Porträt: 'Mo' Ibrahim, der beste Afrikaner

Porträt: Der beste Afrikaner

Wie ein Milliardär einen Kontinent retten will

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In einem feinen Square unweit der Londoner Oxford Street steht zwischen viktorianischen Backsteinvillen ein unscheinbares Bürogebäude aus den sechziger Jahren. Im dritten Stock hat die noch junge Mo-Ibrahim-Stiftung ihr elegantes, minimalistisches Quartier aus Glas, dunklen Hölzern und cremefarbenen Sitzen bezogen. Praktisch über Nacht ist diese Privatinitiative ins Rampenlicht gerückt, als sie ankündigte, einen außergewöhnlichen Preis auszuloben: Mit fünf Millionen US-Dollar, dem höchsten jährlich zu vergebenden Preis der Welt, will die Mo-Ibrahim-Stiftung gute Regierungsführung in Afrika fördern. Konkret heißt das: Preisträger wird der Ex-Staatschef, der sich – demokratisch gewählt und abgetreten – in seiner Amtszeit erfolgreich um die Verbesserung von Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Menschenrechten und Wohlstand für die breite Bevölkerung bemüht hat.

Montag vergangener Woche versammeln sich die Crème de la Crème der in London ansässigen afrikanischen Diplomatie und der Vorsitzende der Jury, Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan, im Headquarter der Stiftung, um einem vielleicht historischen Moment beizuwohnen: der Verkündigung des allerersten Gewinners des Preises, der den afrikanischen Kontinent verändern soll. Annan verliest die Entscheidung der Jury: Joaquim Chissano, dem früheren Präsidenten von Mosambik, wird der Ruhm – und das Geld – zuteil. Annan würdigt Chissano für seine Rolle als Vermittler im mosambikanischen Bürgerkrieg und als untadeliger Demokrat.

Korruption. Ein Mann im grauen Anzug sitzt in der ersten Reihe und strahlt. Es ist der Milliardär Mohammed „Mo“ Ibrahim, aus dessen Privatschatulle das Preisgeld stammt. Ibrahim ist ein kleiner jovialer, auf die Minute pünktlicher Mann mit buschigen Augenbrauen über randloser Brille. Keine Spur von der staatstragenden Steifheit seines Preisjury-Vorsitzenden Kofi Annan, der immer ein bisschen wirkt wie ein Fotomodell, das jederzeit einen unvorteilhaften Schnappschuss vermeiden will. Ibrahim lümmelt sich auch schon einmal im weichen Lederstuhl, und er benutzt gern hin und wieder überraschende Metaphern. „Korruption ist keine Masturbation“, hat er zum Beispiel einmal gesagt. Ein bubenhaftes Grinsen legt sich über sein Gesicht, als er daran erinnert wird. „So ist es“, setzt er nach, „Korruption ist eine einvernehmliche Angelegenheit zwischen mehreren Erwachsenen. Wir müssen einmal von der Heuchelei Abschied nehmen: Auf jeden korrupten Afrikaner kommt ein korrupter Europäer oder Amerikaner.“ Nur würden die Europäer nie an den Pranger gestellt.

Die vorauseilende Bereitschaft im Westen, jemanden, der es zum Staatschef in Afrika gebracht habe, automatisch für korrupt zu halten, ärgert den Mann, der mit Mobilfunk reich wurde. Er selbst behauptet, „nicht ein Dollar Schmiergeld“ sei je aus seinem Erfolgsunternehmen Celtel geflossen, welches er 2005 für 3,4 Milliarden Dollar an das kuwaitische Konsortium MTC verkaufte.

In die Wiege gelegt war ihm der Reichtum nicht. 1946, als der Sudan noch unter britisch-ägyptischer Herrschaft stand, wurde er als Sohn nubischer Eltern in „typische kleinbürgerliche“ Verhältnisse geboren. Der Vater Angestellter in einer Baumwollfirma in Alexandria, die Mutter Hausfrau, sorgten die Eltern jedoch dafür, dass alle fünf Kinder studierten. So gelangte Ibrahim über ein Ingenieurstudium in Ägypten und erste Arbeitserfahrung bei Sudans nationaler Telefongesellschaft schließlich mit einem Stipendium nach England. Dort warb die British Telecom (BT) den mittlerweile promovierten Akademiker 1985 von der Uni ab, um das Team zu leiten, das eines der ersten Mobilfunknetzwerke entwarf – Cellnet, später umbenannt in O2.

