Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Die CIA, profil und ich

Die CIA, profil und ich

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Ich bin parteiisch: Während ich die Enthüllungen über die Zusammenarbeit Helmut Zilks mit dem CSSR-Geheimdienst mit Bedauern gelesen habe, weil Zilk mein Freund und in meinen Augen ein großer Wiener Bürgermeister war, habe ich die Enthüllungen über die Zusammenarbeit Otto Schulmeisters mit der CIA genossen, denn ich habe ihn zeitlebens für einen unglückseligen Chefredakteur der „Presse“ gehalten – sie hat sich erst jetzt zur Gänze von ihm erholt –, und seine Leitartikel waren mir unerträglich. Oft war ein Rätsel, was er überhaupt sagen wollte – aber immer sagte er es mit pathetischer Geste, verschachtelt und zitatenschwanger, damit ja niemand seine Bildung übersähe: Der Prototyp dessen, was man hierzulande einen „Publizisten“ im Gegensatz zu einem Journalisten nennt – man hält die Unverständlichkeit für Tiefgang.

Dass er NS-Propaganda verfasst hatte, wusste nicht nur die CIA, sondern die halbe Branche – profil hat es irgendwann erwähnt. Nur erweist das, dass er damit nicht erpressbar war. Dass er auch der CIA aus der Hand gefressen hat, erstaunt mich nicht, wenn ich mich an sein Verhältnis zur ÖVP erinnere. Trotzdem bin ich inmitten meines Lesegenusses plötzlich aufgeschreckt, und er hat mir ein wenig leidgetan. Aus egoistischen Motiven: Mit etwas Pech hätte eine profil-Geschichte wie seine auch mir gewidmet sein können.

Schulmeister war 1968 in die USA eingeladen – ich 1974. Meines Wissens vom State Department, aber die CIA war es ja auch bei Schulmeister nicht. Der Mann, der mich von der Einladung in Kenntnis setzte, war der klügste, sympathischste Gesprächspartner, den ich je an der US-Botschaft getroffen habe: Sohn des jüdischen Direktors des Budapester Stadttheaters der Vorkriegszeit und in irgendeiner kulturellen Funktion – gerüchteweise der Kopf der CIA.

Über die gleiche Einladung, so erzählte er mir, habe auch Hugo Portisch die USA bereist, und es sei ihr Sinn, unsere Kenntnis von Land und Leuten zu vertiefen. Man konnte die Orte auswählen, die man besuchen wollte. Ich wollte nicht nur in die Großstädte, sondern auch nach Little Rock, das damals im Zentrum von Rassenunruhen stand; und man konnte Gesprächspartner erbitten – ich erbat Top-Journalisten und Gewerkschafter. „Recherchieren Sie, was Sie wollen. Wir vertrauen darauf, dass Sie trotz mancher Missstände ein gutes Land vorfinden. Wenn nicht, haben wir Pech gehabt“, verabschiedete mich der von mir der CIA Zugeordnete.

Als ich ihm bei meiner Rückkehr erzählte, dass ich die Art und Weise, in der die USA die Rassentrennung bekämpften – etwa indem sie schwarze Frauen vor besser benoteten weißen Männern zum Medizinstudium zuließen, mit dem Ergebnis, dass schwarze Patienten sich nur ungern von ihnen behandeln lassen –, für „naiv“ hielte, gab er mir eine der weisesten Antworten, die ich je erhalten habe: „Glauben Sie nicht, dass alle großen Fortschritte der Menschheit nur auf naive ­Weise erzielt werden konnten?“

Wenn dieser Mann irgendwo ein schriftliches Urteil über mich abgegeben hat, dann ist es kaum viel anders als das über Otto Schulmeister ausgefallen: Auch ich war ein kalter Krieger, der den Kommunismus als Bedrohung empfand. Auch ich hielt Kuba für ein Unglück und nicht einmal den Vietnamkrieg für primär unanständig – nur für ungewinnbar. Auch ich wollte Österreich nie neutral, sondern innerlich klar aufseiten des Westens sehen und war heilfroh, dass die CIA und die NATO es auch dort gesehen haben. Auch über mich hätte die CIA schreiben können, dass ich aus Überzeugung ganz genau das schrieb, was sie lesen wollte.

Ich habe mich gefragt, was ich getan hätte, wenn mein Gesprächspartner mir, wie Schulmeister, „Material“ angeboten hätte. Er hat nicht, aber ich habe es ins Blatt gerückt, als es offenkundig einem Redakteur des profil angeboten wurde. Es stammte vom übergelaufenen Ersten Parteisekretär im Prager Verteidigungsministerium, Jan Sejna, und betraf die Aktion „Polarka“ – Aufmarschpläne des Warschauer Paktes für eine Aktion gegen Jugoslawien, die auch eine neuerliche Besetzung Österreichs vorsahen.
profil hat sie in einer Serie präsentiert – freilich mit ständigen, wie sich nachträglich herausstellte viel zu kritischen Hinweisen, dass es sich um ein reines Planspiel handle, wie jeder Generalstab es anfertigt. Nachträglich spricht viel ­dafür, dass der sowjetische Generalstab durchaus ernsthaft daran dachte.

Die CIA hatte guten Grund, die Veröffentlichung anzustreben: In Jugoslawien ereignete sich ein im Bericht als möglicher Anlass genannter Zwischenfall, und die NATO wollte dem Kreml klarmachen, dass „Polarka“ sie nicht überraschen würde. Auch wenn es mir direkt angeboten worden wäre, hätte ich dieses Material veröffentlicht. Und die CIA hätte das in ihren Akten als „Erfolg“ festhalten können.

Was also trennt mich von Schulmeister? Ich habe nicht auf Zuruf geschrieben und den CIA-Mann – leider – selten getroffen. Die CIA hat meines Wissens auch nur dieses eine Mal etwas „untergebracht“, wobei es freilich mit der nötigen Distanz wiedergegeben wurde – aber auch Schulmeister scheint nichts Falsches ins Blatt gerückt zu haben. Einziger fundamentaler Unterschied: Er scheint in einem Fall eine der CIA nicht genehme, richtige Information unterdrückt zu haben. Trotzdem glaube ich, dass man ihn vor allem als unglückseligen Chefredakteur der „Presse“ in Erinnerung behalten sollte.

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