Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Laienhafte Zweifel an Keynes

Laienhafte Zweifel an Keynes

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Die Einrichtung einer „Bad Bank“ hat nach Langem eine ernsthaft positive Reaktion der US-Börsen provoziert, und das mit Recht: Die „faulen Kredite“ und „faulen Wertpapiere“, die allenthalben in den Tresoren lagern, sind nicht völlig wertlos, und es ist sinnvoll, private Investoren durch staatliche Zuzahlung dazu zu animieren, sie zu erwerben und zu verwerten.
Auch für die EU wäre das vernünftig. Es hat keinen Sinn, sich zu entrüsten, dass damit die Verluste der Banken sozialisiert werden, denn es gibt nun einmal kein Wirtschaftsleben ohne funktionierenden Geldkreislauf. „Moralische“ Auflagen kann und soll man machen: Eine Bank, die auf diese Weise von „Altlasten“ befreit wird, sollte weder verrückte Gehälter noch Boni zahlen dürfen. Letztlich sind diese Boni freilich ein Randthema im Kampf gegen eine Weltwirtschaftskrise, die der von 1929 in nichts nachsteht.

Man muss sich dazu nur noch einmal die Situation in den USA vor Augen halten: Die Autoindustrie kann nur massenweise Arbeitskräfte freisetzen, denn die eigentliche Ursache ihrer Krise ist die Sättigung des Automarkts. Zweitgrößter US-Arbeitgeber ist die Bauindustrie – auch sie kann nur massenweise Arbeitskräfte freisetzen, denn allenthalben stehen Häuser zum Verkauf. Größter Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich ist die Finanzindustrie, und die entlässt ­bereits seit Monaten. Das ist keine Krise, die man bis 2010 überwindet. Alle Hoffnung konzentriert sich daher darauf, dass das Rezept von John M. Keynes funktioniert, wonach Staatsaufträge Massenarbeitslosigkeit und damit den totalen Einbruch des Konsums verhindern.

Bei der Krise von 1929 ist das primär nicht gelungen: ­Indem Roosevelt die Staatsschuld von 23,4 Milliarden im Jahr 1932 auf 48,9 Milliarden im Jahr 1939 mehr als verdoppelte, vermochte er die Arbeitslosigkeit nur gerade von 25 Prozent auf 18,5 Prozent zu senken. Keynes’ Kritiker meinen, das sei nicht mehr als die zwangsläufige Erholung, die auf jeden Tiefpunkt folge. Keynes’ Verteidiger meinen, der dürftige Erfolg liege daran, dass Roosevelt seine Maßnahmen gegen den Widerstand der herrschenden Nationalökonomie und der Republikaner viel zu zögerlich gesetzt habe. Diese Situation haben wir derzeit auch. Wenn man an Keynes glaubt, dann ist Obamas Programm ein zögerliches.

Kann man an Keynes glauben? Roosevelts zögerlichem Deficit-Spending bis 1939 folgte ein gewaltiges Deficit-Spending bis 1945 im Wege von Rüstungsaufträgen. Dem entsprach die Zunahme der Staatsschuld: 1941 kletterte sie auf 55,3 Milliarden, und jetzt erst übertraf das Nationaleinkommen mit 103,8 Milliarden wieder die 87,3 Milliarden des Jahres 1929. Erst als die Staatsschuld 1943 auf 141 Milliarden angestiegen war, stieg das Nationaleinkommen auf 170 Milliarden, und im Jahr 1946 erreichte es 180 Milliarden, nachdem die Staatsschuld auf 270 Milliarden geklettert war. Gleichzeitig war, trotz heimkehrender Soldaten, Vollbeschäftigung erreicht. Aus diesen Ziffern würde ich Folgendes ablesen: 1. Wenn man riesige Schulden macht, erreicht man Voll­beschäftigung – das wissen wir auch aus der Ära Bush jr. 2. Es müssen immer größere Beträge aufgewendet werden, um immer kleinere Zuwächse im Nationaleinkommen zu ­erzielen. Offenkundig gibt es einen Punkt, an dem mehr Deficit-Spending nur mehr Defizit bedingt.

Wesentlich ist daher die Frage, ob der mit so großen Schulden erreichte Aufschwung sich in der Folge selbst trägt und über ein erhöhtes Steueraufkommen letztlich die Beträge wieder einspielt, die er gekostet hat.
Im Falle der USA kann kein Zweifel bestehen, dass sie nach 1945 weiterhin floriert und ihre Schulden verdaut ­haben. Allerdings unter zwei Voraussetzungen: 1. Es gab damals einen gewaltigen Nachholbedarf im Bereich des Konsums – den es mir derzeit eher nicht zu geben scheint. 2. Und die USA hatten durch den Krieg eine einzigartige Führungsposition innerhalb der Weltwirtschaft errungen: Alle Welt musste ihre Waren kaufen, weil nur sie genügend produzierten. Und niemand konnte ihnen die Herrschaft über die weltweit größten Ölvorkommen streitig machen. Man könnte argumentieren, dass vorwiegend diese Konstellation den USA ermöglicht hat, die gigantischen Staatsschulden zu verdauen.

Die Vorstellung, dass Deficit-Spending automatisch tolles Wirtschaftswachstum schafft, wird durch die Ära Bush jr. widerlegt: Er steigerte die Staatsschuld jährlich um durchschnittlich 7,8 Prozent – das Nationalprodukt wuchs nur um durchschnittlich 4,9 Prozent. Dass Krieg – wie scheinbar der Zweite Weltkrieg – nachhaltigen Aufschwung schafft, ist ebenfalls unwahrscheinlich: Schließlich hatte Bush im Irak und in Afghanistan gleich zwei Kriege zur Hand.

Ehe ich daraus meine Schlüsse ziehe, möchte ich festhalten, dass ich nichts von Wirtschaft verstehe. Mein laienhaftes Verständnis ergibt Folgendes: George Bush jr. hat das Rezept massiver Verschuldung zum Zweck eines wirtschaft­lichen Booms durch Jahre angewendet, und das Resultat war die gegenwärtige Krise. Gleichzeitig hat er das Rezept ­ex­tremen Deficit-Spendings durch Rüstung in gleich zwei Kriegen angewendet, und das hat abermals massiv zur ­gegenwärtigen Krise beigetragen. Aus beiden Gründen bin ich nicht absolut sicher, dass weiteres Deficit-Spending durch Barack Obama die Krise rasch beenden wird, auch wenn er das Geld zu guten Zwecken ausgeben will.

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