Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Katholische „Grundfragen“

Katholische „Grundfragen“

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Wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der rätselt, wie anständige, intelligente Menschen – ich denke an Erhard Busek, Andreas Khol oder den Moraltheologen ­Michael Zulehner – einer Kirche angehören können, deren Oberhaupt einen Holocaust-Leugner heimholt und einen Bischof ernennen wollte, der im Hurricane Katrina eine Strafe Gottes sieht. Natürlich kann man diesen Absatz auch verständnisvoller formulieren, etwa wie der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg: „Der Papst wollte bestimmt kein anti­semitisches Zeichen setzen, sondern nur die katholischen Fundis wieder zurück in seine Kirche holen.“ (Der vom abtrünnigen Kardinal Lefebvre zum Bischof geweihte Richard Williamson wird vom Papst weiterhin nicht in diesem Amt anerkannt, sondern kann lediglich, wie drei andere Mitglieder der Pius-Bruderschaft, jetzt wieder Sakramente empfangen.) Und Benedikt wird wohl auch akzeptiert haben, dass Pfarrer Gerhard Maria Wagner (zwar kein Pius-Bruder, aber zweifellos ein „Fundi“) zuletzt auf seine Weihe zum Bischof verzichtet hat.

Aber macht das die Dinge sehr viel besser? Kann man sich mit einer Organisation identifizieren, deren Oberhaupt nicht in der Lage ist, zu erkennen, welche symbolische ­Wirkung von der Heimholung eines Richard Williamson ausgeht? Andreas Khol hat auch das zu entschuldigen versucht: Die Gremien, die den Beschluss des Papstes vorbereiteten, hätten ihm die notwendigen Informationen vorenthalten und ihn so ins offene Messer laufen lassen. Nehmen wir an, dass das stimmt: Wie katastrophal ist das höchste Amt der Kirche dann organisiert? Welche Gremien agieren dort? Offenbar solche, die Richard Williamson auch in bester Kenntnis seiner Haltung unbedingt heimholen wollen und denen der Antisemitismus der gesamten Pius-Bruderschaft kein Dorn im Auge ist.

Was schließlich Pfarrer Wagner betrifft, so hat Papst Benedikt sehr wohl gewusst, wes Geistes Kind er ist: Er schätzt diese Spezies rückwärtsgewandter Kirchenfunktionäre und will sie in hohen Ämtern sehen. Und letztlich kann ihm – so wie die Kirche organisiert ist – niemand Einhalt gebieten.

Das ist ein zentrales Problem: Spätestens seit dem polnischen Papst Johannes Paul II. werden solche Bischöfe ernannt und vor allem zu Kardinälen befördert, die Päpste wie Benedikt XVI. wählen, der Kardinäle ernennt, die seinesgleichen wieder wählen werden. Es ist nicht erkennbar, wie diese fatale Kette durchbrochen werden soll. Solange die katholische Kirche sich bewusst dazu bekennt, undemokratisch zu sein, müssen in ihr all die Probleme auftreten, die sich entwickelnde Gesellschaften veranlasst haben, undemokratische Herrschaftsformen abzulösen.

Der Salzburger Bischof Alois Kothgasser sieht die Kirche vor einer „Grundfrage“: „Soll die katholische Kirche gesundgeschrumpft werden, gleichsam auf eine Sekte, wo nur wenige, aber dafür linientreue Mitglieder dabei sind, oder soll sie die Kirche Jesu Christi bleiben, die Raum für Vielfalt bietet, offen ist und die Gesellschaft von innen her prägt?“ Für mich, der ich nicht gläubig bin, ist die Antwort einfach. Für Katholiken ist sie komplex: Die katholische Kirche schrumpft nur in Europa – weltweit (vor allem in Afrika und Südamerika) wächst sie. Dass „Öffnung“ ihr wirklich mehr Schafe zuführte, ist ungewiss.

Die evangelische Kirche bietet alles, was Khol, Busek oder die Plattform „Wir sind Kirche“ fordern: Frauen sind gleichberechtigt, Priester dürfen heiraten, Oberhäupter werden gewählt. Trotzdem schrumpft sie hierzulande nicht anders als die Kirche Roms. Vielleicht sehnen sich viele Menschen nach kritikloser Unterordnung? Vielleicht erweist sich das Ausmaß der Kirchenzuge­hörigkeit letztlich als eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung: In den Gesellschaften Afrikas oder Südamerikas hat vorläufig auch ein noch so „geschlossener“ Katholizismus seine Chance – in den entwickelten Gesellschaften des Westens könnte auch ein noch so „offener“ letztlich chancenlos sein.

Meine katholischen Freunde sagen mir, dass Unzulänglichkeiten der Kirche dem Kern ihres Glaubens nichts anhaben können: Es sei die Lehre Jesu, der sie sich unvermindert verpflichtet fühlen. Aber kann man wirklich darauf verzichten, Religionen an ihren Früchten zu messen? Immerhin war der Holocaust nur auf dem Nährboden des christlichen Antisemitismus möglich. Immerhin ist die jahrhundertelange Diskriminierung der Frau unmöglich davon zu trennen, dass einer der wichtigsten Kirchenlehrer, Thomas von Aquin, erklärt hat: „Die Frau ist ein Missgriff der Natur … körperlich und geistig minderwertig. Eine Art verstümmelter, verfehlter Mann.“

Kann man, angesichts einer solchen Vergangenheit und einer Gegenwart, in der Männer wie Williamson wieder Aufnahme in den Schoß der Kirche finden und Männer wie Wagner erste Wahl für Bischofsämter sind, wirklich davon sprechen, dass der Katholizismus die Gesellschaft humaner macht?
Das ist keine rhetorische Frage. Ich will den Pfarrer nicht missen, der Arigona Zogaj aufgenommen hat; ich will Frauen wie Ute Bock oder Männer wie Michael Landau nicht missen; ich weiß um die Leistung katholischer Priester in der Dritten Welt; und ich habe in der schlimmsten Phase meines Lebens Trost beim Seelsorger Reinhold Stecher gefunden. Vielleicht müsste man die Kirche so lange durchschütteln, bis das, was unten ist, nach oben kommt.

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