Plädoyer für die Marktwirtschaft

Plädoyer für die Marktwirtschaft

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Vielerorts ist in diesen Tagen ein Aufatmen zu vernehmen, ist Erleichterung, ja Begeisterung zu spüren. Man darf wieder, was in den letzten Jahrzehnten verpönt war. Womit lange Zeit hindurch kaum ein Auditorium mehr zu füllen und sicher keine Wahl zu gewinnen war, taugt nun wieder als Schlagzeilenlieferant und elektoraler Quotenbringer: die Kritik an der Marktwirtschaft, die Verunglimpfung des Kapitalismus.

Eiligst werden die alten verbalen Klamotten der Klassenkampfzeit aus dem Schrank geholt, der dicke Staub, der sich mit den Jahren angesammelt hat, rasch ein wenig abgeklopft, die Mottenlöcher mit ein bisschen bunter Globalisierungskritik übernäht, und schon kann der alte linke Sonntagsstaat wieder getragen werden: Der Kapitalismus ist die Wurzel allen Übels, der Markt muss radikal beschnitten, der Profit unter allen Umständen verhindert werden.

Angestoßen wurde die Debatte von Franz Müntefering, dem Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten, der wegen der deplorablen Umfragewerte seiner Partei und angesichts einer Reihe bereits erlittener sowie noch bevorstehender Wahlverluste einen populistischen Befreiungsschlag versuchte. Müntefering attackierte Josef Ackermann, den hoch bezahlten Chef der Deutschen Bank, dessen Institut hohe Gewinne schreibt, trotzdem aber tausende Mitarbeiter kündigt. Und er zog gegen Finanzinvestoren zu Felde, die sich nach seiner Darstellung verhielten, als gäbe es „keine Schranken und Regeln mehr“, die wie „Heuschreckenschwärme“ über deutsche Unternehmen herfielen, sie abgrasten und dann weiterzögen.

Doch Deutschland krankt nicht an zügellosem Kapitalismus oder dem unkontrollierten Treiben manchesterliberaler Plutokraten, die Bundesrepublik spürt vielmehr die Auswirkungen schwacher europäischer Konjunktur sowie hoher Budgetdefizite und leistet sich ein kostspieliges Sozial- und Rentensystem, dessen – notwendige und sinnvolle – Reform durch die rot-grüne Bundesregierung („Hartz IV“) vom Wahlvolk zurzeit nur sehr eingeschränkt goutiert wird.

Und das Land trägt schwer an der Sanierung der ehemaligen DDR. Jenem Arbeiter- und Bauernstaat, wo die volkseigenen Betriebe nicht von Heuschrecken abgekaut wurden, wo die Bosse der Kombinate keine Millionengehälter bezogen, wo es Arbeitsplätze für alle gab – bis der real existierende Sozialismus politischen, moralischen und wirtschaftlichen Konkurs anmelden musste, weil sein Volk genug hatte von Trabant und Fünfjahresplan und die Mauer niederriss.

Die Marktwirtschaft kann und soll nicht regelfrei sein, sie braucht Aufsicht und Kontrolle – auch gesetzliche. Sie benötigt starke Gewerkschaften und wache Betriebsräte, welche die Interessen der Arbeitnehmer mit Nachdruck, aber Augenmaß vertreten. Und sie benötigt mit großem Bedacht gesetzte Grenzen. Aber nicht, weil das Streben nach Gewinn und das Erzielen von – fallweise auch enormen – Profiten grundsätzlich moralisch verwerflich wären; sie braucht ein Regelwerk, um ihr Funktionieren zu sichern. Um zu gewährleisten, dass sie ihre Kraft und Wirkung entfalten kann.

Und es braucht – neben einem finanzierbaren Pensionssystem und einem die Grundversorgung sichernden Gesundheitswesen – ein mit Vernunft und Empathie gestaltetes soziales Netz, das jenen, die sich aus welchem Grund auch immer im Wettbewerb nicht behaupten, ein menschenwürdiges Leben sichert. All das wird von keinem vernünftigen Menschen infrage gestellt.

Es darf zudem – und wird mit einiger Berechtigung wohl auch weiterhin – darüber diskutiert werden, ob der Chef der Deutschen Bank zehn Millionen Euro oder der Generaldirektor der Erste Bank 4,5 Millionen Euro verdienen sollen. Außer Streit sollte jedoch stehen, dass es nicht Aufgabe des Staates sein kann, irgendwelche Obergrenzen für Gehälter festzulegen, sondern dass dies ausschließliche Kompetenz der Aufsichtsräte, Aktionäre oder Eigentümer von Unternehmen ist, die dann auch die Konsequenzen tragen müssen, wenn die Höhe der Bezüge öffentliche Entrüstung hervorrufen.

Es ist bedauerlich für die betroffenen Arbeitnehmer und nachteilig für die jeweiligen Volkswirtschaften, wenn Fabriken schließen und die Fertigungen in Niedriglohnländer verlagert werden. Den Menschen in diesen Ländern diese Jobs vorenthalten zu wollen offenbart bei jenen, die nach Schutzzöllen und Strafsteuern rufen, die stärkere Kündigungshemmnisse und höhere Handelsbarrieren fordern, freilich oftmals auch ein gerüttelt Maß an Egoismus oder Zynismus. Eigenschaften, die sie ihrerseits jedoch vornehmlich bei den angeblich heuschreckenartig vazierenden Finanzkapitalisten orten.

Klassenkämpferische Hetzparolen schaffen jedenfalls keine Arbeitsplätze, retten keinen Produktionsstandort und steigern kein Wirtschaftswachstum. Dazu bedarf es risikobereiter Finanzinvestoren, schlauer Unternehmer und motivierter Arbeitnehmer. Und sie alle brauchen als Rahmenbedingung die einigermaßen freie Marktwirtschaft. Denn Letztere ist nicht bloß das beste aller Wirtschaftssysteme, sie ist das einzige, das auf Dauer Wachstum und Wohlstand vermehrt. Sie sollte daher gehütet und gepflegt werden, anstatt sie zu verunglimpfen.