Paulus Manker im Sommer-Gespräch

Paulus Manker im profil-Interview

Wahlkampf, Perfektion & Verstörungs-Pflicht

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profil: Herr Manker, die Hälfte aller Zeitungsmeldungen über Sie handelt von Ihren Launen. Liegt das an den Journalisten oder an Ihnen?
Manker: An mir, weil ich diese Gerüchte lanciere, damit die Leute Angst haben und ein bisschen höflicher zu mir sind. Außerdem schreibt jeder vom anderen Deppen ab. Sie brauchen nur einmal einen Unsinn fallen lassen, und er wird 140-mal wiedergekäut. Unlängst stand in einer Gesellschaftskolumne, ich hätte Angestellte Glasscherben mit den Händen aufwischen lassen und den Schauspielern verboten zu lachen. Offensichtlicher Quatsch.

profil: Glauben Sie, dass sich wirklich
jemand vor Ihnen fürchtet?
Manker: Teilweise ja, und das ist gut so. Leute sind ja oft wie Kinder. Wenn Sie mit ihnen vernünftig, freundlich und höflich reden, machen sie nicht, was sie tun sollen.

profil: Sind Sie böse, wenn sich jemand nicht fürchtet?
Manker: Nein. Wenn Sie dann einmal „Huuuhhh!!!“ machen, funktioniert es ohnehin. Letztes Jahr haben wir „Alma“ am Semmering gespielt. Die Leute sitzen in der Dekoration und dürfen vieles. Was sie nicht dürfen, ist schwätzen, rauchen und fotografieren. Ein paar Hallawacheln tun das trotzdem. Also habe ich jemandem, der auf Mahnungen nicht reagiert hat, die Brille weggenommen und bin auf ihr herumgetrampelt wie in den guten alten amerikanischen Polizeifilmen. Das stand dann in der Zeitung, und es gab auch einen Prozess. Aber ab dem Tag waren die Leute wie die Lamperln.

profil: Und läutende Handys werden beim Fenster rausgeschmissen.
Manker: Definitiv. Jeder meiner Schauspieler hat die strikte Anweisung, das zu tun – durchs geschlossene Fenster übrigens. Die Leute können bei uns herumgehen, sie können die Szene wechseln, sie genießen Freiheiten, die sie im normalen Theater nicht haben. Das ist ja Teil des Erfolges. Wenn sie aber das Stück und die anderen Zuschauer torpedieren, dann ist es aus. Dann wird eingeschritten.

profil: Ihre Mutter Hilde Sochor hat einmal erzählt, Sie hätten im Alter von sechs Jahren den Berufswunsch Raubmörder geäußert. Klingt plausibel.
Manker: Meine Mutter idealisiert mich.

profil: Nach anderen Gerüchten wollten Sie mit sechs Pensionist werden.
Manker: Das war ein Jahr später. Franz Molnár, der Autor von „Liliom“, wollte übrigens mit vier Jahren Hautarzt werden, das ist auch ganz gut.

profil: Wollen Sie nicht geliebt werden?
Manker: Oh ja!!! Deswegen ergreift man ja auch diesen Beruf. Ein Schauspieler ist eine Hure. Ich bin sogar eine Luxushure – und entscheide daher selbst, von wem ich mich ficken lasse!

profil: Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?
Manker: Niveau, Humor, Belastbarkeit. Ich bin nicht leicht zu ertragen.

profil: Mein Kollege Stefan Grissemann hat in profil geschrieben: „Es gibt nur eines, was der genialische Hitzkopf wirklich sein will: ein öffentliches Ärgernis.“
Manker: Ärgernis per se ist ja nichts Schlechtes, Verstörung ist sogar die Pflicht jedes Künstlers. Aber wenn ich eine Produktion wie „Alma“ leite und inszeniere und übersetze und spiele, bin ich selbstverständlich teamfähig.