BT sah die Chancen nicht, die der weltweite Mobilfunkboom auch in Afrika eröffnete. Also kündigte Ibrahim und gründete 1989 seine erste eigene Firma MSI, die Software für mobile Netze weltweit entwickelte. Ende der Neunziger verkaufte er MSI für 900 Millionen Dollar an den italienischen Konzern Marconi. Ibrahim gründete Celtel und begann, den afrikanischen Kontinent mit Mobilfunklizenzen zu überziehen. Heute ist Celtel der drittgrößte Mobilfunkanbieter Afrikas, in 15 Ländern aktiv, mit 5000 Beschäftigten und einem Umsatz im Jahr 2005 von 614 Millionen Dollar. Als Celtel 2005 an die Kuwaiter ging, wurden über Nacht auch viele von Ibrahims Mitarbeitern zu Millionären, denn Ibrahim hatte in jeder seiner Firmen ein Gutteil der Belegschaft zu Teilhabern gemacht. Er zählt das zu den Überresten seiner sozialistischen Jugend.

Nun scheint er sich mit seiner Stiftung darauf zu verlegen, sein Geld wieder auszugeben. Die Stoßrichtung ist klar: „Ich habe mein Geld in Afrika gemacht, und dorthin will ich es auch zurückgeben.“ Gleichzeitig bleibe er Geschäftsmann und betrachte den Preis als Investition in eine bessere Zukunft für Afrika. „Und ich glaube, die Rendite diesmal wird riesig sein.“

Dass Afrika und Wohlstand weitgehend ein Gegensatzpaar sind, liegt nach Ibrahims Meinung am Mangel an guten Staatslenkern. „Gute Regierungsführung“, sagt er, „ist die größte Herausforderung für Afrika.“ Ohne sie sei alles andere, was an Hilfe und Zusammenarbeit geschehe, „nur wie Kopfschmerztabletten, eben nicht nachhaltig“. Ibrahim war das „folgenlose Gerede“ von Politikern, aber auch die schlecht informierten Diskussionen in der Zivilgesellschaft leid. „Ich wollte ein objektives Maß derjenigen Dinge, die wirklich zählen: Gibt es dort Essen auf dem Tisch, hat man Strom im Haus, hat man Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem, kann eine Frau sicher auf der Straße laufen, ohne vergewaltigt zu werden?“

Gesagt, getan. Ibrahim beauftragte ein Team um den Harvard-Politologen Robert Rotberg, und heraus kam der Mo-Ibrahim-Index, der ab diesem Jahr alle 48 subsaharischen Länder einem jährlichen Ranking unterwirft. „So umfassend wie kein Index zuvor“, sagt Rotberg, vergleiche der Index die Staaten „nach konkreten messbaren Kriterien aus Bereichen wie Korruption, nachhaltige wirtschaftliche Chancen, Menschenrechte und Recht und Gesetz“. Der Index sei eine Art Audit, ergänzt Geschäftsmann Ibrahim, und der Preis sei das, was auf jeden Audit in der Wirtschaft üblicherweise folge. „Diejenigen, die gut abschneiden, werden belohnt.“

Trotzdem, es bleibt ein Unbehagen. Könnte man diese Belohnung nicht auch einfach Bestechung nennen, damit Staatschefs ihre Arbeit pflichtgemäß erledigen? Das lässt Ibrahim nicht gelten. Stattdessen verweist er auf westliche Pensionäre, die wie Bill Clinton – wir mögen auch an Gerhard Schröder denken – mit Reden, Büchern und Beraterverträgen ihre Renten um Millionen aufstocken können. Diese Möglichkeiten hätten Afrikaner nicht, so Ibrahim. Und wer im Amt korrupt war, für den sind fünf Millionen ohnehin Peanuts und kein Anreiz, sich zu benehmen.

Erste Kommentare von Wissenschaftern sind vorsichtig positiv. Stefan Mair, Forschungsdirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, hält den Index für eine innovative Idee. Nach Versuchen von Geberseite, auf gute Regierungsführung einzuwirken, und Versuchen von afrikanischen Staaten selbst, die sich im so genannten African Peer Review Mechanism gegenseitig kontrollieren wollen, gehe „der Ibrahim-Index einen neuen Weg“, so Mair. „Nun kommt jemand aus der Wirtschaft und sagt, die Wirtschaft braucht auch gute Regierungsführung als Rahmenbedingung, um zu florieren.“

Ibrahim-Index als Maßstab? Falls der Ibrahim-Index ähnliche Dynamik entwickelt wie der von Transparency International (TI) publizierte internationale Korruptionsindex CPI, könnte Mo Ibrahim zufrieden sein. „Das Ranking wird sehr genau verfolgt,“ berichtet die Forschungsdirektorin von TI, Robin Hodess. „In den Strategiepapieren mancher Kabinette wird sogar als Ziel ein bestimmter Rang im CPI definiert.“

Auch von ganz unerwarteter Seite hat der Index bereits Aufmerksamkeit erhalten. Harvard-Professor Rotberg berichtet, dass sich die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) erkundigt habe, ob ein solcher Index auch für ihre 30 Mitgliedsstaaten – dazu gehört Österreich – möglich sei. Das wiederum dürfte Mo Ibrahim freuen, dem die westliche Sicht auf Afrika als Sonderfall – sagen wir es nicht allzu staatstragend – manchmal schlicht auf den Keks geht.

Von Judith Reker, London