Sommerpause

Olympia: Das Debakel der Österreicher in London

Olympia-Tagebuch I. Das Debakel der Österreicher in London

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Zuerst einmal die gute Nachricht: Bis jetzt hat sich kein österreichischer Sportler in London ernsthaft wehgetan.

Und jetzt das Vermischte:
Der Judoka Ludwig Paischer schaffte es nur bis in die zweite Runde, dann war Schluss. Aus dem Klammergriff des Usbeken Rischod Sobirow befreite ihn schließlich der Kampfrichter. Die Tennisspielerin Tamira Paszek hatte eigentlich fix mit einer Medaille gerechnet. Es reichte dann aber bloß zu einem Kurzdebakel in zwei Sätzen gegen die Französin Alizé Cornet. Tischtennis-Altmeister Werner Schlager kam immerhin in die dritte Runde. Dort wartete mit dem Weltranglistenvierten Wang Hao aus China ein menschgewordener Albtraum. "Als ich ihn beim Einschlagen gesehen habe, habe ich mir gedacht, wie soll ich da einen Punkt machen“, erklärte Schlager - und unterlag 1: 4. Am Donnerstagmittag stand der Schwimmer Markus Rogan im ORF-Studio und wirkte wie hypnotisiert. Zwei, drei Tränen liefen ihm die Wangen hinab, während Moderator Ernst Hausleitner mit allen gerade noch legalen Mitteln versuchte, dem Sportler eine Entschuldigung zu entreißen. Rogan hatte bekanntlich im Vorfeld Hermann! Maier!! Beleidigt!!! Kein Wunder, dass er dann dasteht und heult.

Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London ist erst Halbzeit. Doch die Affäre um Markus Rogan dürfte aus österreichischer Sicht bereits der Höhepunkt gewesen sein. Mit Medaillen kann nicht mehr ernsthaft gerechnet werden. Und selbst wenn sich noch ein heimischer Athlet erbarmen sollte: Die Operette rund um den gefallenen Schwimmstar ist nicht zu toppen. Alles Elend des österreichischen Sommersports materialisiert sich in dieser Groteske.

Er sei etwas ernüchtert und enttäuscht, sagte Sportminister Norbert Darabos vor ein paar Tagen. "Nur zu Olympia zu fahren und die gute Atmosphäre zu genießen, das ist zu wenig. Es ist schon das Ziel, auch Medaillen nach Österreich heimzubringen.“ Stattdessen arbeitet die selbst ernannte Sportnation emsig an der internationalen Anerkennung als gutmütiger Jausengegner: Die Radrennfahrer Bernhard Eisel und Daniel Schorn kamen bei ihrem Einsatz zwar noch am selben Tag ins Ziel, aber erst auf den Plätzen 36 und 81. Der Fechter Roland Schlosser verlor gleich sein erstes Duell und war trotzdem recht stolz: "Ich hatte die richtige Einstellung.“ Die 4-mal-200-Meter-Kraulstaffel der Herren erreichte wohlbehalten den Beckenrand - allerdings als Letzte. So mancher nimmt aus London vor allem die Erkenntnis mit, dass ihn von der Weltspitze ein knappes Lichtjahr trennt. Badminton-Crack Michael Lahnsteiner etwa unterlag dem Indonesier Simon Santoso derart deutlich, dass ihm ganz schwindlig wurde: "Sobald er einen Gang zugelegt hat, ist er mir zu schnell geworden.“

Zu den wenigen positiven Überraschungen gehörte Dinko Jukic, der über 200 Meter Delfin den vierten Platz belegte. Aber er ist gerade so sauer auf den Schwimmverband, dass er sich nicht richtig freuen kann. Zum Abschluss seines Olympia-Einsatzes drohte er schon einmal vorsorglich mit seinem baldigen Rücktritt.

Glücklicherweise bekommt das heimische Publikum die traurigen Momente dieser Großveranstaltung kaum mit. Die ORF-Quoten sind miserabel; mehr als 100.000 Zuseher gleichzeitig sitzen selten vor dem Bildschirm. Außerdem verirrt man sich leicht im olympischen Durcheinander der Randsportarten, die häufig noch in ein halbes Dutzend Gewichtsklassen unterteilt sind. Wo und wann irgendein Österreicher gerade hinterherhechelt, danebenschießt oder hilflos in einer Beinschere zappelt, ist schwer herauszufinden. Danach, beim Wiederkäuen im Olympia-Studio, tut es nicht mehr so weh. Der Vielseitigkeitsreiter Harald Ambros ist vom Pferd gefallen? Aber beide sind wohlauf? Na dann.

