Überkapazitäten & steigende Kosten

Pannenstreifen

Die Autoindustrie steht mit dem Rücken zur Wand

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Wenn Dan Neil in die Tasten hämmert, spart er meist nicht mit Spott und Häme. Im Vorjahr bekam der Journalist der „Los Angeles Times“ für seine bissige Autokolumne sogar den begehrten Pulitzer-Preis. Auch ein Bericht, den Neil Anfang April veröffentlichte, sorgte für großes Echo. Darin schrieb er in ziemlich deftigen Worten über General Motors (GM), kritisierte die seiner Meinung nach verfehlte Modellpolitik des US-Autokonzerns und folgerte knochentrocken, Konzernchef Rick Wagoner müsse abtreten.
Wagoner, der sonst im Rahmen von Auto-Shows gerne mit Journalisten diniert, dabei mit Vorliebe den netten Kerl gibt und sich sogar Ratschläge aus der Runde notiert, nahm diese Kritik offenbar sehr persönlich. Postwendend gab er Order, bis auf Weiteres sämtliche Inserate in der „Los Angeles Times“ zu stornieren. Im vergangenen Jahr hat GM in der angesehenen Tageszeitung Annoncen im Gegenwert von immerhin zehn Millionen Dollar platziert. „Es steht Ihnen frei zu berichten, was Ihnen nötig erscheint“, ließ Wagoner über seine Pressesprecherin Ryndee Carney dem Blatt ausrichten. „Es steht uns aber auch frei zu entscheiden, wo wir unsere Werbedollars einsetzen.“
Dass Wagoner plötzlich so sensibel auf journalistische Kritik reagiert, hat seine Gründe. Zum ersten Mal, seit er 2003 den Vorstandsvorsitz beim weltgrößten Automobilkonzern übernommen hat, muss der 51-jährige Manager ernsthafte Probleme und wohl auch Managementfehler eingestehen. Für das erste Quartal des laufenden Jahres gab das Unternehmen erst vor wenigen Tagen einen Verlust von umgerechnet 842 Millionen Euro bekannt. Nach den Problemen bei der deutschen Tochter Opel, wo tausende Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, litt auch der Absatz auf dem amerikanischen Heimatmarkt. Schulden von 230 Milliarden Euro lasten auf den Bilanzen, und erstmals seit 1992, der größten Krise in der Geschichte von GM, werden Gerüchte über eine mögliche Insolvenz laut. „Insolvenzgefahr zu sehen wäre sicher übertrieben, die Probleme sind aber schon gravierend“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen und Leiter des Kfz-Prognoseinstitutes D&B Forecast.
Die „gravierenden Probleme“ von General Motors sind kein Einzelfall. Überkapazitäten, eine von Konjunkturflaute und steigenden Benzinpreisen gebremste Nachfrage und nicht zuletzt der immer stärker werdende Druck asiatischer Konkurrenten haben viele Unternehmen in arge Bedrängnis gebracht. Der kleine britische Hersteller MG Rover musste bereits Konkurs anmelden, Mitsubishi und Fiat stehen am Rande des Abgrunds, und auch DaimlerChrysler, Ford und Volkswagen mussten zuletzt schwere Abstriche machen, schreiben Verluste oder zumindest deutlich niedrigere Gewinne. Andreas Baier vom Beratungsunternehmen Accenture: „Autokonzerne, die kein klar ausgerichtetes Produktportfolio haben, zu wenig flexibel sind oder zu viele nicht klar positionierte Marken vereinen, denen geht es derzeit wirklich schlecht.“
Gerade jetzt rächen sich Fehler aus der Vergangenheit. Denn selten zuvor wirkte eine derart große Zahl an Negativfaktoren auf die gesamte Branche ein.

Absatzprobleme. Jeder zweite Europäer besitzt bereits ein Auto. In den USA ist der Sättigungsgrad sogar noch höher, wie Bernd Kreutzer, Autoexperte beim Beratungsunternehmen A. T. Kearney, erklärt: „Durch die hohen Rabatte, die dort seit einigen Jahren gewährt werden, haben die meisten Haushalte schon einen Zweit- oder Drittwagen.“ Die steigende Qualität der Materialien hat dazu geführt, dass die Nutzungsdauer deutlich gestiegen ist. Auch wenn alle drei bis vier Jahre neue Modellreihen herauskommen, denken die meisten Kunden noch lange nicht daran, auf den Nachfolger umzusteigen.
Und jene, die keinen Wagen haben, sind entweder überzeugte Verweigerer oder haben schlicht nicht die nötigen Mittel für die Anschaffung. Kreutzer: „Die Konsumenten überlegen sich so eine Anschaffung angesichts der aktuellen Konjunkturlage lieber zweimal und behalten ihre Autos einfach länger.“ In Europa ist die Zahl der Neuzulassungen im ersten Quartal 2005 um 3,3 Prozent zurückgegangen. In den USA gilt der Markt mit jährlich 17 Millionen Neufahrzeugen als gesättigt, Zuwachsraten seien kaum noch zu erwarten, wie Experten meinen.
Härtere Konkurrenz. Bis in die achtziger Jahre waren die Märkte relativ klar aufgeteilt. Die Europäer belieferten Europa, Japaner und Koreaner den asiatischen Raum, und die US-Konzerne betrachteten Amerika zu Recht als ihr Terrain. Mittlerweile hat sich das grundlegend geändert. Vor allem die asiatischen Hersteller drängen massiv auf den europäischen und amerikanischen Markt. In Europa waren im ersten Quartal 2005 bereits fast 17 Prozent der neu zugelassenen Kraftfahrzeuge japanischer Provenienz. In den USA hält allein Toyota nahezu zwölf Prozent Marktanteil.
Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten versuchen umgekehrt auch die europäischen Hersteller auf anderen Kontinenten Fuß zu fassen. In den USA gelingt dies vor allem Premiummarken wie BMW oder Porsche ganz gut. Große Hoffnungen, die auf die weiterhin stark steigenden Absatzzahlen in Asien gesetzt wurden, bekamen zuletzt aber einen kräftigen Dämpfer. Vor allem China, einer der Märkte mit dem größten Wachstumspotenzial, bescherte vielen Herstellern eine Enttäuschung. BMW, Audi und VW mussten dort vor wenigen Tagen ihre Preise um bis zu 13 Prozent senken. China-Pionier Volkswagen werde nach Meinung des Investmenthauses Goldman Sachs dort sogar einen Verlust von über 400 Millionen Euro im laufenden Jahr verzeichnen.

