zeiler: Helmut Brandstätter hat es leider nicht überwunden, dass ich ihn als Geschäftsführer von n-tv absetzen musste, weil es sonst diesen Sender heute nicht mehr geben würde. Sonst kann ich zu diesem Vorwurf nur sagen: Wir als deutsche Sendergruppe leisten uns n-tv als 24-Stunden-Nachrichtenkanal, und RTL sendet täglich ungefähr fünf Stunden Nachrichten. RTL ist ein privat finanzierter Sender mit großen Unterhaltungsanteilen und einem starken Informationsanteil. Es ist ja kein Zufall, dass der Nachrichten-Moderator von RTL, Peter Kloeppel, nicht nur zum beliebtesten, sondern auch zum kompetentesten Moderator des deutschen Fernsehens gewählt wurde – vor allen öffentlich-rechtlichen Kollegen.

profil: Ist für Sie das Kapitel ORF jetzt abgeschlossen? Ihr Vertrag mit Bertelsmann läuft ja bis 2015.
Zeiler: Ich denke jetzt noch nicht darüber nach, was 2015, 2016 oder 2017 sein könnte.

profil: Gibt es in Österreich einen Fernsehmenschen, von dem Sie sagen würden, der könnte das auch sehr gut?
Zeiler: Ja, aber ich werde einen Teufel tun und den jetzt nennen.

profil: Würde ihm das schaden?
Zeiler: Selbstverständlich. Aber im Ernst: Es gibt mehrere, die den ORF sehr gut führen könnten.

profil: Spätestens auf Ihre alten Tage werden sie jedenfalls wieder nach Wien zurückkommen.
Zeiler: Ich habe eine Wohnung in Wien und werde mit Sicherheit meinen Lebensabend nicht in Luxemburg oder Deutschland verbringen.