Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens An Faymann glauben

An Faymann glauben

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Alle von mir geschätzten Kommentatoren – von Christian Ortner zur Rechten bis Hans Rauscher zur Linken – setzen die Latte ihrer Erwartungen in die neue Regierung extrem niedrig: Alles, was über das blanke Scheitern hinausgeht, wäre ein Wunder. Wenn ich optimistischer bin, dann aus folgenden Gründen:

Erstens: In Ausnahmesituationen – gleich nach dem Krieg oder anlässlich des EU-Beitritts – hat die rot-schwarze Zusammenarbeit funktioniert. Die aktuelle Wirtschaftskrise ist eine Ausnahmesituation.

Zweitens: Werner Faymann wie Josef Pröll wissen, dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Wenn sie versagen, regiert Heinz-Christian Strache. Ich glaube an beider Selbsterhaltungstrieb.

Drittens: Pröll hat erfahren, dass Wilhelm Molterers Strategie, jeden Erfolg Alfred Gusenbauers zu verhindern, dazu geführt hat, dass die ÖVP noch tiefer als die SPÖ ­abgestürzt ist. Ich glaube an seine Lernfähigkeit.

Viertens: Die „Chemie“ zwischen Pröll und Faymann stimmt, und das ist manchmal wichtiger als die Übereinstimmung der Programme.

Fünftens: Die „Programme“ unterscheiden sich nicht so gravierend. In Wirklichkeit gibt es auf beiden Seiten nur vage Vermutungen, wie man der unausweichlichen Rezession begegnen soll. Die entscheidenden Weichen werden in Brüssel und Washington gestellt. Wenn Gordon Brown und Barack Obama erfolgreich sind, werden Faymann und Pröll Österreichs Erholung weder beflügeln noch behindern.

An sich ist die Übernahme des Finanzministeriums durch den Landwirt Josef Pröll in Zeiten wie diesen absurd, denn er bringt dafür weder Kenntnisse der Volks- noch der Finanzwirtschaft mit. Aber das galt auch für alle seine Vorgänger seit Stephan Koren, und doch haben die Beamten des Ministeriums immer recht brauchbare Budgets geschnürt, die von manchen Ministern (Hannes Androsch, Karl-Heinz Grasser) glänzend, von anderen weniger geschickt verkauft worden sind. Wahrscheinlich ist nur wichtig, dass der ­Finanzminister gute Beamte und gute Ratgeber hat. Man hätte sich vorstellen können, dass man Pröll solche Ratgeber als Staatssekretäre beigibt, aber die sind auf Sport und Außenpolitik spezialisiert. Doch selbst das kann sich als Vorteil entpuppen: Da alle drei keine Ahnung haben, aber nicht sonderlich eitel scheinen, werden sie den Beamten ­wenig dreinreden. Manche Kommentatoren bedauern, dass der einzige Unternehmer in der Regierung, Martin Bartenstein, dem Kammerfunktionär Reinhold Mitterlehner weichen musste.

Ich bedauere das nicht: Österreichs „Kammern“ verfügen über durchaus kompetente volkswirtschaftliche Apparate. Funktionäre der Bundeswirtschaftskammer (oder der Arbeiterkammer) zählen daher zu den wenigen Regierungsmitgliedern, die echte Sachkompetenz (einschließlich der Sachkompetenz ihrer Apparate) einbringen. Das ist fürs Regieren kein Schaden. Spektakulärer ist der Wechsel im Justizressort. Frau ­Bandion-Ortner hat den Vorteil unbestreitbarer Sachkompetenz und relativer politischer Unabhängigkeit. Sie löst mit Maria Berger allerdings eine kompetente, auch im Umgang mit Beamten und Richtern erfolgreiche Politikerin ab.

In einem Wirtschaftsunternehmen wäre das absurd, denn obwohl sie qualifiziert ist, muss sich Bandion-Ortner ­mindestens ein halbes Jahr einarbeiten. Doch offenbar gehört es zur Politik, dass Bewährung in einem Amt keinerlei Einfluss darauf hat, ob man es weiterhin behält, selbst wenn dieselben Parteien das Sagen haben.

Das gilt noch eindringlicher für Ursula Plassnik: Sie ­besitzt überall, wo es für Österreich wichtig ist, die ­allergrößte Wertschätzung und hat auch die Herausforderung einer Geiselnahme bravourös gemeistert. In einem normalen Land würde sie für ihre Leistung rundum gefeiert – in „Krone“-Land fiel sie Hans Dichand zum Opfer. Denn Werner Faymann konnte Onkel Hans nicht außer Kraft setzen und musste bei seinem Brief bleiben – und ­Ursula Plassnik konnte ihr Gewissen nicht außer Kraft ­setzen und ist bei ihrer Meinung geblieben, dass Volksabstimmungen in EU-Vertragsfragen grober Unsinn sind. Ich teile diese Meinung bekanntlich: Die Bevölkerung kann derartige Fragen beim besten Willen nicht beurteilen, weil sie weder die Zeit noch die Vorkenntnisse besitzt, sie ausreichend zu prüfen, und daher Gefahr läuft, das Opfer ­demagogischer Manipulation zu werden.

Es gehört deshalb zu den Sicherheitsmechanismen der repräsentativen Demokratie, dass das „Volk“ derartige Entscheidungen nicht unmittelbar im Wege einer Volksabstimmung, sondern mittelbar durch gewählte Volksvertreter trifft. Frau Plassniks Haltung ist daher eine Verteidigung der Demokratie gegen die Demagogie, und dafür verdient sie unter den gegebenen Umständen den allergrößten Respekt. Zumal ich mich an keinen österreichischen Politiker ­erinnern kann, der je aus Gewissensgründen auf ein Amt verzichtet hätte, das ihm bei etwas mehr Biegsamkeit erhalten geblieben wäre. Groteskerweise ist die Unterstützung von Faymann & Pröll durch die „Krone“ dennoch ein weiterer Grund, ihnen erfolgreiches Regieren zuzutrauen: In rauen Zeiten ist ­wesentlich, ob die Bevölkerung an den Erfolg der Regierung glaubt. Und Onkel Hans wird dafür sorgen, dass sie sich bei Werner Faymann auch dann noch geborgen fühlt, wenn es ziemlich kalt ist. Es müssen nur Fenster und Türen letztlich dicht halten. Und dafür sorgt, Gott sei Dank, die EU.

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