Pat Cox

Pat Cox: „Wir müssen die Nabelschau beenden“

„Wir müssen die Nabelschau beenden“

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profil: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bezeichnete das Europäische Parlament im Transitkonflikt als den Hauptfeind Österreichs. Was werden Sie ihm bei Ihrem offiziellen Besuch in Wien dazu sagen?
Cox: Ich wundere mich über diese Schuldzuweisung, weil wir in ständigem Kontakt mit den österreichischen Behörden einschließlich des Bundeskanzlers stehen. Ich werde Herrn Schüssel mitteilen, dass das Europäische Parlament im laufenden Vermittlungsverfahren gegenüber Österreichs Position weit verständnisvoller und flexibler aufgetreten ist als der Ministerrat. Wir haben erst vergangene Woche Kompromissangebote vorgelegt, die der Ministerrat abgelehnt hat.
profil: Die ständige Vertretung Österreichs bei der EU hat Sie in einem Brief um Hilfe ersucht und mitgeteilt, dass Österreich nun das bisher abgelehnte
dänische Kompromissangebot vom
vergangenen Silvestertag unterstütze. Kommt diese Einsicht nicht etwas spät?
Cox: Ich kann dazu nur so viel sagen: Ich bin zuversichtlich, dass bei der letzten Sitzung am 25. November eine für Österreich akzeptable Lösung herauskommen wird. Herr Schüssel soll auch wissen, dass ich persönlich mehrere Mitarbeiter beauftragt habe, sich für Österreichs Anliegen im Sinne der nachhaltigen Umweltpolitik einzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass Abgeordnete aus anderen Ländern manchmal konträre Interessen haben als die österreichischen Kollegen und ebenfalls auf ihre Wähler Rücksicht nehmen müssen.
profil: Falls Österreich im Transitstreit doch verlieren sollte: Gibt es wenigstens eine Garantie dafür, dass der Lkw-Verkehr durch die neue Wegekostenrichtlinie bald europaweit durch eine Maut verteuert wird und zumindest sensible Zonen besser geschützt werden?
Cox: Wegen des wachsenden Güterverkehrs werden wir in Europa eine neue, nachhaltige Politik für das Transportwesen entwickeln müssen. Was die Wegekostenrichtlinie betrifft, hat das Parlament schon einen Berichterstatter ernannt. Die erste Lesung wird noch in dieser Legislaturperiode erfolgen, also bis nächsten April.
profil: In Österreich verstärken sich Befürchtungen, dass kleinere Länder in der EU zunehmend von den Großen dominiert werden.
Cox: Ich teile diese Meinung nicht. Ich selber komme aus Irland, also einem Land, das kleiner ist als Österreich. Gerade mein Land hat in der EU eine wichtige Stimme. Kleinere Länder setzen zu Recht großes Vertrauen in die bisherige Gemeinschaftsmethode bei der Entscheidungsfindung. Für sie ist daher eine starke und effektive EU-Kommission und ein Europäisches Parlament genauso wichtig wie ihre Stimme im Ministerrat.
profil: Kleinere Staaten sollen künftig nicht mehr den halbjährlichen Vorsitz ausüben dürfen. Der soll von einem neuen Präsidenten des Rates, der wahrscheinlich aus einem großen Land kommen wird, übernommen werden.
Cox: Ja, es gibt die Sorge, dass dieser Präsident das Trojanische Pferd für ein Direktorium der Großen werden könnte. In der bisherigen Debatte zur Verfassung haben sich aber sehr viele dafür ausgesprochen, dass beim Machtdreieck Kommission, Rat und Europaparlament jede Institution gleichzeitig verstärkt werden muss und nicht ein Teil auf Kosten der anderen mächtiger werden darf.
profil: Ist der von Österreich angeführte „Zwergenaufstand“ um einen eigenen Kommissar wirklich berechtigt?
