Pensionsreform: Der Pensionsschock

Geplante Harmonisierung stößt auf Widerstand

Drucken

Schriftgröße

Stefan Knafl, Obmann des österreichischen Seniorenbundes, hält die Gelegenheit für günstig. Fast 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages „wäre das ein Akt sozialer Gerechtigkeit“, findet er. Außerdem wird derzeit wieder viel über das Thema Pensionen geredet, da passt sein Anliegen gut.

Knafl hat sich in der jüngsten Debatte über die Pensionsharmonisierung mit einer besonders fantasievollen Anregung zu Wort gemeldet. Wenn die Regierung jetzt plant, die Bemessungsgrundlage für Kindererziehungszeiten höher zu bewerten, dann soll das seiner Meinung nach für alle Mütter gelten. Und zwar auch für jene, die vor dem 1.1.1956 ein Kind geboren haben – von der Pensionsreform also gar nicht betroffen sind. „Diese Frauen haben wesentlich zum Wiederaufbau Österreichs beigetragen“, argumentiert Knafl. Würden ihnen nun die Erziehungszeiten angerechnet, kämen sie, spät, aber doch, in den Genuss einer eigenen Rente.

Den Einwand, dass mittlerweile nicht nur die betreffenden Mütter, sondern teilweise auch schon deren Kinder in Pension sind, lässt Knafl nicht gelten. Er habe die Angelegenheit einmal mit dem Bundeskanzler besprochen, erzählt der Seniorenbund-Chef. „Wolfgang Schüssel hat gesagt, er wird das prüfen.“

Große Brocken. Zu Knafls Leidwesen muss befürchtet werden, dass der Bundeskanzler in den nächsten Wochen kaum die Muße haben wird, dieser Idee näher zu treten. Er dürfte mit den weniger skurrilen Details der Pensionsharmonisierung ausreichend beschäftigt sein. Von einem quasi fertigen Gesamtpaket (siehe Kasten links), als das Schüssel den Regierungsentwurf Anfang vergangener Woche präsentierte, kann nämlich keine Rede sein. Die größten Brocken haben die Verhandler bisher nicht einmal gestreift. Experten halten den zeitlichen Fahrplan – Beschluss im Herbst und Gültigkeit ab 1. Jänner 2005 – für ziemlich optimistisch.

Schon formiert sich der Widerstand, und er kommt keineswegs nur von der politischen Opposition. Auch die Freiheitlichen entdecken plötzlich Fehler im Konzept. Ausgehend von Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, werden im blauen Lager nun Änderungen bei der Schwerarbeiterregelung gefordert. Ein innerkoalitionärer Kleinkrieg wie bei der Pensionsreform 2003 bahnt sich an.

Hauptbetroffene der geplanten Harmonisierungsschritte sind aber die Beamten und damit die VP-dominierte Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD). Deren Chef Fritz Neugebauer forderte „nachhaltige Korrekturen“, und einige Vorsitzende von Teilgewerkschaften stellen jetzt schon Konsequenzen für den Fall, dass diesem Wunsch nicht nachgekommen wird, in Aussicht: „Ich bin keiner, der leichtfertig mit etwas droht“, sagt Gerhard Scheucher, Chef der Sektion Justiz im ÖGB, „ich hoffe noch immer auf Gespräche und Einsicht seitens der Bundesregierung. Wenn das nichts nützt, muss man sich allerdings etwas überlegen.“

Es sei nicht Sinn und Zweck, eine Harmonisierung zu verhindern, meint Karl Klein, Chef der Christgewerkschafter, er wolle aber „eine sozial verträgliche Harmonisierung“.

Kein Konsens. Eigentlich hatte die Regierung vorgehabt, den zweiten Schritt der Pensionsreform in größtmöglichem Konsens vorzunehmen. Monatelang war mit den Sozialpartnern verhandelt worden, um einen Kompromiss zu finden. Ein paar Herzenswünsche der Interessenvertreter wurden erfüllt – etwa jener nach einer besseren Bewertung von Kindererziehungszeiten. Doch am Montag vergangener Woche verabschiedete man sich trotzdem im Unfrieden: ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch und Arbeiterkammerpräsident Herbert Tumpel wollten dem Regierungsentwurf letztlich nicht ihren Segen geben.

Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, Mitglied im Verhandlungsteam der Regierung, kritisiert, dass ÖGB und AK nach dem Prinzip „Wenn du kein Haar in der Suppe findest, dann tu selbst eines rein“ agiert hätten. „Das schlechte Gewissen und der Argumentationsnotstand der Gewerkschafter waren in den letzten Tagen spürbar“, findet Bartenstein.

