Pornoaffäre: Trau dich doch

Priesterliche Liebesspiele auf Fotos gebannt

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Kurt Krenn weine in letzter Zeit des Öfteren, sagt der in der Vorwoche zurückgetretene Chef des St. Pöltener Priesterseminars, Ulrich Küchl, als sei das nichts Besonderes. Sein Chef sei eben „in den letzten Jahren emotioneller“ geworden.

Als der Diözesanbischof am 29. Juni in St. Pölten zur Weihe von fünf neuen Priestern (der sechste musste ausgeschieden werden, weil gegen ihn Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie besteht) schritt, weinte der Bischof bitterlich. Später, auf dem Weg durch den Kreuzgang in Richtung Sakristei, überkam es ihn wieder, und der Oberhirte ließ die Tränen laufen. In der Sakristei angekommen, sagte er in Richtung Regens Küchl: „Ich weiß alles.“

Krenn wusste schon lange alles.

Krenn, so sagt ein enger Beobachter, werde in letzter Zeit von der Aura einer „finalen Zeremonie des tragischen Abschiednehmens“ umgeben. Krenn wisse, dass die Felle nun bereits davonschwimmen, dass Rom die Geduld verloren und eine Eingreiftruppe losgeschickt habe, die ab Herbst aufräumen werde.

Akkordierte Aktion. Der Bischof hat allen Grund zu weinen: dass es in seinem Priesterseminar zugeht wie in den letzten Tagen von Sodom, ist nicht länger als „jahrelange Kampagne der Medien“ (Krenn) abzutun. Interne Kritiker sind nicht mehr als „alkoholkranke Querulanten“ (Küchl) vom Tisch zu wischen: Hohe und höchste Würdenträger der Erzdiözese St. Pölten finden es mittlerweile unerträglich, das Doppelleben mitzuspielen, und haben sich zu einer akkordierten Aktion entschlossen, die die Wahrheit an die Öffentlichkeit bringen soll, nachdem jahrelange diskrete Versuche nichts genützt hätten.

Diese Wahrheit ist schmerzlich: Krenns Regens beim Sex mit Untergebenen, Krenns Sekretär und Rechtsberater ebenfalls. Polternde, bis in die Morgenstunden anhaltende Saufgelage durch Seminaristen im dritten Stock, die andere Priesteranwärter im Erdgeschoß zum Schlafen am Boden treiben, weil es zu laut ist. Angehende Priester, die sich mit kinderpornografischen Fotos in Stimmung bringen. Auch Naziparolen sollen zu hören gewesen sein. Jener vor einem halben Jahr beschlagnahmte Computer, der die Affäre ins Rollen gebracht hat, war mit meist polnischen Sexseiten derart verstopft, dass andere Mitglieder des Hauses ihre E-Mails lieber an einem PC in der Bibliothek abriefen. Fahnder haben zuletzt weitere 40.000 Fotos sowie zahlreiche Filme mit teils abartigen Sexdarstellungen in den Zimmern angehender Gottesdiener gefunden. Fotos, auf denen auch St. Pöltner Jungpriester in perversen Situationen, teils mit ihren Vorgesetzten, zu sehen sind. Ein leitender Ermittlungsbeamter: „Sie haben sich selbst fotografiert, weil auch das eine Art Lustgewinn war. Und weil sie es auch mit dem Chef und seinem Stellvertreter getrieben haben, war das alles so normal, und man hat sich ganz sicher gefühlt.“

So zum Beispiel auch der Priesterschüler H. (Name der Redaktion bekannt) aus Niederösterreich. H. ist auf einem besonders abartigen Foto zu sehen. H. ist die eine Hälfte einer besonders delikaten „Attraktion“, mit der sich Rom bereits befasst: Im Priesterseminar St. Pölten gibt es ein homosexuelles „Ehepaar“. Im Juni des Vorjahres soll Regens Ulrich Küchl in einem St. Pöltner Lokal H. und dem polnischen Priesterschüler A. eine Art „Sakrament der Ehe“ erteilt haben. Küchl selbst sagt dazu dasselbe wie zu allen anderen Vorwürfen: „Absurd.“ Er habe nur das Lokal eingeweiht.

