Pope Opera: Papst Benedikt XVI und wir

Pope Opera: Der Papst und wir. Benedikt besucht ein Land, das sich von ihm abwendet

Er besucht ein Land, das sich von ihm abwendet

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Den Besuch Papst Benedikts XVI. wird sich Franz Hummer ganz gemütlich geben, „erste Reihe fußfrei“, und zwar im Patschenkino, daheim in Döbling. Das ist insofern erstaunlich, als Franz Hummer vergangene Papstbesuche etwas direkter mitbekommen hat. Als ihr Organisator nämlich. An allen drei Österreich-Visiten von Johannes Paul II. (in den Jahren 1983, 1988 und 1998) war der Publizist, Theologe und ehemalige Kathpress-Redakteur federführend beteiligt. Diesmal wurde er von der Bischofskonferenz nicht einmal als Zuschauer eingeladen. „Eine Frechheit!“, klar, aber vor allem auch: ein Zeichen. Denn die Zeiten haben sich geändert, seit das bloße Charisma eines polnischen Papstes ausreichte, um hunderttausende Gläubige auf den Heldenplatz strömen zu lassen. Das Amt hat an Strahlkraft verloren, die Institution sowieso: Der katholischen Kirche entlaufen die Schäfchen gleich herdenweise, und nichts deutet darauf hin, dass sich daran in Zukunft sehr viel ändern wird. „Anno ’83 hatten wir insgesamt 500.000 Zuschauer, ’88 noch 300.000, ’98 nur mehr 100.000“, sagt Franz Hummer, noch immer ein wenig entrüstet. „Dies-mal müssen sie froh sein, wenn 50.000 kommen.“

Es sei denn, der neue, deutsche Papst vollbringt wieder ein Wunder, so wie im August 2005, als er mit seinem umjubelnden Auftritt am Kölner Weltjugendtag ganz Deutschland in seinen Bann zog, eine knappe Million Jugendliche in Ekstase versetzte, von „Bild“, „FAZ“ und „Bravo“ gleichermaßen als Popstar gefeiert und weltweit zum klerikalen Hoffnungsträger erklärt wurde. Die österreichische Bischofskonferenz, offizieller Veranstalter des hiesigen Papstbesuchs, trägt jedenfalls ihr Möglichstes dazu bei, dass auch hierzulande die ganz große Papst-Show abläuft – eine Pope Opera zwischen Wien, Mariazell und Heiligenkreuz: Tausende Benedikt-Plakate wurden geklebt, der Papst höchstpersönlich stimmt seine Fans seit Wochen per täglicher SMS-Botschaft auf das Großereignis ein, Schulkinder in Wien und Niederösterreich bekommen auf Ersuchen des Klerus zum Papstbesuch schulfrei, und auch der ORF stellt 250 Mitarbeiter ab und überträgt 16 Stunden lang live – vom Flughafen, vom Abendessen, von der Samstagsmesse, damit auch ja keine Sekunde der göttlichen Botschaft verloren gehe.

Bescheidenes Interesse. Ob diese ankommt, bleibt trotzdem fraglich. In einer für profil durchgeführten OGM-Umfrage (siehe Seite 103) gaben 82 Prozent der Österreicher an, dem Papstbesuch keine oder nur geringe Bedeutung zuzumessen; bei den unter 30-Jährigen liegt dieser Wert sogar bei 96 Prozent. Selbst unter bekennenden Katholiken hält sich das Interesse in überschaubaren Grenzen: 77 Prozent erklärten, von der apostolischen Stippvisite nur wenig bewegt zu sein (dem Protokoll zufolge gilt der Besuch nicht als offizielle Visite, sondern bloß als „Pilgerreise“).