Ohne Zweifel wäre es etwa für Fritz Verzetnitsch äußerst schwierig gewesen, dem zweiten Teil der Pensionsreform zuzustimmen, nachdem er vor gut einem Jahr zu Massendemonstrationen gegen den ersten Teil aufgerufen hatte. Noch schwerer dürfte aber wiegen, dass wichtige Details mit den Betroffenen noch nicht einmal besprochen, geschweige denn ausverhandelt wurden. Wie die Pensionsharmonisierung 2004 genau aussehen und wie viel sie kosten wird, ist derzeit – trotz gegenteiliger Beteuerungen – nicht wirklich absehbar.

Der zentrale Punkt der Reform, für alle unter 55-Jährigen das gleiche Pensionssystem einzuführen, klingt zwar gut und ist in der Theorie auch quer durch die Parteien mehrheitsfähig. Doch in der Praxis bedeutet das vor allem für die Beamten eine Systemumstellung, die mehr als nur kosmetische Korrekturen erfordert.

Hohe Pension. Bisher verlief die Lebensverdienstkurve der Staatsdiener in den ersten Jahren ihrer Berufslaufbahn recht flach, um gegen Ende kräftig anzusteigen und dann in eine relativ hohe Pension zu münden. Eine Höchstgrenze beim Ruhebezug war nicht vorgesehen, dafür erhielten Beamte am Ende ihrer Berufslaufbahn auch keine Abfertigung. Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst fordert als Kompensation für die Harmonisierung unter anderem einen Abfertigungsanspruch oder zumindest ein Äquivalent sowie höhere Aktivgehälter. Eine faire Abgeltung sämtlicher Rechte würde pro Jahr rund 600 Millionen Euro kosten, sagt Walter Riegler, Vorsitzender der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer. Sollte die Bundesregierung in diese Richtung keine Akzente setzen, wäre das ein „perfider Trick, um die Vergangenheit ungeschehen zu machen“, meint Riegler.

Noch vor Beginn der Verhandlungen zwischen Regierung und GÖD erteilte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel solchen Begehrlichkeiten bereits eine Abfuhr: „Wo ist wirklich eine Ungerechtigkeit gegenüber der Privatwirtschaft? Ich sehe sie offen gestanden nicht“, sagte Schüssel.

Auch beim Pensionsalter bleibt der Regierungsentwurf Antworten schuldig. Bisher müssen weibliche Beamte bis 65 Dienst tun – fünf Jahre länger als Frauen in der Privatwirtschaft. „Wird das Pensionsalter auf 60 gesenkt, ist das EU-widrig. Denn das Europarecht verbietet Ungleichbehandlungen in neuen Systemen“, sagt der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal. Umgekehrt würde es dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, wenn die Beamtinnen nach der Harmonisierung bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten müssten.

Mehr als ein Schönheitsfehler ist auch, dass die Landes- und Gemeindebeamten – immerhin 70.000 der insgesamt 210.000 öffentlich Bediensteten – von der Harmonisierung bis auf weiteres nicht betroffen sind. Alois Guger, Pensionsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), steht dem Reformentwurf prinzipiell positiv gegenüber, schränkt aber ein: „Es ist mir unverständlich, dass die Regierung von Harmonisierung spricht, solange die Länder nicht eingebunden sind“.

„Destruktive Haltung“. Zu dieser ohnehin schwierigen Ausgangslage kommen jetzt noch Streitereien innerhalb der Koalition. Als Chefverhandler Wolfgang Schüssel den Entwurf selbstbewusst als „alternativloses Konzept“ vorgestellt hatte, war FP-Chefin Ursula Haubner noch stolz daneben gestanden. Doch seit Jörg Haider die Benachteiligung der Schwerarbeiter kritisiert hat, sind die blauen Reihen nicht mehr so fest geschlossen. FP-Generalsekretär Uwe Scheuch wirft Schüssel eine „destruktive Haltung“ vor. Der Kanzler solle „irgendwann aufhören, der FPÖ permanent über die Medien seiner Meinung nach unverrückbare Standpunkte auszurichten“.

Der kleine Koalitionspartner stößt sich daran, dass Schwerarbeiter für jedes Jahr, das sie vor dem 65. Geburtstag in Pension gehen, drei Prozent Pensionskürzung in Kauf nehmen sollen. Jörg Haider fordert nun, dass die Betroffenen „ohne gröbere Abstriche“ weiterhin früher aus dem Arbeitsprozess ausscheiden können – und wünscht sich Ähnliches auch gleich für die Exekutivbeamten im Außendienst. Falls die ÖVP auf stur schalte, so der Kärntner Landeshauptmann, werde es eben keine FP-Zustimmung zum Exekutivgesetz geben.

Dramaturgische Ähnlichkeiten mit der Debatte um die Pensionsreform 2003 sind wohl nicht ganz zufällig.