profil: Sie haben sich für den Direktors-
posten im Volkstheater und später in der Josefstadt interessiert. Ihr Vater Gustav Manker war Volkstheater-Direktor. Wäre das wirklich ein Job für Sie?
Manker: Als mein Vater 1968 Direktor wurde und nach Hause kam, sagte er: „Jetzt als Direktor wird’s schwer sein, einen guten Charakter zu behalten!“ Das hat mir als Kind sehr imponiert.

profil: Würden Sie den Organisationskram wollen?
Manker: Organisieren ist meine heimliche Leidenschaft. Es hat fast eine sexuelle Komponente für mich, wenn etwas wirklich reibungslos funktioniert. Bei „Alma“ sind wir nur acht Leute, die alles schupfen. Dafür haben große Theater einen Riesenapparat. Wenn Sie ein Haus wie das Volkstheater haben, können Sie zum Beispiel sagen: „Ich hab eine Idee, übermorgen fangen wir an zu schreiben, nächste Woche haben wir Proben.“ Sie haben eine Struktur und Kartenverkauf und Abonnenten. Das habe ich alles nicht. Ich muss alles auftreiben, ausborgen oder erschnorren, Jede Schraube, jede Kerze, jeden Alkohol, jedes Essen. Auf Dauer ist das anstrengend. Man verbraucht viel Energie, bevor es überhaupt zum künstlerischen Akt kommt.

profil: Das Josefstadt-Publikum hätten Sie wohl ein bisschen erschreckt.
Manker: Theater ist immer noch eine sehr bürgerliche Form und wird – wie auch unser Stück – von großteils bürgerlichem Publikum besucht. Aber diese Leute gehen sehr weit mit, sind experimentierfreudig und neugierig – solange man ihnen nicht auf den Kopf scheißt.

profil: Aber den Wilhelm Tell im Auto wollen sie dennoch nicht.
Manker: Die würden schön schauen, wenn sie wüssten, wie zu Shakespeare’s Zeiten Shakespeare gespielt wurde: prall, obszön, derb. Shakespeare hat Julius Caesar nicht in der Toga gespielt, sondern in damals zeitgenössischem Outfit. Und bei Leonardo da Vincis „Abendmahl“ sitzen die Apostel in den Kleidern der Zeit von Leonardo am Tisch und trinken aus modernen Bechern. Gute Interpretation war immer zeitgenössisch. Man darf nicht tun, was das Publikum will, sondern man muss auf sich selber hören. Kunst kommt ja nicht von „befriedigen“, sondern „Kunst kommt von müssen“, hat Arnold Schönberg gesagt.

profil: Ist Theater für Sie eine politische Veranstaltung?
Manker: Ja, aber nicht parteipolitisch. Theater ist eine der letzten Oasen, wo noch etwas öffentlich kontrovers diskutiert werden kann. Claus Peymann war dies-
bezüglich wichtig. Da hatte in dieser Stadt jeder Taxifahrer und jeder Gemischt-
warenhändler eine Meinung zum Burgtheater, von mir aus auch eine spießige. Ich habe es höchst erfreulich gefunden, dass sogar irgendwelche Trachtenhändlerinnen Initiativen gründeten, um Peymann abzuwählen. Es gibt keine tollere Theaterstadt als Wien.

profil: Ein Ergebnis guter Kulturpolitik?
Manker: Die ist doch bei uns nicht vorhanden! Der letzte tolle Kulturpolitiker war vielleicht Viktor Matejka, und das war in den Fünfzigern. Der hatte noch eine
tiefe seelische Beziehung zur Kunst.

profil: Es gab nachher noch Ursula Pas-terk …
Manker: Ein vorstädtisches Missverständnis! Die einzige Zeit, in der sie Gutes geleistet hat, war als rechte Hand von Helmut Zilk.

