Pakistan: Aufbruch ins Ungewisse

Die Zukunft des Landes ist völlig ungewiss

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Die Ermordung von Benazir Bhutto am 27. Dezember des Vorjahres hat die Welt alarmiert. Islamisten stünden hinter dem Attentat auf die pakistanische Politikerin, die im Oktober aus dem Exil in ihre Heimat zurückgekehrt war, behauptet der pakistanische Präsident General Pervez Musharraf. Der Mainstream der internationalen Medien teilt diese Ansicht. Der ehemalige Chef des Pentagon Central Command, US-General Anthony Zinni, drückt die Ängste des Westens aus: Islamische Extremisten versuchten, „Pakistan in Brand zu setzen, um jenes Chaos zu erzeugen, das sie zum Überleben brauchen, und sie sind im Begriff, ein fundamentalistisches, radikal islamisches Regime zu errichten“.

Tatsächlich hat das Land zwischen Hindukusch und Arabischem Meer geopolitisch zentrale Bedeutung: Der 160 Millionen Einwohner zählende Staat ist die einzige Atommacht in der islamischen Welt. Das Regime in Islamabad gilt als der wichtigste Verbündete der USA in dieser Region, besitzt eine lange, poröse Grenze zu Afghanistan (in dem bergigen Grenzstreifen haben die Taliban ihr Rückzugsgebiet), und mit dem ebenfalls nuklear gerüsteten Indien lebt Pakistan darüber hinaus in einer permanenten Spannungssituation. Viele Gründe, sich davor zu fürchten, dass Pakistan „nach dem Attentat von Rawalpindi im Chaos versinkt – und die Welt mit sich reißt“, wie das deutsche Magazin „Der Spiegel“ formuliert. Droht tatsächlich eine „Talibanisierung“ Pakistans? Muss sich die Welt vor einer islamischen Bombe in der Hand von Fundamentalisten fürchten? Oder steckt hinter solchen Schreckensszenarien auch politische Absicht: die Militärdiktatur von Musharraf akzeptabler zu machen?

In Pakistan selbst wird die Annahme, hinter dem Mordanschlag stünden Islamisten, bezweifelt, vor allem von Benazirs Nachfolgern in der Pakistan Peoples Party (PPP), ihrem Mann Asif Ali Zardari und ihrem Sohn Bilawal Bhutto Zardari. Sie verdächtigen Musharraf, sich durch das Attentat einer gefährlichen politischen Konkurrentin entledigt zu haben. Bei Unruhen und Protesten gegen das Militärregime kamen in den vergangenen Tagen an die hundert Menschen ums Leben. Musharraf weist die Vorwürfe einer Beteiligung des Geheimdienstes am Mord an Benazir Bhutto zurück. Vergangenen Freitag trafen Antiterrorexperten von Scotland Yard aus London in Pakistan ein. Dass ihre Arbeit sehr kompliziert wird, ist evident: Wesentliche Spuren am Tatort wurden kurz nach dem Attentat beseitigt.

Musharraf nahm die Unruhen zum Anlass, die für den 8. Jänner geplanten Parlamentswahlen auf den 18. Februar zu verschieben. Meinungsumfragen sagen voraus, seine Partei, die Muslim League, werde drastisch verlieren. Gleichzeitig aber wird angenommen, dass durch Schiebungen ein Musharraf genehmes Wahlresultat erzielt werden wird.

Pakistan-Kenner wie der prominente pakistanisch-britische Publizist Tariq Ali bezweifeln, dass eine Machtübernahme durch Islamisten drohe (siehe Interview). Diese seien in der Bevölkerung überaus minoritär. Trotz Jahrzehnten des Elends unter der Militärherrschaft wisse die große Mehrheit der Pakistani politischen Pluralismus und Wahlen zu schätzen. Und dass islamische Radikale an die Bombe herankommen, hält Tariq Ali für unmöglich. Die Zukunft des Landes werde weniger vom Aufstieg der Islamisten geprägt sein als von der Konsolidierung der Militärdiktaturen: Eine Demokratisierung Pakistans sei auf lange Sicht weg von der politischen Tagesordnung.