Sinkende Erträge. Nicht nur in China werden Preise gesenkt. In den USA gewähren die Hersteller Autokäufern mittlerweile Rabatte und Gratisextras in der Größenordnung von bis zu 3000 Euro pro Fahrzeug. Auch in Europa sind Konsumenten schon an Nachlässe in ähnlicher Größenordnung gewöhnt oder erwarten zumindest, dass sie Extras wie eine Klimaanlage gratis bekommen. Sogar die sonst für ihre stabilen Preise bekannten Premiumanbieter müssen mittlerweile mit Rabatten arbeiten. Laut einem Bericht der deutschen Branchenzeitung „Automobilwoche“ gewähren BMW-, Audi- und Mercedes-Händler zurzeit Nachlässe zwischen acht und 15 Prozent. Sogar Porsche soll, wie die Zeitschrift in Testanrufen erhoben hat, die Preise bis zu sieben Prozent rabattieren.
Während dadurch einerseits die Renditen sinken, steigen im Gegenzug die Kosten. Produktionsstandorte in Hochlohnländern wie Deutschland sind kaum noch wirtschaftlich zu betreiben. Zudem schlagen sich die hohen Preise für Öl und Stahl in den Produktionskosten nieder.

Überkapazitäten. Entsprechend sehen sich viele Hersteller zurzeit gezwungen, groß angelegte Einsparungsprogramme umzusetzen und die Kapazitäten zu kappen. Berater Kreutzer: „Die Überkapazitäten sind fast ausschließlich in jenen Märkten vorhanden, die kaum noch Wachstumspotenzial bergen, also in Europa und den USA.“ Volkswagen-Chef Bernd Pischetsrieder hat bereits ihm Vorjahr ein Sparprogramm gestartet und will im laufenden Jahr die Kosten konzernweit noch einmal um über drei Milliarden Euro senken. Opel ist gerade dabei, die Fertigungskapazitäten gravierend zu redimensionieren. Die Werke von Fiat sind durchschnittlich nur zu 70 Prozent ausgelastet. Ford hat bereits ein Restrukturierungsprogramm laufen und General Motors wird vermutlich bald ähnliche Schritte setzen müssen. Andreas Zielke, Berater bei McKinsey, schätzt, dass die Überkapazitäten in der Autoindustrie „weltweit eine Größenordnung von 25 bis 30 Prozent“ erreicht haben. Anpassungen seien seiner Meinung nach unabdingbar.

Qualitätsprobleme. Sparprogramme haben aber fallweise auch unerwünschte Nebenwirkungen. Um die Kosten zu drücken, suchen die Hersteller ständig nach billigeren Zulieferteilen und nehmen dafür mitunter Spätfolgen in Kauf. So ist die Zahl der Rückholaktionen wegen später aufgetretener Mängel im vergangenen Jahr um 41 Prozent auf weltweit 137 gestiegen. Allein der sonst so auf Qualität bedachte DaimlerChrysler-Konzern musste zuletzt 1,3 Millionen Fahrzeuge zurück in die Werkstätten beordern.
Auch wenn Experten wie Ferdinand Dudenhöffer dem Weltmarkt mittelfristig noch großes Wachstum vorhersagen, stellt sich dennoch die Frage, ob alle Hersteller genügend Reserven haben, um die Durststrecke bis dahin zu überwinden. MG Rover musste nach einem Rekordverlust von 367 Millionen Euro vorvergangene Woche Konkurs anmelden. Mitsubishi hat bereits angekündigt, im abgelaufenen Geschäftsjahr, das mit März endete, einen Verlust von 3,38 Milliarden Euro erwirtschaftet zu haben. Fiat bekommt nach dem Ausstieg von General Motors zwar 1,5 Milliarden Euro zugeschossen. Angesichts einer Schuldenlast von insgesamt 14,2 Milliarden Euro und, wie Experten schätzen, weiteren 1,3 Milliarden Verlust im abgelaufenen Geschäftsjahr bleibt jedoch fraglich, ob das Unternehmen allein weiterbestehen kann. Experte Dudenhöffer: „Von allen derzeit existierenden Herstellern ist Fiat momentan sicher am stärksten gefährdet.“

Von Martin Himmelbauer