profil: Rudolf Scholten?
Manker: Ein sehr feiner Mann mit Niveau. Und was mir bei ihm am besten gefallen hat, war, dass er nie prätentiös Dinge behauptet hat, von denen er nichts verstanden hat. Kulturstadtrat Mailath-Pokorny redet von Dingen, als ob sie ihm am Herzen lägen – dabei schlägt sein Herz gar nicht für die Kunst. Man darf solchen Leuten nicht über den Weg trauen. Sie sind Totengräber.

profil: Sie halten Politiker für Darsteller?
Manker: Aber für elendig schlechte. Das Kasperltheater, das uns die letzte Koalition beschert hat, beweist das doch. Und es wird zur Folge haben, dass natürlich wieder das Krokodil obsiegt!

profil: Es gibt mehrere Krokodile.
Manker: Richtig. Zum Beispiel die populistischen Spürhunde von der FPÖ, die genau wissen, wann eine Gesellschaft marod ist, und sich dann zum Aasfressen anschleichen. Mich freut, dass die Heide Schmidt wieder antritt. Die hat mir immer gut gefallen.

profil: Glauben Sie, dass Jörg Haider so böse ist, wie er tut?
Manker: Der ist ein Krokodil mit faulen Zähnen und Mundgeruch. Der wird sich – da verbürge ich mich dafür – fürchterlich blamieren. Das BZÖ ist eine Pimperlpartei.

profil: In Kärnten ist es stark.
Manker: Kärnten gehört ja nicht wirklich zu Österreich. Das ist ein kranker Wurmfortsatz. Oder, wie Gustav Mahler schon 1904 erkannt hat: „So entsetzlich stupid und hoffnungslos ist gewiss in ganz Europa kein Menschenschlag. Trostlos!“

profil: Wie gefällt Ihnen die Entwicklung in der SPÖ?
Manker: Die sozialdemokratische Bewegung hat ihre großen Ziele längst verloren, rudert schon seit Jahrzehnten herum und weiß nicht, was sie tun soll. Es war sehr lustig, als Gusenbauer, der ja ein Insider ist und es wissen muss, vor dieser SPÖ-Versammlung gesagt hat, das werde sicher wieder „das übliche Gesudere“.

profil: Gusenbauer hat Recht?
Manker: Definitiv. Der ist ja vif. Der weiß genau, wie mühsam diese Parteiversammlungen sind, wo jeder Floridsdorfer glaubt, er sei Rosa Luxemburg.

profil: Ihnen scheint die SPÖ am Herzen zu liegen.
Manker: Nein. Meine Familie war nicht sozialdemokratisch geprägt, eher sehr konservativ.

profil: Ihre Eltern waren ÖVP-Wähler?
Manker: Ich denke schon. Mein Vater war sogar Monarchist. Aber nicht in der Kunst. Auf der Bühne war er sehr fortschrittlich! Stellen Sie sich das vor: In den sechziger Jahren kriegt ein politisch Konservativer wie Gustav Manker die Direktion des rotesten Theaters der Republik, des Volkstheaters. Die haben gesagt: „Was der Manker wählt, interessiert uns nicht, aber er macht erstklassiges Theater.“ Und er machte tatsächlich die ersten Stücke von Turrini und Bauer und führte in den sechziger und siebziger Jahren das wildeste Haus in Wien. Das wäre heute völlig unmöglich. Wegen Qualität wird niemand mehr irgendetwas in unserem Land.

profil: Haben Sie einen Politiker kennen gelernt, der Sie beeindruckt hat?
Manker: Ja, Caspar Einem. Der ist nicht umsonst in der SPÖ nichts geworden.

profil: Wie gefällt Ihnen Werner Faymann?
Manker: Kenne ich nicht.

profil: Wilhelm Molterer?
Manker: Die ÖVPler sind alle ununterscheidbar. Klone. Robotschniks. Aus denen kommt doch kein wahres Wort heraus. Die kann man an einen Lügendetektor aus dem 17. Jahrhundert anschließen – und die Nadel wird auf „unwahr“ ausschlagen.

