„Männer haben einen Hang zum Schwanzvergleich“

Peter Turrini: „Männer haben einen Hang zum Schwanzvergleich“

Interview. Peter Turrini über sein neues Stück und die FPK

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Interview: Karin Cerny

profil: Wie haben Sie auf die Wahlniederlage der Kärntner Freiheitlichen reagiert? Wurde eine Flasche Champagner geköpft?
Turrini: Ich habe auf die niederösterreichische Art gefeiert: ­Grüner Veltliner. Meine Euphorie über diesen großartigen Wechsel in Kärnten wird wohl noch einige Flaschen andauern.

profil: Wie verstehen Sie dieses Wahlergebnis?
Turrini: Diese extrem rechte, in den Kärntneranzug gepresste Ideologie wird im vereinten Europa immer grotesker. Ein junger Kärntner, der Deutsch und Slowenisch spricht, hat doch heutzutage einen beruflichen Vorteil. Dass es in diesem Land zwei Sprachen und damit auch zwei Kulturen und Literaturen gibt, das ist doch ein Geschenk. Hoch lebe diese Ausgabe von Kärnten, Vielfalt statt Einfalt. Nur Zurückgebliebene hängen sich an Letztere.

profil: Erleben wir gerade das Ende des Rechtspopulismus?
Turrini: Ich hoffe, dass er zumindest in seiner dümmsten Ausformung, dieser Ab­lehnung von allem, was nicht dem eigenen Stallgeruch entspricht, vorüber ist. Unsere Welt ist doch über das Fernsehen und das Internet heute viel enger miteinander verbunden als noch vor zwei Jahrzehnten. Und noch etwas: Jahrelang redeten diese Leute von Ehre und Treue und Tradition und Anständigkeit und Recht, und jetzt sind sie fast durchgehend eine Bande von Rechtsbrechern.

profil: Mit dem ehemaligen Landeshauptmann Jörg Haider trugen Sie verbal heftige Kämpfe aus. Die aktuellen Politiker würdigen Sie kaum einer Stellungnahme. Warum halten Sie sich da so sehr zurück?
Turrini: Herr Dobernig, ein Landesrat, hat seinen kulturellen Horizont nie über die Schuhplattelei hinausgebracht. Bei Jörg Haider reichte das Kunstverständnis zumindest bis zur Seebühne, mit der er dann allerdings buchstäblich baden ging. Haider war intellektuell sicherlich interessanter als seine Epigonen, aber er war moralisch genauso verkommen. Aber das ist erledigt. Die Gerichte arbeiten ja derzeit eine Unschuldsvermutung nach der anderen auf.

profil: Sie definieren sich nach wie vor als Linken. Ist diese Position mittlerweile nicht politisch aufgeweicht?
Turrini: Nichts ist aufgeweicht. In Wahrheit geht es ungerechter zu denn je. Aber ich will Ihnen keinen politischen Vortrag halten, sondern etwas Persönliches erklären. Ich habe mich in dem Kärntner Dorf, in dem ich aufwuchs, schon früh als Außenseiter gefühlt. Mein Vater war ein Italiener, wir haben nicht zum Ortsverein gehört. Es gibt Fotos von mir als Fünfjährigen, da stehe ich in Lederhosen und schaue flehentlich und heimattreu in die Linse. Als Kind will man ja dazugehören und kein Fremder sein. Man will nicht am Rande stehen, man will mitmachen, aber das hat nicht funktioniert. Später fand ich an diesen Rändern Freunde, das waren auch Menschen, die keine Bewohner des Stammtischs waren.

profil: Wenn Ihnen die Rechten damals ein besseres Angebot gemacht hätten, wären Sie dort gelandet?
Turrini: Als Halbitaliener war ich ja artfremd, die wollten mich nicht. Aber gelitten habe ich an dieser Fremdheit schon sehr, und aus ihr habe ich später eine Haltung gemacht, eine Würde und einen Beruf.

