Pensionsreform

Pensionsreform: Harmonielehre

Harmonielehre

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So bibelfest ist Ernst Strasser doch nicht. „Der liebe Gott hat für die Erschaffung der Welt auch sieben Tage gebraucht“, sprach der Innenminister beim letzten Ministerrat vor Weihnachten. Da war klar, dass das heurige Jahr nach sechs Verhandlungstagen ohne Ergebnis in Sachen Pensionsreform enden würde. Die Rechnung machte Strasser ohne den lieben Gott: Der erledigte sein Werk sehr wohl in sechs Tagen – am siebten ruhte er.

Ausruhen dürfen über die Feiertage auch die Teilnehmer des runden Tischs: jene vier Regierungsmitglieder und vier Sozialpartner-Präsidenten, die im vergangenen Juni per Koalitionsbeschluss aufgefordert worden waren, „längstens“ bis Jahresende ein einheitliches Pensionsrecht für alle „zur Beschlussfassung“ vorzulegen.

Mit der großspurigen Ansage hatte sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zwar die Zustimmung der Blauen zur vorsommerlichen Pensionsreform abgekauft, an die enge zeitliche Vorgabe hatte indes nie jemand ernsthaft geglaubt. Als sich das Scheitern zuletzt abzeichnete, wurden zwar die Wortmeldungen der Minister immer cooler und die Kommentare der Opposition immer hämischer, doch das ganze „Schmierentheater“ (Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger über die runden Tische) war ohnehin nur mehr für die Öffentlichkeit gedacht.

Pulver verschossen. Denn im Hintergrund sind die Dinge mittlerweile in Bewegung geraten. Seit der Wiederaufnahme der politischen Gespräche im November wird in einer eigens eingerichteten 15-köpfigen Expertenkommission aus Ministeriumsvertretern, Sozialpartnern, Versicherungsmathematikern und Sozialrechtlern gerechnet und abgewogen. „Die politischen Kapos haben ihr rhetorisches Pulver ziemlich verschossen“, bemerkt ein Mitglied der Expertengruppe, „langsam geht es ans Eingemachte“.

Dank der Expertenberechnungen stellte sich heraus, dass die Konzepte von Regierung und Gewerkschaft gleichermaßen ungeeignet sind, das Pensionsrecht zu vereinheitlichen: Der ÖVP-Wunsch, in die Harmonisierung nur unter 35-Jährige einzubeziehen, gilt als nicht administrierbar, weil über Jahrzehnte zwei unterschiedliche Pensionssysteme aufrechterhalten werden müssten. Im ÖGB-Papier finden sich wiederum teils irreale Forderungen nach staatlich garantierten Pensionshöhen sowie einer Rücknahme der Pensionsreform 2003. Als Ausweg favorisieren sowohl die Mehrheit der Experten und seit kurzem sogar FP-Sozialminister Herbert Haupt das so genannte Sockelmodell: Per Stichtag (1.1.2005) würden alle Erwerbstätigen mit ihren bisherigen Ansprüchen ins neue System wechseln.

Dass sich die Kanzlerpartei so vor dem Paradigmenwechsel ziert, hat mehrere Gründe. Zum einen bedeutet ein Umstieg anfangs Mehrkosten fürs Budget. Zum andern wäre das VP-Modell gegen die schwarze Beamtenschaft leichter durchzubringen – die Zahl der betroffenen Pragmatisierten unter 35 ist gering. Schwerer wiegt das Finanzierungsargument, da die Gebietskörperschaften für ihre Bediensteten keine Pensionsbeiträge zahlen: Diese würden im Sockelmodell aber fällig. Für den Bund ist das ein budgettechnisches Nullsummenspiel, nicht aber für Länder und Gemeinden: Allein Wien rechnet schlagartig mit Mehrkosten von 120 Millionen Euro.

Schließlich fürchtet die ÖVP das Sockelmodell aus taktischen Motiven: „Wir haben im Sommer unter größten Mühen eine Pensionsreform für die über 35-Jährigen zustande gebracht. Das will sich der Bundeskanzler nicht wieder aufknöpfen lassen“, so ein VP-Sozialpolitiker.

Aber auch die SozialpartnerPräsidenten Fritz Verzetnitsch (ÖGB) und Christoph Leitl (Wirtschaftskammer) bewegen sich auf dünnem Eis. Verzetnitsch brachte mit Mühe die widerstrebenden Interessen der Teilgewerkschaften unter einen Hut. Kommt er den Beamten zu sehr entgegen, riskiert er den Konflikt mit dem ohnehin skeptischen Metallerchef Rudolf Nürnberger. Tut er es nicht, treibt er Beamtenchef Fritz Neugebauer in die Arme der ÖVP.

Taktieren. Christoph Leitls jüngster Schwenk – die Harmonisierung gar nur für berufliche Neueinsteiger – wird wiederum als Beschwichtigungstaktik gegenüber der eigenen Klientel interpretiert. Schließlich werden die Unternehmer am Ende nicht nur höhere Beiträge zahlen, sondern die Gleichschaltung bedeutet auch das Ende für lieb gewonnene Schlupflöcher im gewerblichen Sozialversicherungsrecht.
Wenn die Verhandlungen am 7. Jänner weitergeführt werden, bleiben zwei potenzielle Bündnispartner der Regierung weiter ausgeschlossen: SPÖ und Grüne. Dabei bliebe die Reform ohne Zustimmung der Roten mangels Verfassungsmehrheit nur ein Torso. Selbst aus eigenen Reihen tönt Kritik über die Einladungspolitik des Bundeskanzlers: „Bei so einem Monsterprojekt wäre es gescheit, an einem Strick zu ziehen“, kritisiert ein schwarzer Verhandler, „in Wahrheit liegen die Parteien gar nicht so weit auseinander.“