profil: Und die Grünen?
Manker: Die mochte ich natürlich aufgrund ihrer Inhalte immer. Ich habe für die sogar einmal Wahlwerbung gemacht. Das war alles so naiv! Natürlich ist man für Grün, wenn man sieht, wie weit es diese Bewegung geschafft hat – etwa in der Person von Al Gore, den ich auch zur Grün-Bewegung zähle. Ich habe meine Bewunderung für die deutschen Grünen immer auf die österreichischen übertragen. Jemand wie Joschka Fischer ist eine große Persönlichkeit, ich mag Jürgen Trittin, ich mag Renate Künast sehr, sehr gerne. Solche Leute fehlen uns, aber warum sollten die Grünen nicht mit einer zweiten Riege an einer Regierung teilnehmen? Die anderen treten doch auch mit viertklassigen Leuten an!

profil: Verfolgen Sie den Wahlkampf?
Manker: Mehr interessiert mich derzeit Amy Winehouse. Da bekommt Kunst endlich wieder diesen verwegen-romantischen Charakter des 19. Jahrhunderts von Baudelaire, Verlaine und später von den Surrealisten. Sie wird wie ein waidwundes Wild gejagt. Und unter dem Brennglas beobachtet man, wie dieser Mensch scheitert und zugrunde geht. Großartig!

profil: Das ist doch tragisch!
Manker: Sie ist eine tolle Künstlerin, hat eine wunderbare Stimme und führt ein völlig verwegenes Leben. Sie macht, was sie will – oder was sie muss, wenn es um Drogen geht. Das geht niemanden etwas an. Dem durchschnittlichen Spießer ist das natürlich too much. Aber wenn die einen Furz lässt, ist das besser als das gesamte Repertoire des Theaters in der Josefstadt! In solchen Sphären hat sich die Kunst zu bewegen! Unerreichbar, unberührbar, jenseitig. Bei uns ist man schon erschüttert, wenn einer einen Joint raucht. Winehouse kann ja nicht wie Maria Rauch-Kallat am heimischen Herd stehen und Fischstäbchen braten!

profil: Diese Leute werden nicht alt.
Manker: Wo steht denn, dass man alt werden muss? Wofür? Für wen? Nur damit man die Pensionen für irgendwelche Halbaffen zahlt? Ich will mein Leben genießen – und wenn es nur 40 Jahre dauert, dann dauert es eben nur 40 Jahre!

profil: Und das Publikum soll dann diese verwegenen Künstlerkerle bewundern, die den Tod nicht fürchten.
Manker: Die Leute bewundern doch den Künstler gar nicht wirklich, sie wollen sich mit ihm nur gemeinmachen, um ihm dann auf den Kopf zu scheißen. Sie sagen: „Picassos Taube – das kann mein kleiner Fritzi auch.“ Das Lustige ist, der kleine Fritzi könnte es auch, wenn man ihn nur dazu ermutigen würde, dass nämlich nur drei Striche eine Taube sein können oder dass die Omi zwei Nasen und fünf Augen hat. Aber wenn das Kind das dann malt, hört es: „Geh schau, Fritzi, die Omi hat doch nicht zwei Nasen, du bist doch ein Dummerl.“ Dabei ist das die Entdeckung des Kubismus!

profil: Wird was aus dem Versuch, die Antisemitin Alma in Jerusalem zu spielen?
Manker: Das haben wir nicht aufgegeben. Die Reise mit „Alma“ geht weiter.

profil: Die Kritiker gehen ja recht sorgsam mit Ihnen um.
Manker: Kennen Sie die Geschichte von Egon Friedell, der nach einer schlechten Kritik dem Redakteur einen Brief geschrieben hat: „Ich sitze gerade am stillsten Örtchen meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. In Kürze werde ich sie hinter mir haben.“