Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Herausforderung Arbeitslosigkeit

Herausforderung Arbeitslosigkeit

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Die 301.000 Arbeitslosen und 50.000 in „Schulung“ Begriffenen sind erst der Anfang. Auch die 38.000 „Kurzarbeiter“ werden demnächst Arbeitslose sein. Die „Finanzkrise“ ist endgültig in die Krise der Güterproduktion übergegangen – in dem Ausmaß, in dem sie schrumpft, werden die Arbeitslosen mehr. Und dieses Ausmaß ist ein noch nie da gewesenes: Weltweit sank die industrielle Produktion in den letzten drei Monaten um 3,6 Prozent – in den USA um 4,4 Prozent. Im nahen Deutschland waren es 6,8 Prozent, in Japan zwölf Prozent, in Taiwan gigantische 21,7 Prozent. Aufs Jahr hochgerechnet wäre das in Japan eine Schrumpfung um 48 Prozent, also auf fast die Hälfte, in Deutschland um 27,2 Prozent, also um mehr als ein Viertel. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Jahresraten auch erreicht werden.

Der spektakulärste Teil dieser Produktionskrise, der der Autoproduktion, hat freilich schon vor der Finanzkrise begonnen und wurde durch sie nur verschärft: In den Ländern, in denen man sie auch bezahlen kann, gibt es einfach schon genug Autos. Die Kapazitäten der Kfz-Industrie waren darauf ausgelegt, Vollmotorisierung in den USA, in Japan und in Westeuropa herzustellen – die gibt es. Das bisschen Osteuropa und Russland, das jetzt dazugekommen ist, lastet die Bänder nicht aus. Im Wesentlichen werden nur mehr kaputt gefahrene Autos erneuert – die Kapazitäten sind überall um Häuser zu groß. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Haushaltsgeräten oder bei Unterhaltungselektronik nicht viel anders aussieht. Diese Überkapazitäten hätten auch ohne jede Finanzkrise abgebaut werden müssen, und allein daraus resultieren Massenkündigungen. Keine noch so große staatliche Hilfe kann daran etwas ändern.

Gäbe es den idealen, freien Markt, Europa wäre besser dran: Die maroden US-Giganten GM, Ford und Chrysler gingen ein, und die gesunden deutschen und japanischen Produzenten teilten sich ihren Markt und hätten vorerst womöglich nicht einmal Überkapazitäten. Aber auf dem real existierenden Weltmarkt wird die US-Autoindustrie staatlich gestützt, also wird auch die deutsche staatlich gestützt, also wird auch die japanische staatlich gestützt. Man steht einander im etwa gleichen Ausmaß aufgerüstet gegenüber – die Kapazitäten müssen trotzdem schrumpfen, und das Geld ist weg.

Lediglich innerhalb des deutschen Markts kann Kanzlerin Merkel versuchen, marktkonform zu agieren: Wenn sie Opel Finanzhilfe gäbe, schwächte sie die Position von VW, Mercedes und BMW, die ansonsten den bisherigen Marktanteil von Opel unter sich aufteilen könnten. Also wird sie es eher nicht tun, und man wird es bis Aspern spüren. Die Regierungen werden sich überlegen müssen, wie weit sie ihr Geld dazu verwenden, Unrettbares zu retten, statt neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eines ihrer Probleme besteht darin, dass sie auf jeden Fall ununterbrochen ihre Banken retten müssen, denn wenn der Geldkreislauf zusammenbricht, entspricht das dem Zusammenbruch des Blutkreislaufs – es gibt überhaupt kein Wirtschaftsleben mehr.

Ich glaube, dass eine Bad Bank der EU, die alle faulen Werte aufkauft, die einzige effiziente Lösung darstellt – ungleich billiger, als ständig riesige Summen in Bereitschaft zu halten. Dann könnte der Geldapparat endlich wieder funktionieren, und die Regierungen könnten sich der eigent­lichen Aufgabe zuwenden, die sie – wenn sie an Keynes glauben – endlich in großem Umfang in Angriff nehmen müssen: dem Erteilen von staatlichen Großaufträgen, die Arbeit schaffen.

Vernünftigerweise sollten es Großaufträge sein, durch die etwas geschaffen wird, das in der Folge Geld einspart oder jedenfalls unbestritten nützlich ist.
Häuser sanieren gehört sicherlich dazu, denn es spart in der Folge Energie – aber es wird zu wenig sein. Schulen bauen, um endlich einen Unterricht in ausreichend kleinen Leistungsgruppen zu ermöglichen, ist sicher nützlich – aber es braucht wirkliche Großprojekte: zum Beispiel ICE-Verbindungen zwischen allen Großstädten Europas – auf Österreich bezogen wenigstens zwischen Wien, Budapest und Prag. Das Wiener U-Bahn-Netz gehörte viel schneller ausgebaut, man sollte darüber nachdenken, ob nicht auch Graz und Linz eine U-Bahn brauchen können.

Ein wirkliches Beschäftigungsreservoir – eines der wenigen dauerhaften – ist die „Pflege“. Das Problem besteht darin, dass die Menschen, die sie brauchen, beziehungsweise deren Angehörige, sie sich nicht leisten können. Man muss daher Geld zu den Pflegebedürftigen transferieren, das heißt, die Pflegesätze weiter und weiter erhöhen und vor allem auch bewilligen.

Das ist im Moment nicht nur eine soziale Aufgabe, sondern es ist eine Maßnahme der Beschäftigungspolitik. Wenn man will, dass legal gepflegt wird, müssen die Pflegesätze erstens ausreichend hoch sein und kann man sich zweitens mit der Medizintechnik zusammentun: Es gibt bei Siemens Überwachungssysteme, die es gestatteten, eine Reihe von Privathaushalten von einer Zentrale aus zu beobachten und jeweils bei Bedarf eine Pflegerin vor Ort zu schicken, die dann auch noch Geräte benützen könnte, die den Pflegling in die Badewanne hieven oder umbetten. Auf diese ­Weise könnte der Pfleger oder die Pflegerin trotzdem mehr Zeit für ein Gespräch gewinnen. Es ist Zeit für ein bisschen Innovation seitens der Regierenden – höchste Zeit.

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