Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Schulden mit Schulden tilgen?

Schulden mit Schulden tilgen?

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Die jüngsten Zahlen vom Arbeitsmarkt dürften wohl die letzten Zweifel an der Schwere der aktuellen Wirtschaftskrise beseitigt haben: Wenn man bedenkt, wie sehr die Statistik durch Frühpensionierungen und Umschulungen geschönt ist und dass Jugendliche, die keine Chance auf Arbeit haben, und Ältere oder Frauen, die gar nicht mehr versuchen, Arbeit zu bekommen, ebenfalls nicht mitgezählt sind, kann man die wirkliche Arbeitslosigkeit getrost schon jetzt im zweistelligen Bereich ansiedeln. Um eines „optimistischen Wirtschaftsklimas“ willen müsste ich jetzt schreiben: Die von den USA und der EU ergriffenen Gegenmaßnahmen versprechen spätestens ab 2010 Besserung. Doch angesichts der marginalen Bedeutung dieser Kolumne darf ich realistisch bleiben: 2010 wird die Arbeitslosigkeit noch weit größer sein.

Nicht nur in der EU, sondern auch in den USA, an der Wiege (oder Bahre) des „(Neo-)Liberalismus“, wird als einziges Gegenmittel auf Keynes zurückgegriffen. Nur dass Keynes eher davon ausging, dass die Staatsaufträge Gelder nutzen, die sonst auf Sparkonten lägen. In den USA liegt aber nichts auf Sparkonten – alles, was der Staat an Defizit „spendet“, vergrößert ausschließlich sein Defizit beziehungsweise seine Auslandsschulden. Doch gerade die hohe Verschuldung ist es ja gewesen, die die Krise ausgelöst hat. Die US-Wirtschaft, die man jetzt via Schulden keynesianisch ankurbeln will, war ja durch Jahre via Schulden keynesianisch angekurbelt. Vielleicht bin ich zu blöd, aber ich verstehe den Unterschied von heute zu gestern nicht wirklich.

Zugegeben: Obama macht die Schulden vernünftiger und zu einem besseren Zweck: nicht um Kriege zu führen (die freilich nicht beendet sind), sondern um eine Steuersenkung, Sozialleistungen und Staatsaufträge in die Infrastruktur zu finanzieren. Die Steuerermäßigung hat es auch schon unter Bush gegeben: Sie hat die Reichen reicher gemacht und das Loch im Staatshaushalt vergrößert. Obamas nunmehrige Steuerreform müsste also eine extrem asymmetrische sein – sie müsste von oben nach unten umverteilen –, um keynesianisch zu wirken. Ich weiß nicht, ob das konservative Amerika (zu dem auch viele Demokraten gehören) das zulässt.

Wenn es das zulässt, wird ein großer Teil des mehr in den Taschen verbleibenden Geldes dazu verwendet werden, offene Schulden – etwa Hauskauf-Kredite – abzubauen. Das wird zwar sehr nützlich für das Bankensystem sein, aber sehr viel zusätzlichen Konsum und damit zusätzliche Arbeitsplätze wird es kaum schaffen. Diese Aufgabe kommt den Infrastrukturinvestitionen zu, und für die verbleibt, nach Abzug jener Beträge, die ins Finanzsystem und in die Steuerreform gesteckt werden, trotz der gigantischen Gesamtsumme gar nicht mehr so viel. Im Grunde stehen einander zwei wirtschaftswissenschaftliche Thesen unversöhnlich gegenüber: die eine, die da behauptet, dass ,,Deficit-Spending“ auch dann einen nachhaltigen Aufschwung bewirkt, wenn man, statt vorhandenes Spargeld zu investieren, alte Schulden vergrößert, und die andere (der ich in meinem Pessimismus eher zuneige), die da lautet: Große Schulden kann eine Nation nur abbauen, indem alle Beteiligten sparen – was eine lange, tiefe Rezession bedeutet. Ich hoffe dringend, Unrecht zu behalten. Und wahrscheinlich behalte ich auch Unrecht: Die USA werden es vorziehen, Geld zu drucken und eine massive Inflation in Kauf zu nehmen.

In Europa liegen die Dinge einerseits schlechter, weil ein immer schwächerer Dollar Exporte in die USA immer schwieriger macht – andererseits besser, weil wir die bessere Indus­trie besitzen und nicht, wie die USA, eine negative Sparquote aufweisen. (Auch wenn die privaten Haushalte in manchen Ländern – etwa Spanien – ebenfalls gefährlich verschuldet sind.) Es gibt also Gelder, die (neuerdings immer öfter sogar direkt, als Staatsanleihen) angespart sind und die die Regierungen durch „Deficit-Spending“ nutzen können.

Viele Banken haben ihr Geld – statt es als Kredite zu vergeben – sogar direkt bei der EZB angelegt. Wäre die EU eine funktionierende Union, so gäbe es daher jetzt ein gemeinsames EU-Investitionsprogramm. So aber besteht die EU leider nach wie vor aus lauter einzelnen Staaten, die vertreten, was sie für ihre nationalen Interessen halten. Insbesondere Deutschland will auf keinen Fall für die Probleme anderer Länder zahlen und hat sich Frankreichs Bemühen um eine gemeinsame Lösung erfolgreich widersetzt. Damit hat sich die EU nur gerade auf eine vage Koordination der nationalen Ausgaben einigen können.

Charakteristischerweise ist denn auch Österreichs Bemühen um eine gemeinsame Hilfe für die Staaten des ehemaligen Ostblocks auf der Strecke geblieben: Alle dort nicht engagierten Staaten stehen auf dem Standpunkt, dass die dort heftig engagierten Staaten ihre Probleme alleine ausbaden sollen. Dies, obwohl nur der ehemalige Ostblock wirkliches Wachstumspotenzial bietet und ein Zusammenbruch seiner Märkte eine Katastrophe für alle wäre. Österreich ist also von der unausbleiblichen Schwäche dieser Märkte massiv bedroht, ohne dagegen wirklich etwas unternehmen zu können. Alles, was es sonst tun kann, macht es dort am besten, wo das Geld so direkt wie möglich in die Wirtschaft fließt: Die Steuerreform ist das nicht, und die Verschrottungsprämie fließt eher in die falsche Richtung. Häuser sanieren und Universitäten renovieren passt weit eher.

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