Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Jahr der Arbeitslosigkeit

Jahr der Arbeitslosigkeit

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Der „Blasenkatarrh“ der USA hat mit Eybl also das ­erste Opfer unter Österreichs Unternehmen gefordert. Weitere werden folgen, denn die Kfz-Zulieferindustrie ist in ­Österreich besonders stark: Als Bruno Kreisky seinerzeit mit dem Austro-Porsche drohte, erreichte er, dass deutsche ­Autokonzerne verstärkt bei österreichischen Unternehmen zukauften, und das bedingt nunmehr zwangsläufig, dass wir die Probleme der deutschen Autoindustrie verstärkt zu spüren bekommen. Die Folgen werden Kündigungen größeren Stils sein. Derzeit haben österreichische Unternehmen bei der Arbeitsmarktverwaltung die Rekordzahl von rund 85.000 Personen zur möglichen Kündigung im laufenden Jahr angemeldet. Es müssen in der Realität nicht ganz so viele werden – aber ebenso gut können es schon mit dem nächsten Termin deutlich mehr sein. Ich tippe eher auf das Zweite. Arbeitslosigkeit wird das zentrale Thema des Jahres 2009. Davon, wie sie dieses Thema bewältigt, hängt das Schicksal der Regierung ab. Im Moment plant sie, den Konsum durch eine spürbare Steuersenkung anzukurbeln, damit dieser ­erhöhte Konsum seinerseits die Wirtschaft vor scharfer ­Rezession bewahrt.

Ich hege an diesem Rezept mehrfach Zweifel. Erstens werden die erhöhten Kosten der Arbeitslosigkeit den Spielraum für die Steuerreform von vornherein erheblich vermindern, zweitens führen Steuersenkungen in einer Rezession nur begrenzt zu mehr Konsum. Denn in der Rezession neigen die Menschen – begreiflicherweise – zum Sparen: Gerade der Mittelstand und gar die „Wohlhabenden“, die entlastet werden sollen, werden das Geld in unsicheren Zeitläufen eher aufs Sparbuch legen, als mehr einzukaufen. Die sozial Schwachen, die es am ehesten sofort ausgäben, bekommen nichts dazu, weil sie sowieso keine Steuer zahlen. (Und weil die vernünftige Idee einer Negativsteuer seit Jahrzehnten auf unvernünftigen Widerstand stößt.) Ich glaube daher, dass die Steuersenkung weitgehend verpuffen wird, und es gibt dafür aus den USA und aus dem England der siebziger Jahre gute historische Beispiele.

Wer den wieder zu Ehren gekommenen John Maynard Keynes wirklich gelesen hat und nicht nur im Munde führt, weiß, dass er mit gutem Grund Investitionen in die Infrastruktur empfohlen hat, um einer Rezession zu begegnen: Staatsaufträge für den Bau von Eisenbahnen, Wasserwegen und Schulen oder Subventionen für bessere Wärmedämmung bringen das Geld auf viel direkterem Weg in die Wirtschaft als eine Steuersenkung. Und sie vermindern vor allem auf direktem Weg die Arbeitslosigkeit, denn sie sind beschäftigungsintensiv. Barack Obama geht in den USA denn auch diesen Weg, um der zu erwartenden Arbeitslosenflut zu begegnen. Die Länder der EU meinen sich freilich in einer wesentlich besseren Situation als die Amerikaner, und in gewisser Hinsicht sind sie das auch: Ihre Industrie ist ungleich moderner und leistungsfähiger. Aber zugleich ist es eine ungemein export­orientierte Industrie – und die Welt-Wirtschaftskrise wird die Exporte nicht nur in die USA, sondern auch in alle anderen Länder der Welt einbrechen lassen. Es werden überall in der EU Überkapazitäten sichtbar werden – und sich in Kündigungen niederschlagen.

Das zieht ein weiteres charakteristisches Risiko nach sich: punktuelle staatliche Intervention. Jedes Land wird dazu neigen, jenen Industrien finanziell unter die Arme zu greifen, die am meisten leiden und besonders viele Leute beschäftigen. Paradebeispiel: die deutsche Autoindustrie. In Wirklichkeit müsste die Wirtschaftskrise gerade dieser Industrie Anlass sein, sich zu redimensionieren: zum Beispiel, indem BMW sich mit Mercedes zusammenschließt oder VW zum Partner gewinnt, wie das in besseren Zeiten schon einmal angedacht war. Allen dreien durch das Streichen der Mehrwertsteuer zu helfen, wie Angela Merkel das will, ist sicher der falscheste Weg.

Das gilt natürlich auch für die USA: Die 17 Milliarden Dollar für die kaputte US-Autoindustrie sind verbranntes Geld. Die einzige Lösung kann – wenn überhaupt – nur darin bestehen, dass GM, Ford und Chrysler ihre ­Insolvenz nach Chapter 11 anmelden und auf diese Weise zu völlig neuen Arbeitsverträgen gelangen. Denn das Hauptproblem dieser Unternehmen besteht, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, nicht in erster ­Linie darin, dass sie viel zu lang Benzinfresser produziert ­haben – das lässt sich durch die Übernahme von Motoren aus dem Opel-Konstruktionsbüro vergleichsweise rasch ändern –, sondern darin, dass sie ein Vielfaches der Lohnkosten verzeichnen, die etwa Mercedes oder BMW an ihren US-Standorten haben. Unter den vielen Methoden, ein Unternehmen zugrunde zu richten, gibt es nämlich auch die der „betriebsspezifischen“ Lohnerhöhung in guten Zeiten: In diesen ­guten Zeiten haben die sehr starken, politisch sehr einflussreichen US-Automobilarbeiter-Gewerkschaften Gehälter und Sozialleistungen durchgesetzt, die in den folgenden ­mageren Jahren geradewegs in die Pleite führen mussten. Wenn GM, Ford und Chrysler diese Lasten los sind und sich zu einem einzigen Unternehmen zusammenschließen, hat auch die US-Autoindustrie vielleicht noch eine Chance. Arbeitslosenheere entstehen auf jeden Fall: entweder ­indem diese Unternehmen nach dem Verbrauch der 17 Milliarden – also demnächst – pleitegehen, oder indem sie ihre Gesundschrumpfung unter Chapter 11 in Angriff nehmen. Im Bau von Eisenbahnverbindungen wären die 17 Milliarden jedenfalls besser angelegt gewesen. Hätte zumindest Keynes gesagt.

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