Schwulenehe. Die Priesterschüler K. (am Foto mit Subregens Rothe) und P. (am Foto mit Küchl) haben teils monatelang durchgehend, teils nur Wochenenden in der abgelegenen Probstei in Eisgarn im Waldviertel bei Regens Küchl verbracht. Das Treiben war so offensichtlich und ging so weit, dass Kurt Krenn, mit offiziellen Protestschreiben des Pfarrgemeinderates bedacht, allen Seminaristen bereits im Dezember des Vorjahres das Übernachten in Eisgarn offiziell verbot.

Ein hoher Würdenträger der Diözese St. Pölten nimmt diese Eheschließung gegenüber profil als „zynische Verächtlichmachung der Lehre“ sehr ernst. Küchl habe zwar ein Sakrament erteilt, das nicht existiere, dennoch: „Eine Kirchenstrafe wegen Vortäuschung einer Trauung vor zwei Alumnen durch Probst Küchl wird durch die Glaubenskongregation zu prüfen sein.“

Ein Seminarist: „Natürlich haben alle von den offenen Perversionen gewusst, das war ja nicht übersehbar. Doch es herrscht in der Kirche eine bleierne Sprachlosigkeit, was manche Tabus betrifft, man ist unfähig, damit umzugehen, man wusste nicht, wie man das Problem auf faire Weise auf den Tisch bekommen sollte.“ Zumal sich vertrauensvolle Versuche, sich an Regens Küchl, seinen Stellvertreter Wolfgang Rothe oder an Krenn persönlich zu wenden, als kontraproduktiv erwiesen haben: Der Regens und sein Vize erfuhren nichts Neues, sondern lernten nur ihre Feinde kennen. Und Krenn glaubte nur seinen Vertrauensleuten: Küchl und Rothe.

Diese Mauer der Abwehr hat auch die Polizei in St. Pölten zu spüren bekommen, als sie zweimal hintereinander ein und denselben Priesterschüler als jene Person ausgeforscht hatte, von der sich mehrere Schulkinder in St. Pölten wiederholt bedrängt gefühlt hatten.

Die Abwehrmauer haben auch Personen kennen gelernt, die dagegen protestieren wollten, dass besonders Priesterschüler A. am Ratzersdorfer See, einem Schwulentreff, vollkommen offen seine Homosexualität auslebte.

Allerdings gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Priesterschüler von Vorgesetzten zu sexuellen Handlungen genötigt worden wären, wie das anfangs kolportiert worden war. Dennoch findet ein Wiener Diözesanrichter, dass allein das von profil nun veröffentlichte Foto mit Küchl und dem Schüler A. einen „eindeutigen Missbrauch der Amtsautorität laut Kirchenrecht darstellt. Rom muss hier sicherlich anklagen.“

Küchl hatte schon vergangenen Montag – nach seinem Rücktritt – von „Verleumdung in den Medien“ gesprochen. Alles seien reine Lügen seiner Feinde. Küchl streitet die Existenz von Fotos nicht ab, er bestreitet aber, was darauf objektiv zu erkennen ist. Der Ex-Regens: „Wenn besagtes Organ auf dem Foto nicht zu sehen ist, dann ist das interpretierbar. Schauen Sie doch, wie sich Fußballer miteinander verhalten. Das ist auch interpretierbar.“

Küchl droht mit „rechtlichen Schritten“.

Auch sein Subregens Wolfgang Rothe, der auch persönlicher Sekretär und Rechtsberater Kurt Krenns ist, bestreitet die Fotos nicht. Aber auch er will sie als interpretierbar einstufen. „Nun sehen Sie“, erzählt er sanften Tones von einem frommen Kaffeekränzchen am 24. Dezember vergangenen Jahres. „Es war der letzte Heilige Abend. Die armen Alumnen (Schüler, Red.) durften ja nicht nach Hause, und wir waren am Nachmittag in meiner Wohnung. Wir haben eine Kerze angezündet, aus dem Evangelium gelesen, ein Liedchen gesungen und Bäckereien geschmaust.“ Dann hätten sie sich alle, „jeder mit jedem“, liebevoll umarmt.

