Pius-Bruderschaft unter Zugzwang

Pius-Bruderschaft unter Zugzwang: Fundamentalisten von Papst in Falle gelockt

Fundamentalisten von Papst in Falle gelockt

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Von Emil Bobi

Pater Helmut Trutt, Distriktsoberer der „Pius-Bruderschaft“ Österreichs, sitzt in einem Besprechungszimmer auf Schloss Jaidhof im tief verschneiten Waldviertel und wählt seine Worte mit Bedacht. Nun, da die Gemeinschaft in Gefahr sei, trete er für ein diplomatisches Stillhalten ein, obwohl das hohe Recht der freien Meinungsäußerung davon betroffen sei. Gemeint ist sein Pius-Bruder, der Brite ­Richard Williamson, einer jener vier „Bischöfe“, die 1988 von Ordensgründer Marcel Lefebvre gegen den Willen Roms zu Bischöfen geweiht und deshalb vom Heiligen Stuhl gemeinsam mit Lefebvre exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen worden waren. Am 21. Jänner 2009 erging ein überaus brisantes Dekret von Giovanni Batista Re, dem Chef der Bischofskongregation, mit dem entscheidenden Satz: „Aufgrund der Fakultäten, die mir vom Heiligen Vater Benedikt XVI. ausdrücklich verliehen wurden, erlasse ich kraft dieses Dekretes den Bischöfen Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galaretta die Exkommunikationsstrafe ­latae sententiae …“

Fast zeitgleich hatte Williamson dem schwedischen Fernsehen in einem Interview seine „persönliche Meinung“ zu Fragen des Holocaust anvertraut, für die ihm bei einer Einreise nach Deutschland die Verhaftung droht: Gaskammern könne es gar nicht gegeben haben, weil die genannten Giftgase viel zu gefährlich für die Betreiber der Konzentrationslager gewesen wären; Antisemitismus sei nur dann schlecht, wenn er mit Unwahrheiten arbeite.

Der internationalen Entrüstung folgte eine entschuldigende Klarstellung des Papstes, zahlreiche katholische Bischöfe zeigten sich bestürzt. Nicht nur über die antisemitischen Äußerungen Williamsons, sondern auch über den Schritt des Papstes, dessen Exkommunikation zurückzunehmen. Sogar die Pius-Bruderschaft signalisierte, die Meinung ihres Mitbruders nicht zu teilen. Freitagabend wurde der Druck für Williamson so stark, dass er sich schriftlich beim Papst für seine „unnötigen“ Äußerungen entschuldigte.

Komplexe Strategie. Kirchenkritiker werfen dem Papst vor, den Weg zurück ins Mittelalter zu suchen, weil die Pius-Brüder Ewiggestrige seien, „christliche ­Taliban“, für welche die Kirchenöffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils ein Werk des Bösen sei, das „den Rauch Satans in die Kirchen eindringen“ habe lassen. Tatsächlich findet Pater Trutt, dass man das Bild vom Rauch des Satans diskutieren müsse. Sicher sei, dass die große Kirchenkrise und der Verfall des Glaubens innerhalb der Kirche seinen Ursprung in den „Aufweichungen des Glaubens durch das Zweite Vatikanische Konzil“ finde.

Doch qualifizierte Kirchenexperten erkennen in der „Versöhnung“ des Papstes mit der Pius-Bruderschaft eine komplexere Strategie. Als eines der Hauptziele seines Episkopats gilt die Versöhnung mit den orthodoxen Ostkirchen, die in der Vergangenheit gern suggeriert haben: Was wollt ihr von uns, wenn ihr nicht einmal mit euren eigenen Gruppen könnt? Der Kirchenrechtler Alexander Pytlik etwa registriert nach dem Schachzug des Papstes „zustimmendes Nicken aus dem Osten“.

Was die Pius-Brüder selbst betrifft, so habe der Papst mit seinem „einseitigen Akt der Barmherzigkeit“ den Ball auf gerissene Weise den ungehorsamen, altchristlichen Fundamentalisten zugespielt und diese so in geradezu existenziellen Zugzwang gebracht. Unter­werfen sie sich jetzt nicht dem Papst, stellen sie sich selbst endgültig ins Abseits und müssen eine massive ­Abwanderung ihrer Anhänger befürchten, welche die Pius-Bruderschaft wie ihr Gründer Lefebvre als Notlösung sehen und nicht als „Ersatzhierarchie“.