profil: Mit Ihrem Stück „Rozznjogd“ wurden Sie 1971 schlagartig berühmt: Ein junges Paar legt darin auf der Müllhalde einen Seelenstriptease hin, bis die beiden für Ratten gehalten und erschossen werden. Hat es Sie damals begeistert, für wie viel Aufregung Theater sorgen kann?
Turrini: Natürlich! Zuerst wollte kein Verlag meine Stücke, und plötzlich bekam ich ein Telegramm von Gustav Manker, dem damaligen Direktor des Volkstheaters: Sie würden mein Stück inszenieren und ich solle auf die Probe kommen. Damals habe ich als Hilfsarbeiter in einer Bimssteinfabrik in Deutschland gearbeitet. Ich ließ alles liegen und stehen und bin sofort nach Wien geeilt. Auf der Probe fragte mich dann die Hauptdarstellerin, Dolores Schmidinger, ob ich nicht Lust hätte, anschließend mit ihr auf ein Glas Wein zu gehen. Ein Traum erfüllte sich: Die Theaterwelt entdeckte mich, und die Frauen erhöhten ihre Aufmerksamkeit.

profil: Bei der Premiere wurden Sie vom Publikum aber weniger freundlich behandelt.
Turrini: Das war ein Hexenkessel, Skandal beschreibt die Situation nur unzureichend. Ein Mensch riss die Krücke hoch und wollte auf mich einschlagen. Türen knallten, Zuschauer verließen lautstark das Theater. Trotzdem war ich glücklich. Ich wollte ja immer auf die Theaterbühne, und kein Orkan der Welt konnte mich von dort mehr wegfegen.

profil: Waren Sie später nicht enttäuscht über das Ausbleiben weiterer Skandale?
Turrini: Das Produzieren von Skandalen ist doch kein Programm. Ich hoffe, ich habe auf dem Theater mehr zu geben als Rumor. Aber damals war das Publikum diese neue Art von Theaterstücken, wie sie Wolfgang Bauer, Franz Xaver Kroetz und ich schrieben, einfach nicht gewohnt. Die wollten ihren Abonnentenschlaf pflegen, und plötzlich schoss in meinem Stück „Rozznjogd“ ein Schauspieler namens Franz Morak – der spätere Staatssekretär – mit dem Gewehr ins Publikum. Die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum wurde aufgehoben. Das hat die Leute sehr erschrocken. Als der Schrecken vorbei war, verlangten sie nach neuen und wilderen Dialektstücken. So entstand die Dialektmode, und ich habe fast nur noch hochdeutsch geschrieben.

profil: War es damals nicht einfacher anzuecken als heute?
Turrini: Die Grenzen und Tabus, die wir damals überschritten, würden heute nur mehr ein müdes Lächeln auslösen. Die nackte Brust von Frau Schmidinger war zu Beginn der 1970er-Jahre ein österreichweites Skandalon. Bei heutigen Inszenierungen ist es doch fast schon ein künstlerischer Leistungsnachweis, wenn Nackte herumrennen.

profil: Das ist ein beliebtes Klischee, wenn das Regietheater angegriffen werden soll. Tatsächlich hält es sich doch einigermaßen in Grenzen, wie viele Nackte man im Theater zu sehen bekommt.
Turrini: Da haben Sie Recht. Diese Mode ist von deutschsprachigen Bühnen in andere Länder weitergezogen. Ich habe ein Foto einer Aufführung meines Stücks „Alpenglühen“ aus Japan gesehen: Da war eine der Hauptfiguren splitternackt, obwohl das Stück im Hochgebirge spielt.

profil: Ihre Unzufriedenheit mit dem zeitgenössischen Theater legten Sie in Ihrer Rede zum Nestroy-Preis für Ihr Lebenswerk 2011 dar: Da beschwerten Sie sich, dass die heiligen Dichterworte von Regie-Stümpern und Dramaturgie-Zwergen verunglimpft würden. Sind Stücke wirklich so heilig?
Turrini: Sie wollen mir wohl durch die Distelblume sagen, dass ich ein gebenedeites Verhältnis zu meinen eigenen Worten habe. Sie irren! Ich arbeite monatelang an jeder Szene, jedem Satz, jedem Wort. Mein Vater war ein Holzschnitzer, ich bin ein Wortschnitzer. Ich sehe mich als Handwerker und nicht als unantastbares Schreibgenie. An einem Theaterabend sind viele beteiligt, Theater ist eben eine gemeinsame Kunst. Aber ich leide wie ein Schwein, wenn andere in meine Texte, die ich mit so viel Anstrengung und Schweiß geschrieben habe, einfach hineinschnitzen. Ist das so schwer zu verstehen?