Das Desinteresse ist tief verwurzelt: Österreich, einst katholisches Kernland, verabschiedet sich zunehmend vom Glauben – zumindest von jenem, der in Rom gepredigt wird. Bei der Volkszählung von 1900 bekannten sich noch 91,6 Prozent der Österreicher zur römisch-katholischen Kirche, 1971 waren es immerhin 87,4 Prozent, heute liegt der Wert bei knapp 70, in der Bundeshauptstadt bereits bei unter 50 Prozent. Doch selbst bekennende Katholiken finden nur mehr sporadisch den Weg zum Herrn: Als regelmäßige Kirchgänger outen sich heute noch 17 Prozent aller Gläubigen. Das zwingt so manchen Kleriker zu kreativer Argumentation. „Liturgie hat, auf das ganze Leben verteilt, weiterhin ein starkes Gewicht im Leben der Mehrheit aller Katholiken. Man denke an Taufe, Firmung, Begräbnis und an den Kirchenbesuch an hohen Feiertagen“, gibt sich der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari im profil-Interview (siehe Kasten rechts) von Fakten unbeeindruckt.

Immerhin: Zweieinhalb Tage lang, von Freitagmittag bis Sonntagabend, werden solche Sorgen eine untergeordnete Rolle spielen, wird das traurige katholische Schäfchenzählen für ein paar Stunden unterbrochen. Diese Stunden gehören ganz dem obersten Hirten, seinen Gastgebern und dem geballten Event-Know-how der katholischen Kirche, die in puncto Inszenierung ja über eine reiche Erfahrung verfügt – und auch über das entsprechende finanzielle Pouvoir: Fünf Millionen Euro lässt man sich den päpstlichen Besuch kosten, die vom Staat gestellten Zahlungen für die aufwändigen Sicherheitsmaßnahmen nicht inbegriffen. Ob das allerdings ausreicht, das Ruder herumzureißen, bleibt zweifelhaft, denn der bezaubernde Charme Benedikts XVI. beschränkt sich offenbar auf seine engere Heimat: Nur zwei Prozent der Österreicher meinten in der aktuellen profil-Umfrage, ihr Verhältnis zur Kirche hätte sich seit dem Amtsantritt Benedikts verbessert. Zehn Prozent vermeldeten das Gegenteil. Doch nicht einmal dieser Umstand, so bezeichnend er auch sein mag, wäre für den Klerus wirklich tragisch: Im Grunde waren Papstbesuche immer schon vor allem kircheninterne Angelegenheiten. Nur werden im aktuellen Fall gerade die dringendsten Interna der großen Bene-Show geopfert.

„Es ist schade, dass auch diesmal keine Aussprache mit dem Papst über die brennendsten Probleme der Katholiken möglich ist“, kritisiert etwa der Vorsitzende der liberalen katholischen Plattform „Wir sind Kirche“, Hans Peter Hurka. „Der Papst wird von einem Event zum nächsten geflogen. Zu den Menschen wird er auf Distanz gehalten.“ Der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer sieht dies ähnlich: „Das ist nur Event-Katholizismus, der die wichtigen Glaubensfragen ausklammert. Der Papst soll die Christen zusammenhalten und nicht wie ein Übermensch auftreten, vor dem alle das Haupt beugen.“ Nicht, dass das eine sonderlich neue Entwicklung wäre.

Ungewohnte Demokratie. Schon vor zwölf Jahren hatten, als Folge des von profil aufgedeckten Skandals rund um den Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer, über 500.000 Österreicher das Kirchenvolksbegehren unterschrieben. Darin wurde die Abschaffung des Zwangszölibats, die Priesterweihe für Frauen, eine Abkehr von den altmodischen Moralvorstellungen der Kirche zu Sexualität und Empfängnisverhütung sowie eine Mitbestimmung der Gläubigen in pastoralen Fragen bis hin zur Wahl von Bischöfen gefordert. Die Bischofskonferenz stimmte in der Folge der Abhaltung eines regelmäßigen „Dialog-Kongresses“ zu, der 1998 erstmals in Salzburg stattfand. Es sollte bei dieser einen Veranstaltung bleiben. Hintergrund: Der damalige St. Pöltener Bischof Kurt Krenn hatte sich im Vatikan über das ungewohnte demokratische Experiment beschwert. Ein Machtwort aus Rom beendete den Dialog. „Man hat uns seither nur mehr hingehalten und vertröstet“, klagt Plattform-Chef Hurka. „Statt eine Lösung anzugehen, haben die Bischöfe die augenscheinlichsten Probleme unter den Teppich gekehrt.“ Ansuchen der Aktivisten sowie der heimischen „Pfarrerinitiative“ um einen Gesprächstermin mit dem Papst wurden mit dem Hinweis auf den knappen Terminplan Benedikts abgeschmettert.