Rücktritt. Vor dem Gespräch mit profil am Mittwoch der Vorwoche hatte Rothe, der wie Küchl Deutscher ist und derzeit bei Köln urlaubt, mit Bischof Krenn telefoniert. Krenn waren kurz davor die Fotos vorgelegt worden, die auch profil zugespielt wurden. Rothe wollte die Bilder noch nie gesehen haben. So beschrieb ihm der Bischof persönlich die delikaten Ablichtungen. Dabei dürfte Krenn nur das harmlosere (die Umarmung) beschrieben oder Entscheidendes nicht über die Lippen gebracht haben, sodass Rothe glaubte, es sei nur eine Umarmung zu sehen. Daher die Weihnachtsgeschichte von der freundlichen Umarmung.

Dass es sich aber eindeutig um einen intensiven Zungenkuss mit einem Untergebenen handelt, stellte Rothe vor neuerlichen Erklärungsbedarf. Er kündigte an: „Auch ich werde jetzt zurücktreten.“ Ein Weitermachen als Subregens sei so nicht mehr möglich: „Wissen Sie, man braucht dafür schon Autorität, um etwa eine Ermahnung auszusprechen.“ Beurlaubt sei er ja schon seit dem vorvergangenen Wochenende. Doch jetzt werde er von Krenn verlangen, sein Rücktrittsgesuch zu akzeptieren. Aber das sei kein Eingeständnis einer Schuld.

Kurt Krenn ließ vergangene Woche über „News“ nur noch kraftlos zurückschießen: Es handle sich um eine „Neuauflage des Kesseltreibens“ gegen ihn. Mit einem Nebensatz artikulierte der angeschlagene Bischof aber den Kern des Problems insgesamt, das hinter dem Treiben steht: „Es kommt halt darauf an, wie bereit Leute sind, zu lügen oder die Wahrheit zu sagen.“ Dazu ein hoher Geistlicher des Priesterseminars: Die Kirche müsse lernen, zu allgemein bekannten Wahrheiten zu stehen und sie auszusprechen. Es sei eben Tatsache, dass zahlreiche Priester, nicht nur in St. Pölten, homosexuell seien, was grundsätzlich nichts über die Qualität dieser Personen als Priester aussage. Viele Homosexuelle würden aber „zur Kirche gehen“ und die Priesterlaufbahn einschlagen, nicht weil sie Jünger Jesu werden wollten, sondern weil sie schwul seien und innerhalb der Kirche eben „eine Infrastruktur für Schwule“ existiere. Die „vertuschende kirchliche Unterwelt“ ziehe homosexuelle Personen an.

Seit Donnerstag vergangener Woche sind die Pforten zur Diözese St. Pölten geschlossen. Telefonisch ist niemand mehr erreichbar, nicht einmal Krenn selbst auf seiner Nebenstelle, wo er zumindest abends immer verfügbar war.

Breiter Widerstand. Der Widerstand gegen die tolerierten Sitten des Hauses nimmt jetzt generalstabsmäßig organisierte Formen an und richtet sich zunehmend gegen den letztverantwortlichen Bischof persönlich. Ein hoher Würdenträger der Diözese sagt, Krenn sei bereits vor einem halben Jahr schriftlich und lange davor mündlich über alle Einzelheiten unterrichtet worden, habe aber die Sache „vertuscht und sogar die Ermittlungen beeinflusst“ (siehe Kasten). Krenn sei mehrmals von Alumnen sowie vom gesamten Domkapitel persönlich unterrichtet worden und habe das immer als nicht vertrauenswürdig weggewischt. Der Vatikan wolle nicht mehr länger zuschauen. Kardinal Ratzinger, zu dem man laufenden Kontakt pflege und der alles genau beobachte, sei am Ende seiner Geduld angelangt. Bis spätestens Herbst sei mit einer Visitation aus Rom zu rechnen. Es gebe mehrere Szenarien eines nahen Endes der Ära Krenn: Entweder eine im Haus tätige Person übernimmt die Geschäfte, während Krenn nur noch repräsentiert, bis er im Herbst zurücktritt. Oder Rom schicke gleich einen Koadjutor, der mit Kontroll- und Nachfolgerecht ausgestattet ist und die Ablöse für Herbst vorbereitet. Gerüchteweise soll eine „Teilentmachtung“ Krenns konkret in Vorbereitung sein.