profil: Wie darf man sich Ihre Zusammenarbeit mit Regisseuren denn vorstellen?
Turrini: Bevor es zur Stückablieferung kommt, führe ich mit den Regisseuren meiner Uraufführungen sehr lange Gespräche. Mit Herbert Föttinger, der mein nächstes Stück „Aus Liebe“ in der Josefstadt uraufführen wird, debattiere ich dar­über seit drei Jahren. Wir verunsichern uns gegenseitig und sind mit nichts zufrieden. Und da sagen Sie mir, ich hätte ein heiliges Verhältnis zu meinen Dichterworten. Herbert Föttinger ist ein sehr leidenschaftlicher und cholerischer Charakter, der ruft schon um neun Uhr Früh an, hält sich erst gar nicht mit einem Morgengruß auf und argumentiert mit unmorgendlicher Lautstärke gegen eine Szene, die ich ihm am Vortag geschickt habe. Manchmal ist er auch euphorisch, und manchmal nehme ich seine Einwände an. Bei „Aus Liebe“ waren es am Ende siebenunddreißig Fassungen. Und dann kommt nach der Uraufführung ein Regisseur, der mein Stück an einem anderen Theater spielen will, und sagt: Da muss ich noch andere Texte hineincollagieren. Und das soll ich hinnehmen?

profil: Ist es nicht langweilig, wenn Regisseure Ihre Stücke genauso inszenieren, wie Sie sich das daheim am Schreibtisch vorgestellt haben?
Turrini: Ich habe noch keines meiner Stücke so auf der Bühne gesehen, wie es sich in meiner Fantasie abgebildet hat. Ich schätze es sehr, wenn Regisseure mich mit ihrer Vision einer Geschichte überraschen. Ich habe zwei Stücke von mir inszeniert, und es war sehr langweilig, mir selbst zu begegnen, ohne jede Irritation. Das ist Onanie. Mich interessiert kreative Ausein­andersetzung, das Denken der anderen. Das ist doch auch in der Liebe so: Man verliebt sich doch nicht in seine eigene Vorstellung von jemandem, sondern in das Überraschende. Ohne fantasievolle und irritierende Regisseure gäbe es mein Theaterwerk gar nicht. Regieführen ist doch ein schwerer Beruf, aber Dichten ist es auch. Warum wollen an deutschsprachigen Theatern Regisseure mehr und mehr den Dichtern die Arbeit wegnehmen? Spielt sich hier noch eine ästhetische Auseinandersetzung ab oder schon ein Machtspiel?

profil: Regisseure wie Frank Castorf oder Nicolas Stemann suchen sich ohnehin Texte, die von der Form her offener sind als Ihre Stücke.
Turrini: Sie suchen sich vorwiegend Texte, von denen sie wissen, dass sie keine Probleme damit haben. Entweder weil die Autoren schon lange tot sind und die Schutzfristen abgelaufen sind, oder weil es jüngere Autoren sind, die sich alles gefallen lassen müssen, damit sie überhaupt gespielt werden. Da an deutschen Theatern vom Feuilleton vor allem die Verhaltensauffälligkeit belohnt wird, werden eben fünf Shakespeare-Stücke zu einem vermanscht.

profil: Shakespeare wurde über die Jahrhunderte sicher oft genug „werktreu“ inszeniert, falls es so etwas überhaupt gibt. Vielleicht wären Sie in ein paar hundert Jahren ja auch froh, wenn jemand den ganzen Turrini an einem Abend inszenierte.
Turrini: Da muss ich Ihnen zustimmen. In ein paar hundert Jahren werde ich mich sehr darüber freuen.

profil: Regisseur Nicolas Stemann erwiderte in profil auf Ihre Nestroy-Rede, Ihre Stücke hätten einfach nicht mehr die Kraft, zu irritieren, zu verstören und Regisseure herauszufordern.
Turrini: Diese Feststellung muss man sich gefallen lassen und darüber nachdenken. Aber ich gebe auch ihm einen Gedanken mit auf den Weg: Kann es nicht sein, dass ein Regisseur schlicht und einfach vor dem Text versagt? Und kann es nicht auch sein, dass die von mir angesprochene Machtfrage am Theater in die entscheidende Runde geht: Je mehr man andere entwertet, desto höher steigt der eigene Wert. The winner takes it all. Das ist doch Kapitalismus pur, auch wenn es sich als ästhetische Debatte tarnt.