Cox: Da Österreich mit der Forderung, weiter einen eigenen Kommissar zu stellen, inzwischen viele Verbündete gefunden hat, bin ich fast sicher, dass sich Bundeskanzler Schüssel in dieser Frage durchsetzen wird. Der Konvent schlug eine reduzierte Kommission vor, aber auf der Basis einer gleichberechtigten Rotation. Das heißt, dass manche Länder – große wie kleinere – für eine Amtsperiode nur einen nicht stimmberechtigten Kommissar entsenden können. Aber nennen Sie mir einen Regierungschef, der freiwillig für so ein B-Team votieren würde. Der bleibt dann wohl nicht lange im Amt. Wenn aber jedes Land in der Kommission vertreten bleibt, besteht die Gefahr, dass die Kommission insgesamt an Einfluss verlieren könnte. Ich bin dagegen, dass ein Kommissar etwa für den Umweltschutz zuständig ist, ein anderer aber nur fürs Kaffeekochen.
profil: Beim Stabilitätspakt gibt es bereits eine Zweiklassengesellschaft. Kleinere Länder wie Österreich halten sich an das erlaubte Budgetdefizit, größere wie Deutschland und Frankreich verstoßen fast straflos gegen den Pakt.
Cox: Das erste Land, das eine gelbe Karte bekam, war Irland. Wir haben uns angestrengt und keine rote Karte bekommen. Genauso erging es Portugal. Danach gab es durch Deutschland und Frankreich einen anhaltenden Bruch der Regeln. EU-Finanzkommissar Pedro Solbes hat nun von Deutschland energischere Schritte gegen das Defizit gefordert. Sollte er Deutschland die rote Karte zeigen, wird er den vollen Rückhalt des Europaparlaments erhalten. Denn wir erwarten, dass die Kommission auch weiterhin der unparteiische Hüter der EU-Verträge bleibt.
profil: Sie haben vor kurzem erklärt, dass die Bürger Europas langsam von den Verfassungsdebatten genug hätten.
Cox: Aus den Debatten über das irische Referendum zum Nizza-Vertrag weiß ich, dass die Menschen an Übermüdung durch institutionelle Debatten in Europa leiden. Der normale Bürger erwartet Entscheidungen in wichtigen Fragen, von den Arbeitsplätzen über Umweltfragen bis hin zur Sicherheit. Wir müssen in Europa endlich diese ewige Nabelschau beenden, unsere endlosen Debatten über den Neuentwurf unseres Systems. Daher mein Appell: Beschließen wir eine Verfassung, die nicht gleich wieder reformiert werden muss, aber dann kümmern wir uns um die Themen, die die Bürger direkt betreffen.
profil: In welche Richtung entwickelt sich die Union?
Cox: Die EU wurde nicht für den Binnenmarkt oder zur Subventionsvergabe gegründet. Sie hat eine tiefere Bedeutung. Robert Schumanns Vision 1950 lautete: Versöhnung. Für unsere Generation stellt die Erweiterung einen solchen Akt der Versöhnung dar, der für Europa Stabilität bringen wird. Es geht um die Verankerung von Demokratie und Pluralismus. Es geht um Rechtsstaatlichkeit. Ich stimme jeden Tag für den Internationalen Strafgerichtshof und niemals für Guantanamo Bay. Ich bin stolz darauf, Europäer zu sein, auch beim Kioto-Protokoll, wo Europa den Kampf gegen die globale Erwärmung ernster nimmt als andere. Und ich bin stolz auf unser soziales Modell. Alle diese Werte stehen in unserer neuen Verfassung.
profil: Wie kann sich die EU gegenüber den USA durchsetzen?
Cox: Hier prallen zwei konträre Anschauungen aufeinander. Europa glaubt an den Multilateralismus, die USA setzen unilaterale Schritte. Nehmen Sie den Iran. Für George Bush ist er Bestandteil der Achse des Bösen. Die europäische Vermittlung hat den Iran jedenfalls näher an die Einhaltung der Verpflichtungen im nuklearen Bereich gebracht als die Ausgrenzung seitens der Amerikaner. Für Europa sind die transatlantischen Beziehungen wichtig. Aber wir müssen unseren amerikanischen Freunden sagen, ja zur Allianz, aber nein zur Unterwerfung. Wir haben unsere eigenen Grundwerte und verfolgen einen eigenständigen Weg.