Denn aufgehoben wurde nur die Exkommunikation, die einzig wegen der unerlaubten Bischofsweihe Lefebvres ausgesprochen worden war. Sowohl die vier wieder aufgenommenen Bischöfe als auch die rund 500 weltweit agierenden Pius-Priester sind weiterhin – nunmehr innerhalb der Kirche – suspendiert. Die inhaltlichen Differenzen bleiben aufrecht. Giovanni Batista Re in seinem Dekret: „Die offenen Fragen“ müssten „in notwendigen Unterredungen mit den Organen des Heiligen Stuhls“ vertieft werden, um zu „einer vollständigen und zufrieden stellenden Lösung des Anfangsproblems“ zu gelangen.

Was das heißt, haben viele katholische Geistliche zuletzt formuliert: „Die Pius-Brüder müssen das Zweite Vatikanische Konzil anerkennen, um voll in die Kirche zurückkehren zu können.“ Doch da gibt es auch weltliche Probleme: Die Pius-Bruderschaft hat sich in ihrer Oppositionsrolle gut eingelebt. Sie hat, so Kirchenrechtler Pytlik, „die alte Liturgie politisch missbraucht, um zu sagen: Hallo, wir sind anders.“ Sie haben, so der frühere Anhänger der Pius-Brüder und vor einem Jahr im Groll geschiedene Ewald Stadler, „riesige Reichtümer angehäuft, auf denen sie jetzt sitzen bleiben wollen, und sie wollen ihren Pseudopapst Fellay anbeten“. Fazit: „Die Pius-Brüder wollen gar nicht zurück nach Rom.“ Laut Stadler sei es ihnen unangenehm, wenn der Papst nun zwei ihrer Hauptforderungen, nach dem Zulassen der lateinischen Messe auch die Rücknahme der Exkommunikation der Bischöfe, erfülle.

Die Erklärung des Generaloberen der Pius-Brüder, Bernard Fellay, die nach der Rücknahme der Exkommunikation erging, lässt Gleiches erwarten: Er freue sich auf die „Gespräche“, in denen er dem Heiligen Stuhl endlich erklären könne, wo es langgehe: „Unsere Bruderschaft wünscht, dem Papst … helfen zu können, die Heilmittel für die Krise … anzuwenden.“ Und die „Ursachen darzulegen, die die Schwierigkeiten der Kirche darstellen“.
Pater Trutt kann sich auch nicht vorstellen, dass „der Papst etwas von uns erwartet. Er hat die Exkommunikation zurückgenommen, weil er unsere kirchliche Gesinnung festgestellt hat.“ Der „richtige Glaube“ sei nicht verhandelbar. Das Zweite Vatikanum habe keine Dogmen produziert, die man annehmen müsse. Ein Papst sei kein Gottmensch und besitze nicht das „eingegossene Wissen Jesu Christi“. Päpste könnten Meinungen vertreten. Doch wenn sie „falsche“ Dinge anregten, sei man als „echter Christ“ gezwungen, dem nicht zu folgen.

Religionsfreiheit. Das größte Problem des Zweiten Vatikanischen Konzils sei wohl die Religionsfreiheit, die Ursache des „Aushöhlens des wahren Glaubens“. Trutt: „Da wurde gesagt, dass alle Religionen dasselbe sind und dass man sich das aussuchen kann. Da wurden Menschen animiert, ihre falschen Kulte auszuleben.“ Natürlich sei der jüdische Glaube wie auch der moslemische „falsch“. Wenn er, Trutt, sich mit Juden unterhalte, dann „ausschließlich“ um sie zu bekehren. Wenn sich der Papst in Istanbul in einer Moschee gen Osten neige, dann gehe man von seinem guten Willen aus, doch mit dem ersten Gebot Jesu sei das kaum vereinbar. Trutt stimmt auch der Äußerung des deutschen Distriktsoberen der Pius-Brüder, Franz Schmidberger, grundsätzlich zu, der meinte: „Die Juden unserer Tage sind des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und der Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren.“ Aber, so Trutt, „ich bete für die Juden, denn Christus hat von uns verlangt, alle Menschen zu lieben“. Zur Forderung der Pius-Brüder nach einer katholischen „Staatsreligion“, sofern die Mehrheit der Einwohner katholisch ist, sagt Trutt: „Zu wünschen wäre es, aber es ist noch nicht so weit.“

Und ob dieser katholische Gottesstaat auch die Todesstrafe etwa gegen Schwerverbrecher anwenden solle, wie das im „Baseler Katechismus“ (eine Art von der Pius-Bruderschaft verfochtene Gebrauchsanweisung für das Leben) als „legitime Tötungsart“ bezeichnet wird? Pater Trutt: „Früher haben Staaten das ohne Probleme gemacht. Heute sind sie anders strukturiert.“ Man müsse das diskutieren.

Fotos: Michael Rausch-Schott