So richtig fit waren die Österreicher bei olympischen Sommerspielen auch in der Vergangenheit nicht. Mehr als zwei, höchstens drei Medaillen waren selten drin. Erfolgreiche Leibesertüchtigung findet hierzulande nun mal hauptsächlich auf Schnee statt. Im Frühling, Sommer und Herbst dürfen sich dafür die Chinesen und Amerikaner austoben.

Doch nicht zuletzt Markus Rogan ist schuld daran, dass Fans, Funktionäre und der Sportminister mittlerweile doch ein wenig mehr erwarten. Rogans zwei Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 waren eine solche Sensation, dass plötzlich alles möglich schien. Österreich als Schwimmnation: Wer hätte das gedacht?

Auch für dieses Jahr hatte sich Rogan wieder viel vorgenommen. Einsamer und stiller, als es normalerweise seine Art ist, hatte sich der 30-Jährige nach Los Angeles zurückgezogen, um für seinen letzten Auftritt bei Olympischen Spielen zu trainieren. Noch einmal wollte er eine Medaille holen. Dieser letzte Triumph sollte auch eine Art Wiedergutmachung werden für eine Serie eher seltsamer Auftritte, die der junge Mann in den vergangenen Jahren aufs Parkett gelegt hatte.

Doch dann ging alles schief.
In einem Ö3-Interview wenige Tage vor Olympia-Beginn behauptete Rogan sinngemäß, dass Hermann Maier die Zahl seiner Siege wohl seiner bescheidenen Intelligenz zu verdanken habe. Eine schlimmere Entgleisung ist in Österreich nicht vorstellbar; bei Hermann-Maier-Schmähungen gibt es keine Aussicht auf Vergebung, jedenfalls nicht zu Lebzeiten. Die Verwünschungen der Nation im Nacken, wurde Rogan im Semifinale seines Schwimmbewerbs dann auch noch wegen eines angeblichen Fehlers bei der Wende disqualifiziert. Am Donnerstag saß er in einer eigens für ihn einberufenen Pressekonferenz, schaute entrückt ins Leere, seufzte brunnentief in die Mikrofone und konnte nicht einmal die Frage beantworten, ob er nun aufhören oder weiterschwimmen werde.

Es fällt nicht leicht, sich in dieser Seifenoper für eine Seite zu entscheiden. Hochgradig seltsam verhielt sich in den vergangenen Tagen nämlich nicht NUR der Schwimmer.

Markus Rogan war schon immer ein schwieriger Typ mit Borderliner-Allüren. Warum er sich ohne Not mit dem Gottvater des heimischen Sports anlegen musste, weiß er wohl auch nicht genau. Vielleicht wurde Rogan, wie er behauptet, zu Unrecht disqualifiziert. Doch seine Vorlaufzeiten waren so schlecht, dass er sowieso keine Medaille gewonnen hätte. "Wenn ich Gold hole, dann ist das wie Düdelingen gegen Real Madrid“, hatte er selbst nach dem ersten Vorlauf erklärt.

Nicht sehr beruhigend ist allerdings auch der Umstand, dass die Größen des heimischen Sportbetriebs mitten im Sommer am liebsten über einen ehemaligen Skistar reden. Jeder halbwegs wichtige Funktionär gab in den vergangenen Tagen Einschätzungen über die mutmaßliche Geisteskraft von Hermann Maier ab. Paul Schauer, Präsident des österreichischen Schwimmverbands, rühmte dessen "Hausverstand“ - bei Licht betrachtet eigentlich auch eine Beleidigung. Sportminister Norbert Darabos kritisierte die rosige Zufriedenheit heimischer Athleten selbst im Angesicht der Niederlage. Das ist eindeutig ein Stilbruch im Vergleich zum großen Altvorderen: "Hermann Maier hätte so etwas nie gesagt. Er hat sich immer an der Leistung orientiert.“ Überhaupt nicht mehr zu beruhigen war der Maier-Fanklub im ORF. Kaum ein Interviewpartner kam ohne einen Offenbarungseid in der Causa davon: Wie, glauben Sie, hat Markus Rogan das gemeint? Warum hat er das gesagt? Was halten Sie davon?

Hoffentlich schneit es bald.
Im Winter ist die österreichische Fixierung auf Skihelden dann doch um einiges leichter zu ertragen.

Hermann Maier selbst wollte sich bisher übrigens nicht äußern. Er ist im Ausland und ließ ausrichten, dass er die inkriminierten Aussagen nicht gehört habe. Am 8. August will Maier nach London kommen und sich unter anderem das 200-Meter-Finale mit Usain Bolt anschauen. Ein Österreicher ist da nicht im Einsatz. Es wird also nicht peinlich.