Dabei werde vor allem der grassierende Priestermangel, so die katholischen Aktivisten, zu einem existenziellen Problem für die Ortskirche. „Die Zahl der priesterlosen Gemeinden wächst in einem bedrohlichen Ausmaߓ, schlägt der Linzer Pfarrer Peter Paul Kaspar Alarm. In einigen Diözesen überlege man schon die Einrichtung von „Zentralpfarren“. Die (etwas schiefe) Argumentation: Wer zum Einkaufen in ein Einkaufscenter am Stadtrand fahren kann, sollte doch auch für die Sonntagsmesse eine kleinere Anreise auf sich nehmen können.

Tatsächlich ist das Ausmaß des Priestermangels dramatisch. Predigten 1990 in Österreich noch über 5100 Priester, sank diese Zahl zuletzt auf exakt 4262. Inzwischen muss ein Fünftel aller Pfarren ohne eigenen Pfarrer auskommen. „Das Durchschnittsalter der Priester in Österreich liegt bei 64 Jahren“, meint Kaspar, dem Schreckliches schwant. „Wir sind eine aussterbende Spezies.“ Die Zahl der neu geweihten Priester (im Jahr 2006 genau 31) würde kaum ausreichen, alle wegen ihrer Abkehr vom Zölibat suspendierten Pfarrer zu ersetzen. Kein Wunder, dass der Kontakt zum Kirchenvolk verloren geht. In einer Studie des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner, der 2500 Priester in Österreich, Polen, Kroatien, Deutschland und der Schweiz befragte, gaben 80 Prozent an, kaum mehr Zeit für die individuelle Seelsorge – also den direkten Kundenkontakt – zu haben.

„Zweiklassengemeinschaft“. Doch während die Bevölkerung die Abschaffung des Pflichtzölibats mehrheitlich unterstützt, nannte Papst Benedikt dieses noch vor Kurzem „eine kostbare Gabe“. Kardinal Schönborn sieht es ähnlich, wenn auch pragmatischer: „In Wien werden über 60 Prozent der Ehen geschieden. Warum soll die Ehe dann für Priester ein Modell sein? Wollen wir einen Rosenkrieg im Pfarrhof, der dann womöglich die Pfarrgemeinde spaltet?“ Obendrein würde durch eine Aufhebung des Zölibats unter den Priestern eine „Zweiklassengemeinschaft“ entstehen. „Die Nichtverheirateten würde man als Karrieristen oder als noch Schlimmeres bezeichnen“, fürchtet der Kardinal.

Papst Benedikt wird sich freilich hüten, bei seinem Besuch in Österreich derart heiße Eisen anzufassen. Auch deshalb, weil er dieses Problem im weiteren Verlauf seines Pontifikats nicht mehr lösen kann – nicht nur aus theologischen, sondern aus rein pragmatischen Gründen. „Für eine solche weitreichende Entscheidung ist der Papst zu alt“, meint der frühere ÖVP-Chef Erhard Busek. Ganz allgemein erwarte er sich vom Besuch des Papstes in Österreich deshalb nur wenig konkrete Botschaften. Was genau der Heilige Vater seinen Gläubigen mit auf den Weg geben wird, wissen indes nicht einmal die heimischen Bischöfe. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der seine Reden von der jeweiligen Ortskirche vorbereiten ließ, will es sich Benedikt nicht nehmen lassen, selbst zu formulieren. Insider sprechen vage von einem programmatischen Text zur Rolle Österreichs im Herzen Europas. „Er könnte zumindest zur orthodoxen Kirche etwas sagen“, wünscht sich Busek. „Dazu hat man von ihm bisher nur wenig gehört.“