profil: Am Wiener Schauspielhaus beispielsweise passiert aber genau das Gegenteil: Autorinnen und Autoren arbeiten im Dialog mit Schauspielerin und Regisseuren.
Turrini: Und das finde ich richtig so. Was ich weniger gut finde, sind diese Schreibwerkstätten, diese Dramenwettbewerbe, wo man junge Autorinnen und Autoren wie die Hasen auf die Rennbahn schickt mit dem Versprechen: „Einer wird durchkommen.“ Und dann finden die Aufführungen am Dachboden der Theater statt.

profil: Viele junge Autorinnen und Autoren sagen wie Elfriede Jelinek: Macht mit meinen Texten, was ihr wollt.
Turrini: Ich kenne Elfriede Jelinek schon sehr lange und erinnere mich an verzweifelte Telefonate bei der Uraufführung ihres „Sportstücks“. Ich denke, sie hat den Spieß einfach umgedreht, weil sie nicht die Kraft hatte, dagegen anzukämpfen. Ich bleibe auf jeden Fall dabei, dass die Sprache des Theaterschreibers kein willkürlich verfügbares Gut ist. Warum ich mich in dieser Frage wie der letzte Mohikaner aufführe? Die Sprache befindet sich doch – weit über das Theater hinaus – auf dem Rückzug. Wenn Sprache jenes Gefäß ist, in welchem das Erinnern, das Denken, das Lieben aufbewahrt wird, dann rinnt dieses Gefäß gerade aus. Alles wird kürzer, blöder, SMS-artiger. Dagegen müssten doch Regisseure und Autoren miteinander antreten.

profil: Wenn Stemann vor Ihrer Tür stünde, würden Sie ihn abweisen?
Turrini: Keineswegs. Ich habe zwei Inszenierungen von ihm gesehen und war beeindruckt. Dass er im profil gegen mich polemisiert hat, geht völlig in Ordnung. Die Sprache seiner Polemik aber war ein Misthaufen, grauenhaft geschrieben! Wenn er dieses Militärdeutsch in meine Stücke hineinbringen würde, hätte er meine Sympathie gleich wieder verspielt.

profil: Ihre Stücke sind oft getragen von einer übergroßen Liebe zu Ihren Figuren. Kommt Ihnen das nicht manchmal selbst ein bisschen kitschig vor?
Turrini: Kitsch ist ein Teil des Menschen, auch bei Ihnen und bei mir, und das bringe ich auf die Bühne. Ich liebe ja meine Figuren, ich möchte sie möglichst wahrhaftig darstellen. Warum sollte ich dabei ausgerechnet den Kitsch aussparen?

profil: Hat Shakespeare seinen Richard III., seinen Shylock wirklich geliebt? Das sind doch ziemlich abgründige Figuren.
Turrini: In meinem neuen Stück „Aus Liebe“ geht es um einen Mann, der mit einer Axt seine Familie tötet. Natürlich liebe ich diesen Mörder nicht, aber trotzdem möchte ich ihm nahekommen. Das kann ich nicht, indem ich mich mit moralischen Vorstellungen und einer zynischen Haltung von ihm abwende. Mich faszinieren Menschen, auch die bösen. Meine Neugier hat auch etwas mit Gier zu tun. Ich will unbedingt wissen, was in der menschlichen Seele los ist.

profil: „Aus Liebe“ ist ein irritierender Titel für ein Stück über Amoklauf.
Turrini: Natürlich gibt es Menschen, die aus Raffgier oder anderen niedrigen Motiven töten. Aber es gibt auch gute Menschen, die fürsorglich zu ihrer Frau und zu ihren Kindern sind und diese dann plötzlich umbringen. Warum? Letztlich bin ich an der Antwort gescheitert. Die Stückfassungen gerieten entweder zu sehr in die Nähe der Psychologie oder der Kriminalstory. In der Letztfassung versuche ich mich dieser Tat von der Peripherie aus zu nähern. Ich beschreibe den Tagesablauf des Mörders, vom Frühstück bis zur Einlieferung in das Strafgefangenenhaus.

profil: Keine Ihrer Figuren hat eine Perspektive, weder im Job noch privat. Ist das auch ein Stück über die aktuelle Wirtschaftskrise und neoliberale Arbeitsverhältnisse?
Turrini: Ja, so ist es: Wir leben in einer mörderischen Gesellschaft. Der Boden unter unseren Füßen schwankt immer mehr. Alle Sicherheiten lösen sich auf, in den Beziehungen und im Beruf. Wir hecheln nur noch.