Kein Wunder: Das ökumenische Engagement des bayrischen Papstes ist begrenzt. Auch der europäischen ökumenischen Versammlung im rumänischen Sibiu, die nur alle zehn Jahre stattfindet, wird er zwangsläufig fernbleiben: Sie wird zeitgleich mit seiner Mariazeller Wallfahrt abgehalten. „Die gesamte Christenheit ist in Sibiu versammelt, nur der Papst tingelt zwischen Wien und Mariazell“, ärgert sich der Publizist Franz Hummer. Anders als bei früheren Papstbesuchen ist diesmal auch keine ökumenische Feier geplant. Was auch Michael Bünker, der designierte evangelische Bischof in Österreich, wörtlich als „sehr enttäuschend“ empfand. Ein bescheidener Trost: In Mariazell wird Benedikt XVI. von einem evangelischen Bischof eine Kerze aus Sibiu überreicht bekommen.

Den Affront vom vergangenen Juli wird diese Geste nicht übertünchen können. Damals hatte Benedikt die evangelischen Kirchen (und auch viele progressive Katholiken) verstört, als ein mit seinem Segen verfasstes Schreiben der Glaubenskongregation den Protestanten nachdrücklich absprach, eine Kirche im engeren Sinn zu sein. Da sie, wie auch andere Glaubensgemeinschaften, mit „Mängeln behaftet“ seien, handle es sich bei ihnen lediglich um „kirchliche Gemeinschaften“, hieß es in dem Text. Die wahre Lehre findet sich eben immer noch in Rom.

Schüchterner Professor. Die katholischen Werte seien nicht verhandelbar, so die unmissverständliche Vorgabe Benedikts an seine Bischöfe – und mit „Werten“ sind in dem Fall auch der Zölibat, das Verbot des Frauenpriestertums und der Kommunion für Geschiedene gemeint. Denn auch wenn der vormalige „Panzerkardinal“ Ratzinger mit seiner Wahl zum Papst viele Kritiker durch sein sanftes, herzliches Auftreten überraschte: Die oberflächliche Verwandlung vom Großinquisitor zum charmanten Sinnstifter beruht im Grunde bloß auf Äußerlichkeiten: dem rührenden Anblick eines offensichtlich recht schüchternen Theologieprofessors, der sich über die uneingeschränkte Wertschätzung freut, die ihm plötzlich von Millionen Menschen entgegenschlägt. Giuseppe De Carli, als oberster Vatikanist des italienischen Staatsfernsehens RAI ein enger Bekannter sowohl Johannes Pauls II. als auch Benedikts XVI.: „Kardinal Ratzinger hatte als Geistlicher kaum Kontakt zu seiner Umwelt. Darum war er zu Beginn seines Pontifikats eher ängstlich und zögerlich, wenn es darum ging, die Hand auszustrecken oder ein Kind zu umarmen. Das hat sich allerdings verändert, der Papst lässt sich jetzt berühren, geht auf die Menschenmassen zu. Für einen 80-jährigen Mann, der sein Leben in der Studierstube verbracht hatte, muss das ein unglaubliches Erlebnis sein.“

Theologisch hingegen blieb Benedikt stets auf der harten Linie. Eifrig predigt er gegen den weltlichen und religiösen Relativismus und für den Absolutheitsanspruch der katholischen, also einzig wahren Kirche. „Nie zuvor stand das geschriebene Wort, die Prophezeiung so sehr im Mittelpunkt wie jetzt“, sagt der italienische Parlamentsabgeordnete und Vatikankritiker Marco Panella. „Die Kirche ist unter Benedikt XVI. klerikaler geworden, götzendienerischer, fetischistischer.“

Zugleich aber hat Benedikt ganz offensichtlich begriffen, dass das Medium, also er selbst, einen Gutteil der Botschaft ausmacht. Gern liefert er anschauliche Bilder (vorzugsweise mit exzentrischen Kopfbedeckungen), lässt sich als väterliche Identifikationsfigur inszenieren und liefert den Massen eine schöne, weil optimistische Erzählung: Alles wird gut, weil nur die Liebe zählt – ganz im Sinne seiner ersten Enzyklika: „Deus Caritas Est“. Die große Papst-Show kann weitergehen. Tutto Bene also? Wohl kaum.

Von Sebastian Hofer und Otmar Lahodynsky
Mitarbeit: Martina Lettner