profil: Sie lassen auch den „lieben Gott“ auftreten, der allerdings eine traurige Gestalt ist und in der U-Bahn Kunststückchen vorführen muss.
Turrini: Der liebe Gott ist wirklich ein armer Teufel. Es tut mir ja leid, dass ich ihn so zeigen muss, wo ich doch in meiner Kindheit ein Ministrant war und viel Weihrauch geschluckt habe. Aber der liebe Gott hält auch nicht, was er einmal war. Und der Papst schon gar nicht. Die Letzten, die nicht in Pension gehen konnten, waren die Dichter, die Huren und die Päpste. Und jetzt bleiben nur noch die Huren und die Dichter übrig.

profil: Sie denken also nicht daran, in den Ruhestand zu treten?
Turrini: Kann ich nicht, sonst falle ich in den Abgrund. Ich halte mich an meiner rostigen Schreibmaschine fest und an meiner Kollegin Silke Hassler. Wir streiten nie über Alltagsfragen, aber ständig über Literatur. Mit Frauen kann man ohnehin besser streiten als mit Männern, das sieht man ja auch an unserem Gespräch.

profil: Wieso denn?
Turrini: Frauen sind interessanter. Männer haben einen Hang zum Schwanzvergleich. Das war schon in der Schule so, wir haben unter der Bank mit dem Lineal gemessen und geprahlt. Das ist auf Dauer nicht sehr ergiebig.

Infobox I
Warum läuft Herr W. Amok?
In Peter Turrinis jüngstem Drama ­eliminiert ein Axtmörder seine ­Familie – „Aus Liebe“.
Bei einem Amoklauf stellt sich zwangsläufig die Frage: Was waren die Motive des Täters? Turrini verlagert in seinem Stück „Aus Liebe“ die individuelle Schuld ganz ins Gesellschaftliche. Warum Michael Weber seine Frau und sein Kind mit der Axt erschlägt, erfahren wir zwar nicht, dafür beobachten wir überforderte Polizisten, die durch Burn-out gefährdet sind, eine einsame Witwe, die keine Ansprache mehr hat und im Café Fremde belästigt, einen Baumarktverkäufer, der im Job degradiert wurde. Sogar „der liebe Gott“ gleicht einem Sandler. „Aus Liebe“ wird am 16. Mai im Theater in der Josefstadt in der Regie von Herbert Föttinger uraufgeführt werden.

Infobox II
Wortgefechte
Was dürfen Regisseure und Dramaturgen an den Stücktexten, mit ­denen
sie arbeiten, ändern? Turrini polemisierte, Regisseur Nicolas ­Stemann hielt ­spöttisch dagegen.
Anlässlich der Verleihung des Nestroy-Preises 2011 für sein Lebenswerk kritisierte Peter Turrini, Regisseure und Dramaturgen würden in Stücke vollkommen willkürlich eingreifen. Der Beitrag des Dramatikers würde „entwertet und verunstaltet“, weil jeder „am Theater, der einen Bleistift halbwegs fest in der Hand halten kann, in die Stücke hineindichtet, was ihm so einfällt“. Der deutsche Regisseur Nicolas Stemann veröffentlichte im Theater Garage X und in profil eine Replik: Respekt könne man nicht per Urheberrecht einklagen. Die ursprünglichen Impulse gingen immer von Autoren aus, sie würden das Theater zu neuen Wegen zwingen und herausfordern. Stemann höhnte: Auch wenn Turrini längst nicht mehr dazu in der Lage sei, werde es „immer wieder Autoren geben, denen es gelingt, das Theater nachhaltig zu stören, zu verstören, zu fordern“.

Zur Person
Peter Turrini, 68, wurde in St. Margarethen in Kärnten
als Sohn einer Steirerin und eines ­Italieners geboren, lebt heute im nieder-österreichischen Kleinriedenthal. Mit provokanten Heimatstücken wie „Rozznjogd“ (Wiener Volkstheater, 1971) und „Sauschlachten“ (Münchner Kammerspiele, 1972) wurde er bekannt, mit gesellschaftskritischen Dramen wie „Die Minderleister“ (1988, Akademietheater) oder „Tod und Teufel“ (1990, Burgtheater) prägte er später die Ära Peymann.

Foto: Philipp Horak für profil